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THEATER ABC

 

 


 


Argentinien auf den Greifensteinen

Selbst das Wetter spielte mit als „Co-Bühnenbildner“ bei der Premiere des Musicals „EVITA“ nebst einem einsatzfreudigen Ensemble sowie dem am Ende begeisterten Publikum.

Zur Premiere am Samstag, dem 11. Juli 2015, 17 Uhr, wurde die gleißende Sonne als Theatermaler auf eine dominant in den argentinischen Farben gekleidet Bühne genutzt (Bühnenbild: Tilo Staudte). Auf dem Programm stand „EVITA“, das Musical Andrew Lloyd Webbers, das durch den Hauptsong „Don`t cry for me, Argentina“ sofort, noch vor der Uraufführung 1978 in London, berühmt und eine der Hymnen des Fußballs für die Argentinische Nationalelf wurde.
Zugegeben - ein Ohrwurm, der von Kerstin Maus in der Hauptrolle auf Deutsch und feinfühlig interpretiert wurde.
Im Mittelpunkt des Musicals steht die bombastische und gleichsam ins Rührselige transkribierte Lebensgeschichte einer realen Frau, die die Stufenleiter von der unehelichen Tochter eines Großgrundbesitzers, über Liebschaften zum Model, zur Radiomoderatorin und Schauspielerin, schließlich zur First Lady an der Seite Präsident Juan Peróns geschafft hatte - Eva Duarte de Perón. Jenes Putsch-Generals, der eine Allianz mit Adolf Hitler einging, den italienischen Faschismus lobte und meinte: „Hitlers Kampf im Frieden wie im Krieg wird unser Leitstern sein...”Evita Greifensteine 1 (Andere)

Ihre Karriere war Film reif, und wie dieser ist sie gemacht vom Massenmedium Rundfunk, Auftritten auf Wahlkampfveranstaltungen für die Präsidentschaft ihres Mannes und der Manipulation durch politische Slogans, die ins politische Bild am Ende des zweiten Weltkriegs passten. Sie stilisierte sich geschickt als Frau aus dem Volke als sie längst nicht mehr dazu gehörte (ihre Hüte soll sie dort gekauft haben, wo dies auch Hitlers Geliebte, Eva Braun, tat), sie trat für das Wahlrecht der Frauen ein, was Perón auch einführte - und glänzte als schillernde Schönheit an seiner Seite. Ein wahres Aschenputtel-Märchen bis hin zum Glassarg, in den sie nach ihrem frühen Krebstod mit 33 Jahren tatsächlich kam und der von den folgenden Mächtigen lange Zeit verschleppt wurde, weil sie für die nicht standesgemäß war und vom gefährlichen Volke inzwischen als Wohltäterin wie eine Heilige verehrt wurde.
All das kann man in der ehrgeizigen Inszenierung von Tamara Korber und Ingolf Huhn sehen und hören. Das große Ensemble gibt sein Bestes und füllt die Freilichtbühne bis in die Felsen hinauf, von denen scheinbar Frank Unger, der Tango tanzende Provinz-Liebhaber, schmelzend mit angenehmer Tiefe sein „Diese Nacht ist so sternenklar“ erklingen lässt.
Dem Tenor war diesmal die nicht so gefällige Rolle des egozentrischen Machos zugefallen. Die Herren des Chores agieren als aufsässiges Volk, als stramme Offiziere - mal mit, mal gegen die Regierung - als Geheimpolizei. Und Leander de Marel hat als Stabsoffizier mal wieder die entlarvenden Sätze parat wie u.a. „Bauerfängerei ist längst noch keine Staatskunst“!
Überhaupt sind die Texte in der Übersetzung von Michael Kunze dazu angetan, das Publikum über die national-sozialistischen Absichten der Herrschenden aufzuklären und damit den schwärmelnden Politkitsch des Musicals zu mildern.
Perón selbst wird von Jason-Nandor Tomory mit dessen lyrischen Bariton vermenschlicht, der eher als zögerlicher auftretender Machtfaktor seiner resoluten Gattin folgt, schön anzuhören und sympathisch den Diktator gebend.
Sein und Evitas Gegenspieler ist Che, natürlich in kakifarbener Uniform als Mephistopheles die Militärjunta entlarvend. Tomasz Dziecielski singt mit guter Artikulation die wichtigen Texte und bleibt mit seiner Musicalstimme überzeugend sensibel auch im Kämpferischen. Ob der wirkliche Che jedoch solche Texte von sich gegeben hätte wie „Tief gesunken ist das Land, wenn einer aufsteigen kann aus dem vierten Stand!“, bleibt anzuzweifeln. Evita Greifensteine 5 (Andere)
„Jung, schön und geliebt“ kämpft, laviert, agiert und singt sich Kerstin Maus als Evita durch deren Biografie.
Sie wechselt die Männer wie die Kleider, die stets eleganter werden (Kostüme: Erika Lust, die mit Genauigkeit auf Zeit relevante Details auch in den Massenszenen achtete!). Gesanglich ist Kerstin Maus kräftig ohne Pathos und überzeugend als selbstbewusste Frau. In den Höhen war sie manchmal von Webbers unbegründeten Extemporés seines gefühlten Fünf-Ton Umfangs an Melodie ein wenig spitz. Als Darstellerin ist Frau Maus wahrlich sehr gewachsen.
Therese Fauser spielte und sang sehr schön und grazil, die der Favoritin weichenden Geliebten Peróns, - eine zwar kleine Rolle, aber mit bleibendem Eindruck. Komplimente gehen an die Vielzahl der kleineren Rollen und Kleindarsteller und an den als solche agierenden Chor (Leitung: Uwe Hanke). Man spürte die Absicht der Regie, Menschen in den verschiedenen sozialen Gruppen zu charakterisieren und zu differenzieren. Die hierzulande eher befremdliche Volksverehrung für eine solche Herrschafts-Ikone wurde mit Zeichen christlicher Ikonografie geschildert.
Da bei dieser Inszenierung auf die große Orchesterfassung Andrew Lloyd Webbers zugunsten einer vergrößerten Live-Combo verzichtet wurde, blieben die Sounds nahe der an sich raffinierten südamerikanische Rhythmik und ihrer Vielfalt an Tänzen und Effekten. Schade, dass die toll spielenden Musiker unter den Kulissen am rechten Plateau nicht besser zu sehen waren. Unter der Leitung von Markus Teichler und seinen reichlichen Computerraffinements konnte der 1. Kapellmeister der Erzgebirgischen Philharmonie, Dieter Klug, die musikalische Gesamtleitung mit straffer Hand und viel detaillierter Aufmerksamkeit für die Solisten meistern.
Zuschauer, die das Musical 2006 mit Susanne Dengler (die auch die Titelpartie im Schillertheater Gelsenkirchen in den neunziger Jahren gesungen hatte) im Eduard von Winterstein-Theater noch in Erinnerung hatten, sprachen von einem damals wohl kompakteren Erlebnis. Gleichviel sei betont, dass diese neue Freilichtinszenierung auf der Riesenbühne der Greifensteine anderen Gesetzen unterworfen werden muss, als im viel kleineren Haus in Annaberg.
Den Besuchern der nächsten Vorstellungen sei nochmals ans Herz gelegt, den Sprech- und Songtexten bewusst zu folgen und diese nicht nur als Musikfüllsel passiv zu konsumieren!
Manches Microport der älteren Generation sollte - zur besseren Textverständlichkeit und Klangschönheit der SängerInnenstimmen - demnächst nach und nach ausgetauscht werden.

Eveline Figura
Fotos: Dirk Rückschloß/BUR

Nächste Vorstellungen:
15.7., 17 Uhr; 26.7., 15 Uhr; 11./12./16./18./23./26./29. August, 15 Uhr