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Gegründet 1807
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September 2018
Eindrücke vom und Reflexionen zum Musikfest Erzgebirge 2018
Das Festival unter der Idee „Träume“ hat am 6. August 2018, zum fünften Mal begonnen und klingt nun von einem Höhepunkt zum nächsten. Die einzigartige Verbindung von Klang und Raum, von Tradition und Moderne sowie von höchster Professionalität und Mittun hiesiger Künstler und Kantoreien überzeugt in allen Veranstaltungen ein begeisterungsfähiges Publikum von hier und von weither.
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Es ist keine neue Erkenntnis, dass der sächsische, mitteldeutsche, Raum , determiniert durch allzu lange politische Zersplitterung später bürgerlicher Kulturvielfalt aufweist. Dazu bewirkte der sprunghafte Reichtum durch den Silberbergbau ein Herzuströmen von Künstlern und die Geberlaune der Herrschenden das Entstehen großer und großartiger Kirchenräume, die allein durch die den meisten Menschen unverständliche lateinische Sprache der Liturgien nicht zu füllen war. Nicht erst Luther wusste um die Rolle der Musik für die Intensität der Seele. Wie an den Höfen die Minnelieder, so in den Klöstern und Kirchen die gesungene Messe. Gregorianik, die auch begleitet von Tamburin und Schalmeien in der tänzerischen Volksmusik der Renaissance weiter lebte und im Barock die strenge kirchlicher Räume erhellte.
Felix Mendelssohn Bartholdys „Lobgesang“ in der Marienberger St. Marienkirche am Samstag, dem 8.9.18, war einer dieser Höhepunkte gleich am Beginn des Musikfestes. Mendelssohns Traum der Aufklärung, Licht in die Köpfe und dadurch Friede und Verständigung unter die Menschen zu bringen, trifft die heutige Zeit wie ein Fanal. Für ihn war wohl das Glück im Jenseits, was jede Religion als höchstes Ziel preist, gleichzeitig der Traum von einer besseren Welt. Der außergewöhnlich einfühlsame Dirigent, Howard Arman (GB), betonte in seinen Worten an das Publikumdie die Absicht des Werkes, die Erfindung des Buchdrucks zu preisen, der die Bibelworten endlich für die Masse verständlich werden ließ und letztendlich die weltlichen Herrscher an die Inhalte erinnerte: Vor Gott sind alle gleich und Du wirst an Deinen Taten gemessen werden
Zu hören war das zunächst in den symphonischen Sätzen Mendelssohns, eine Preisung der Schönheit der Welt, Versuchungen und Gefahren. Dramatik, Gefühlsreichtum und meisterliche Beherrschung der musikalischen Ausdrucksmittel wie die Kunst der Fuge und das Wissen um die Wirkung des schlichten Chorals, die Wechselwirkung von Solo und Chor machten den Abend zu einer Sternstunde. Mendelssohn Bartholdys junges Leben, das mit 38 Jahren endete, gelang ein vollendetes Werk.
Die Erzgebirgs Philharmonie Aue gestaltete die Musik unter der verantwortlichen Forderung des Dirigenten durchsichtig und dramatisch, feinfühlig und v.a. in den Bläsern und Schlagwerken überzeugend. Es wurde dann doch beim Einsatz der Chöre ein wahres Sängerfest: Die lange Tradition der Kantoreien hier, u.a. der von Marienberg, Schwarzenberg, Annaberg, verband sich zu einem Guss, -geformt durch konzentrierte, hervorragende Probenarbeit unter Herrn Katzer aus Dresden und des Dirigenten zu einem professionellen Ergebnis.
Die Solisten, Sopran und Mezzo von Johanna Winkel und Viola Blache, verbanden sich zu lichtvollem Fordern nach der Rolle des Menschen in der Welt, dem der Tenor in sicherer, manchmal etwas zu gerader Höhe beipflicht ́. Die Verbindung von Berufs- und Laienkünstlern gelang geradezu vollkommen, was das Publikum herzlich honorierte.
Bereits einen Tag später, am 9.9.2018, ein nächster, ungewöhnlicher Kunstgenuss in St. Annen, Annaberg: Der spätgotische Bergmanns-“Dom“, dessen Über-Akustik es barocken Werken in ihren verschlungenen Harmonien und schnellen Fugen etwas schwer macht, war wie gebaut für das Zusammentreffen zeitgenössischer Chorwerke und sehr alter Musik aus dem 15. und 16. Jahrhundert. Der Lettische Rundfunkchor Riga unter der langjährigen Leitung von Sigvards Klava sang Werke von J.S.Bach/Knut Nystedt (1915-2014), Arvo Pärt (1935), dem wohl z.Zt. berühmtesten Gegenwartskomponisten Francis Poulenc (1899-1963).
Im Wechselgesang mit dem Männerquartett „Ensemble Stimmwerck“, das erfolgreich der Pflege alter Musikverpflichtet ist, wurden erstmals wieder aus den „Annaberger Chorbüchern“ (~1520 als Geschenk Kurfürst Georg des Bärtigen an seine, von ihm gegründete Stadt Annaberg, siehe a.a.O.) gesungen. Die hervorragenden Ensemble traten des Beweis an, das dieser „harte Tobak“ auch bei Menschen, die nicht täglich mit solchen Klängen geübt sind, emotional überzeugten.
Unter dem Thema „Der Traum der Freiheit“ als einem der zentralen Menschenheitsträume wurden im Chorgesang ungewohnte Klangfarben plastisch wie redendes Volk, laut klagend und protestierend, wispernd, harmonisch sich vereinend, in Glissandi verwundernd und dann wieder in großer Erhabenheit strahlend. Der Chor aus Lettland, in der großen Chor-Tradition des Baltikums stehend, hat gerade durch die Bewahrung seiner auch auch aus deutscher und russischer Beeinflussung kommenden Linien sein nationales Selbstverständnis in Zeiten von Krieg und Diktatur gerettet. Insofern darf Kultur und Kunst auch von den stattlichen Stellen nicht als bloßes Anhängsel des Sozialgefüges betrachtet werden, sondern als ständiger Vermittler zwischen Geist und Herz. Ohne das, sind wir gerade wieder hier bei uns, bedroht von Unmenschlichkeit und Ausgrenzung.
Die „Annaberger Chorbücher“ (z.Zt, auf Heimaturlaub aus Dresden im Erzgebirgs Museum Annaberg, gegenüber von St. ANNEN), zeigen sich als einmalige Dokumente mitteldeutscher Kirchenmusik. Die vier Stimmen von „Stimmwerck“ haben sich nicht nur vom dominanten Countertenor bis zum Bass wunderbar zusammen gefügt, sondern auch im Wesentlichen an das Gebot der Demut gegenüber den biblischen Inhalt gepasst. Das das heute nicht mehr vollständig durchgehalten werden muss, das liegt an den Kompositionen selbst. Die Seele will singen, will aus sich heraus treten, will frei schwingen, will sagen und denken, was sie will. Die alte teutsche Singtradition, kennt den Volksgesang, das Minnelied und manches von den vierstimmigen Sätzen kann man sich auch mit Instrumenten, -Tamburin, Rassel, Schalmei , Flöten begleitet vorstellen.
Schade, dass sich das Gesangsensemble Stimmwerck am Ende des Jahres auflöst. Sie haben Verdienste bei der Weitergabe alter Musik erworben, die uns ganz heutig daherkommt. Große Klänge, phantastische Ensemble und ein Raumerlebnis zum Genießen und Staunen!
Täglich bis zum 11.9. 2018 spielte auf dem Markt von Annaberg Barocker Circus. Ausgelassene höfische Musik begleitete die Artisten oder stellt sich neben diese jungen, kreativen Leute aus europäischen Artistenschulen. In der Geschichte traten Artisten auf Märkten auf, wie z.B. auf unserer fast 500 Jahre alten Kät (Trinitatisfest mit Markttagen: das Wort „Kät“ ist eine aus der Mundart kommende Verballhornung von Dreieinigkeit- Dreieinigkät.) auftraten.
Das Volk hatte wenig Gelegenheit zu Spaß und Freude und so genoss man, was kam und gab ein paar Kreutzer für die anderen Armen, die Artisten, dem fahrenden Volk. Erst im 19. Jahrhundert blühte das Gewerbe Zirkus, dann zunehmend mit Tieren, auch exotischen, in schlechter Haltung. Für die Kinder war das allerdings das Beste.
Der Circus auf dem Markte beweist heute, wie vielgestaltig, abwechslungsreich und einfach schön die Bewegungen des menschlichen Körpers anzusehen sind. Die heitere, besinnliche, temperamentvolle Live-Musik des Barock hebt alles noch in die Sphäre der Phantasie, gibt die Choreographie vor. Silke Adolph auf dem Drahtseil tanzend, oder bei ihrer Balance auf Flaschen, Johannes Dudek mit seinem fliegenden, leuchtenden Diabolo, Julia Grote auf dem Luftring und Hand-to-hand mit Lukas Köster, Petra Lange auf dem sich knotenden Vertikalseil mit „Abstürzen“, Florian Zumkehrs Handstandskunst oder die amüsant sich steigernde Conference-Comedy-Clownerie von Sebastian Matt und nicht zuletzt Ole Lehmkuhls Reifen-Drive oder war das der mit den verrückten schwirrenden Bällen?! Ein Abend, der beweist, wie Leichtigkeit schwer erarbeitet werden musste und wie viel Vergnügen das Publikum dabei hatte. Ein wenig mehr an barocken Fummels und Acsessoires hätten sein dürfen. Viel mehr allerdings an Körpereinsatz hätten die Herren von der Gastronomie vor dem Zelt, auch vorher übend, zeigen dürfen für ein durstiges Publikum!
Eveline Figura
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