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Superlative Gigantomanie im Erzgebirge

Mit der sprichwörtlichen Bescheidenheit und den verantwortlichen Kulturbewahrern unseres Gebirgsvolkes scheint es neuerdings vorbei zu sein. Die Dörfer, Städte und ein paar Patrioten in unserer einst bescheidenen Gebirgsgegend sind für eine zweifelhafte Gigantomanie überaus anfällig geworden und vergreifen sich mit viel Geld – das anderwärts dringend gebraucht würde - am erzgebirgischen Kulturgut, um sich und anderen zweifelhafte Denkmäler zu errichten.

Eine möglicherweise unnütze und überflüssige Polemik.

In vielen alten Dokumenten und neueren Schriften wird der Charakter des Erzgebirgers, einschließlich der seiner weiblichen Spezies, als mitunter einfältig, naiv, einfach, heiter, ab er auch menschenfreundlich und tierlieb sowie fast immer auch als herausragend bescheiden apostrophiert. Als bio-soziales Wesen hat auch unser Gebirgstypus diese Eigenschaften und psychologischen Strukturen von seinen Altvorderen vererbt bekommen, um sie in seinem Umfeld durch äußere Einflüsse zu dem werden zu lassen, was von vielen Außenstehenden bisher als typisch erzgebirgisch so empfunden und derart geschätzt – mitunter auch überschätzt – wurde, um sich mal etwas monströs auszudrücken! Schwibbogen
Viele volkskulturelle Sachzeugen – insbesondere in der Weihnachtszeit – künden davon: Engel und Bergmann zieren die Fenster und Stuben oder dien(t)en als Kinderspielzeug. Die kleinen Räuchermännchen nabeln vor sich hin und werden von den grimmig dreinblickenden Nussknacker – gleich neben dem Schwibbogen – sekundiert. Die Leuchterspinne oder Schwebeengel strahlen in der Nähe eines Tannenbaumes oder/und einer Pyramide, die selten die Lebensgröße eines heutigen Erzgebirgers übersteigt. Selbst die Freilandpyramiden weisen meist noch menschliche Maße auf, - zumindest die echt erzgebirgischen.

Mit der sprichwörtlichen Bescheidenheit unseres Gebirgsvolkes scheint es aber neuerdings vorbei zu sein. Mittlerweile will nicht nur der eine den anderen im privaten Bereich mit einer neuen, teureren, aber insbesondere größeren materiellen Anschaffung überbieten, um damit zu protzen und dem Scheine nach mehr zu gelten als der andere. Pyramide

Auch die Dörfer und Städte in unserer einst bescheidenen Gebirgsgegend sind für diese zweifelhafte Gigantomanie überaus anfällig geworden. Bekanntlich steht das griechische Wort „gigas“ für „groß“, „mania“ für „Wahnsinn“. Dieser Größenwahnsinn, wird als maßloses, übersteigertes, demonstratives, letztlich unmenschliches Streben nicht nur in der kulturphilosophischen Literatur aller Zeiten kritisch bewertet, auch in der Politikwissenschaft wird derartiges protziges Verhalten auf die Demonstration von Macht, Geld bei gleichzeitigem Verweis auf meist fehlender ästhetischer Kompetenz zurückgeführt. Meist ist diese Gigantomanie auch noch gepaart mit Superlativismus. Es genügt demnach nicht mehr, eine riesigen Schwibbogen oder eine den menschlichen Maßen entfremdete Freilandpyramide zu errichten, nein es muss auch noch die größte Krippe der Welt und der größte Schwibbogen der Erde und überhaupt die größte Freilandpyramide des Universums sein, - oder wenigstens die erste weltweit. Ästhetische Kategorien, die sich ebenfalls in der superlativen Form ausdrücken ließen - wie z.B. schön oder hässlich, erhaben oder niedrig – sucht man vergeblich in der Charakterisierung derartiger volkskulturferner Kolosse.Nussknacker

Es ist allerdings auch wahr: Zu allen Zeiten versuchten Menschen in den Himmel zu bauen, um näher bei Gott , oder – wie beim Turmbau zu Babel – in ihrem maßlosen Streben Gott gleich zu sein. Wie diese biblische Gigantomanie endete, kann im so genannten Buch der Bücher nachgelesen werden. Da an unseren neuerlichen erzgebirgischen babylonischen Bauten – neben den Lobbyisten - nicht nur vorgebliche Kulturmenschen, sondern auch zahlreiche Christenmenschen beteiligt sind, dürften zumindest die wissen, wie solch ein Titanismus sein Ende finden könnte. Aber nicht nur die Bibel gibt Auskunft darüber, auch bei Oswald Spengler findet man Hinweise auf solche kulturferne Ambitionen. Noch besser beschreibt diesen mit finanziellem Überfluss gepaarten Geltungsdrang, diese monumentale Kompensation von Minderwertigkeitskomplexen einzelner oder größerer Gruppen von Menschen, bereits 1867 der Kulturhistoriker Johannes Scherr in seinem Buch „Größenwahn – Aus der Geschichte menschlicher Narrheit“, in dem er kleingeistigen Größenwahn kleiner Völker, Orte und Menschen aufs Korn nimmt. Zur Beruhigung: Das Erzgebirge kommt darin mit keiner Silbe vor...

Nun werden diese neuen, sich als Pyramiden drehenden Bohrtürme oder die überdimensionierten Lichterbrücken, die manche als Schwibbögen bezeichnen, letztlich genau so wenig ästhetischen Schaden anrichten, wie die modernen Windmühlen auf unseren Bergen, die wenigsten noch einen praktischen Nutzen haben. Räuchermann
Anderseits sollte man unseren kleinen, verlassenen und von der großen Welt unbeachteten Orten diese überdimensionierten Vehikel gönnen. Vielleicht verirren sich ja doch mal paar Touristen mehr von den gigantischen Überseedampfern, oder aus dem kopierfreudigen Asien dorthin in die als idyllisch angepriesene Gegend, um das unverfälschte, echte, bescheidene Erzgebirge kennenzulernen. Ihre Eindrücke dürften dann zumindest cool, super und gigantisch sein – auch in den späteren Kopien. Sollten allerdings, durch diese markanten Landschaftszeichen angelockt, die Touristenströme tatsächlich gigantische Ausmaße erreichen, dann wäre das ein Beweis mehr für diese unnütze, überflüssige Polemik. Turmbau zu Babel


Bei den meisten Erzgebirgern wird die Beurteilung – wie fast immer bei Kulturbewertungen hierzulande – mit dem unterschiedlichen Geschmack des Individuums erfolgen und von daher begründet. Nur, es bleibt dabei seit alters her: Geschmack ist in erster Linie Bildung – also Geschmacksbildung! Dabei könnten sich Sponsoren nachhaltige Denkmale errichten, die sich allerdings nicht drehen und die nicht leuchten würden. Aber enorm zur Erleuchtung nachfolgender Generationen beitragen dürften. Und im Weiteren ist es eine Frage der Verantwortung gegenüber der unverfälschten, auch der bescheidenen, der dem menschlichen Maß verpflichteten erzgebirgischen Volkskultur seitens ihrer patriotischen Schöpfer. Sind sie es doch, die auch im kritischen Verhältnis von Gigantomanie und spezifischer menschlicher Ästhetik in kleinen Räumen wie dem Erzgebirge, eine Brückenfunktion einzunehmen haben zwischen unseren Vorfahren und den Nachfahren. Diese kulturelle Brückenkonstruktion sollte in unserer Heimat von uns Heutigen einer dringenden geistigen Sanierung mit materiellen Folgen unterzogen werden – damit die biblische Weissagung nicht in Erfüllung gehen möge...

g.b.s.