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THEATER ABC

 

 



PREMIERE

„Courage“ am Annaberger Theater

Bertolt Brechts Antikriegsstück „Mutter Courage und ihre Kinder“ ist als Analyse des großen Geschäftemachens mit dem Kriege und als Lehrstück menschlichen Scheiterns mit hellseherischer Kraft am Vorabend des zweiten Weltkrieges im Exil verfasst und am Züricher Schauspielhaus 1941 uraufgeführt worden. Dank der epischen Schauspielkunst u.a. der kongenialen Helene Weigel wurde es  zum Welterfolg, der zusammen mit der Brechtschen Theaterpraxis aber heute fast vergessen ist.
Umso verdienstvoller der couragierte Versuch, am Eduard von Winterstein-Theater Annaberg, dieses heute wieder unverzichtbare Lehrstück auf den Spielplan zu setzen und es einem noch vorgebildeten Publikum und hoffentlich der unbekümmerten Jugend zu offerieren.
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Wer eine Kopie der legendären Aufführungen im Berliner Ensemble mit der Giese, der Weigel oder der May, deren Formensprache, ihrem Gestus oder gar ihrem berühmten Planwagen erwartete, wurde von der Inszenierung des erfahrenen Theatermannes Karl Georg Kaysers am 25.1.2015 vielleicht enttäuscht.
Dramaturgie (Silvia Giese), Regie und Ausstattung (Annabel von Berlichingen) hatten den Untertitel des Dramas „Eine Chronik aus dem dreißigjährigen Krieg“ dem Brechtschen Texte überlassen und die große Bühne mit Absicht ins Heute hinein, mit aktuellen Accessoires wie Autoreifen und Tandler-Kram, der Courage auf der Drehbühne und vorn mit zwei Stand-Mikrofonen - alles nicht überladen - ausgestattet. Am Bühnenhintergrund wurden die wichtigen Brechtschen Lehrsätze zur Unterrichtung und Selbsterkenntnis des Publikums groß, aber leider oft schlecht leserlich projiziert. Mutter_Courage_HP1-286
Alle Darsteller, außer der Courage, traten nach ihren jeweiligen Mehrfachrollen aus diesen heraus in den - vielleicht etwas zu weit entfernten - Hintergrund, von wo aus sie als antiker Chor die Erkenntnisse der Szenen, nicht immer ganz verständlich, deklamierten.
Die „Mutter Courage“ genannte Marketenderin Anna Fierling (Tamara Korber) zieht mit ihren drei Kindern von einem Kriegsschauplatz zum nächsten, denn Frieden ist tödlich fürs Geschäft. Sie will´s machen, wie die großen Geschäftemacher: Gewinn, aber ohne Kolateralschäden. Diese Art Heraushaltung funktioniert nicht. Sie verliert ihre drei Kinder. Tamara Korber spielt die große Rolle als ständig bewegte und wuselnde Un-Alte, singt mit Mut zur Verzweiflung die zur Erhellung gedachten Songs von Paul Dessau zu ihrem Wandern durch die Jahre auf der Drehbühne. Ohne besondere Stimmkraft (da auch noch im ersten Teil das Mikroport ausfiel) erzielte sie zunächst kaum berührende Wirkung. Ihr Kostüm zeigt sie als eine Art Hippie-Aussteigerin, die ihren Kindern Kumpel, nicht Autorität ist. Eilif, ihr Ältester, gerät denn auch zwischen die Fronten und wird erschossen. Benjamin Muth spielt ihn als selbstbewussten, und wie seine anderen Rollen (der Blinde, der Schreiber, ein Bauer), mit markanter Artikulation. Sein Eilif wird nicht psychologisiert. Männlich will er sich nicht vor dem Soldateneinsatz drücken, deklamiert klar und entspricht wohl so auch etwas mehr dem epischen Theater.
Der zweite Sohn Schweizerkaas (Sebastian Schlicht) wird des Raubs der Regimentskasse verdächtigt und kommt ebenfalls um. Er ist eher der Naive, der seine Mutter unterstützt und ins Unglück stolpert. Die berührendste Rolle hat Stephanie Braune als die stumme Kattrin, die durch ihre Gestik - exponiert oder zart – mal wirkungsvoll, dann wieder kaum beachtet agiert, mit verzweifeltem Trommeln die Stadt warnt, vergewaltigt wird und, wie meist dieser Teil des Volkes, unschuldig stirbt. Hier dann viel überzeugenderer auch die Korber, die ihre unvermeidliche Tragik gestisch verkörpert und recht wirkungsstark über die Rampe bringt. Die Szene mit der Courage und ihrer toten Tochter ist auch immer eine der berühmtesten und berührendsten im Berliner Ensemble gewesen, dort aber mit mehr gespannter Ruhe und mit dem „stillen Schrei“ verfremdet dargeboten. Mutter_Courage_HP1-298
Großes Theater bieten in der Inszenierung Marie-Louise von Gottberg als Yvett Portier (Foto links mit Kober), als Hurenweib, verzweifelt dem Irrsinn nahe, oder als Konkubine des Obristen und schlicht als Bäuerin. Sie ist eine der wenigen, die ihre Songs als Fortsetzung der Dialog-Texte zu interpretieren versuchte. Neben ihr agiert als wirklicher Charakterdarsteller Nenad Žanić als Koch (Foto oben mit Kober), der Brechts „Freundlichkeit“ verkörpert, aber im eigenen Widerspruch gefangen ist. Er will mit der Courage eine geerbte Kneipe betreiben, die aber für ihre Tochter nicht genügend abwerfen würde und diese zurückbleiben müsse. Žanić spricht in einer Art fränkischem Dialekt, mit sonorem Klang auch in den Songs, - eine brechtsche Volksfigur!
Udo Prucha als Feldhauptmann mit Kraft, tattriger Obrist oder Bauer - immer gut verständlich und stets darstellerisch verlässlich präsent. Von den Jungen überzeugt am meisten Brian Sommer als frecher, großmäuliger Werber, Zeugmeister, katholischer Feldwebel u.v.a. weiteren Rollen. Sein unterscheidendes Spiel und prononcierte Sprechbeherrschung machen seine Figuren zu Funken im Geschehen. Dennis Pfuhls Feldprediger, erst gut evangelisch, dann eher resigniert katholisch, betreibt sein „Handwerk“ zwischen den Fronten nicht agitatorisch, sondern pragmatisch. Ein wenig mehr an Sprachkraft darf aber dann auch bei Brecht schon sein.
Das trifft teilweise auch für die Hauptrolle zu: Tamara Korber in ihrer Bewegtheit spricht zu oft nach hinten oder verfängt sich in überbordender Aktion. Endlich, mithilfe der nunmehr funktionierenden Technik wurden auch die Songs hörbar und funktionabel. Welch Wirkung der Texte plötzlich dann auch bei dieser zarteren Courage-Darstellerin entfaltet - enorm! In den Theater(hoch)schulen ist wohl kaum noch ernsthaft das Studium von musikalischen Ausdrucksformen auf dem Plan? Die Ausdruckskraft Brecht-Dessau-Weillscher Songs erfordert eine der Stimm-Dynamik verleihende Wort-Melodie-Synthese. Schade, weil dieses Training für die generelle Bühnenpräsenz der Schauspielern überaus zuträglich wäre – nicht nur bei Brecht. Nicht im Sinne des Autors und seiner Stücke war ihm dabei richtige Gesangstechnik. Berühmt sein Ausspruch über einen solcherart ehrgeizigen Kollegen: „Um Gotteswillen, der kann ja wirklich singen!“ Diesbezüglich bestand in der Annaberger Inszenierung allerdings keinerlei Gefahr...
Wirkungsvoll wurden die Dessau-Songs von der Band unter Leitung von Peggy Einfeldt begleitet, allerdings manchmal die Liedanfänge zu laut überlagert.
Das Publikum, das auch Alters bedingt sowohl aus der Schulzeit als auch vom hiesigen Theater Vorkenntnisse zum Stück mitbrachte, nahm mit Interesse und Wohlwollen die Inszenierung auf und dankte dabei auch für die Ensemble-Courage, dieses heute überaus aktuelle Stück in einer aggressiver und auch kriegerischer werdenden Welt wieder auf die Annaberger Bühne gestellt zu sehen.

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 28.1.2015, 5.,8.,28.2., 19.30 Uhr, 2.2.2015, 10 Uhr

Fotos: Theater Annaberg / BUR