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Im Zeichen der Toleranz
Zur Geschichte der Freimaurer in Annaberg
Vor 160 Jahren gründetet sich die Annaberger Loge „Freimaurerische Vereinigung“, die 1855 als „St. Johannisloge zum treuen Bruderherzen“ in das Vereinsregister eingeschrieben und 1935 von Annaberger Nationalsozialisten aufgelöst wurde. Das einstige Logenhaus ist heute auf der Straße der Freundschaft dem Verfall preis gegeben. Alljährlich am 27. Januar gedenken Annaberger Demokraten den Opfern des Nationalsozialismus – die Freimaurer dieser Stadt sollten dabei nicht vergessen werden.
„Während die Brüder Großbeamte, wirkliche und stellvertretende, sich in einem besonderen Zimmer zum Eintritte vorbereiteten, waren die Stifter der neuen Loge im Arbeitssaale versammelt...” so beginnt der Chronist Br. Friedrich Ludwig Meißner, zugeordneter Landesgroßmeister aus Leipzig seinen Bericht über die am 18. März 1855 „Im Auftrag der Ehrwürdigsten Großen Landesloge des Königreichs Sachsen im Orient von Annaberg vollzogene Installation der gerechten und vollkommenen St. Johannisloge zum treuen Bruderherzen”.
Mit dieser Lichteinbringung, wie die zermonienreiche und für den Außenstehenden noch immer mystisch erscheinende freimaurerische Logeneinweihung auch genannt wird, verfügte Annaberg mit über eine der ersten Logen im erzgebirgischen Raum. Bereits am 2.4.1852 gab es die Loge als „Freimaurerische Vereinigung“, die in der Gaststätte „Gensel-Garten“ in der Glumannstraße (die 1923 abgerissen wurde, neben an ist 1905 das bestehende Logengebäude errichtet worden) zunächst ihren „Tempel“ im Vereinslokal hatte. Am 30.4.1854 beschlossen die Annaberger Brüder, sich um ein Konstitutionspatent bei der Großen Landesloge von Sachsen zu bemühen, welches ihnen dann auch - als 26. Tochterloge - am 24.10. 1854 ausgefertigt wurde.
Weitere Logengründungen sind für Mitte des 19. Jahrhunderts im Erzgebirge nachzuweisen, z.B.: „Archimedes zum sächsischen Bunde“ in Schneeberg, „Zu den 3 Rosen im Erzgebirge“ in Aue, „Zur Harmonie“ in Chemnitz, (die Chemnitzer Freimaurerloge „Harraseiche“ wurde erst 1924 selbständig), „Rosenstock im Sachsenfelde“ als Logenkränzchen in Schwarzenberg sowie eine Reihe weiterer Freimaurerklubs, u. a. in Zschopau und Geyer („Hieronimus von Lotter zur Leuchte am Greifenstein“) oder der sehr aktive „Flöhatal-Klub“.
Die Traditionen der Freimaurerlogen der großen sächsischen Städte reichen bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts zurück und fanden sich erst relativ spät zur „Großen Landesloge von Sachsen“ (1811) zusammen. Als deren Vorgänger gründete bereits 1738 ein natürlicher Sohn des Königs August des Starken, Graf von Rutowski, nach französischem Vorbild in Dresden die Loge „Aux trois aigles blancs“ (Zu den drei weißen Adlern).
„Freimaurer“ am Bau der Annen-Kirche beteiligt
Untereinander verabredete man schon damals geheime Erkennungszeichen, Worte und bestimmte Handgriffe, die nur eingeweihten Baumeistern zugänglich waren und dem Maurer ein Art „Recht auf Arbeit“ zusicherten. Die kühnen Konstruktionen und großzügigen Grundrisse manch einer der sächsischen spätgotischen Hallenkirchen wurden im Inneren solcher Bauhütten entworfen. Es kann als gesichert gelten, dass auch beim Bau der Annen-Kirche in Annaberg „Frei-Maurer“ am Werke waren und durchaus als mittelbare traditionelle Vorläufer der 400 Jahre später gegründeten Annaberger Loge „Zum treuen Bruderherzen“ angesehen werden können.
Der sogenannte „Annaberger Hüttenstreit“ von 1518 zwischen Jakob von Schweinfurt und Franz Maidburg, in welchem den „Maurern“ des ersteren deren fehlende Ausbildung zum Bildhauer in einer „Hütte“ vorgeworfen wurde, weist die Anwesenheit solcher Bauhütten beim Annaberger Kirchenbau nach. Ebenso ist das Zusammentreten der Steinmetzen aus Annaberg, Meißen, Böhmen und der Lausitz unter dem Vorsitz von Benedikt Ried am Annentag 1518, - um sich von hemmenden mittelalterlichen Hüttengewohnheiten zu trennen, - ein Beleg für die Aktivitäten der damaligen Annaberger „Logen“. Durch den Landesvater Herzog Georg der Bärtige, der dem erneuten Einspruch der konservativen Haupthütten widersprach, konnte der Fall für Jakob von Schweinfurt und damit auch für die modernen Architekturvorstellungen des Benedikt Ried entschieden werden.
Humanismus und Toleranz als oberstes Gebot der Freimaurerei
Die Annaberger Loge „Zum treuen Bruderherzen“ fühlte sich vom Beginn ihres Wirkens an die sogenannten „Alten Pflichten“ gebunden. Jenen Grundgesetzen der Bruderschaften, wie sie 1723 auf Veranlassung des Herzogs von Montagu durch den Reverend James Anderson in einem Konstitutionsbuch zusammengestellt worden sind. Demnach wären die zeitlosen humanistischen und auf Toleranz ausgerichteten Grundsätze der Freimaurerei kurz gefasst folgende: Religiosität, aber ohne jeglichen konfessionellen Zwang / Fast grenzenlose Toleranz / Achtung der Meinungen und Handlungen Andersdenkender / Anständige, saubere, moralisch einwandfreie Lebensführung / Brückenschlag zu Menschen die einander sonst ständig fremd geblieben wären / Alles zu tun, was Leben erhält, fördert und schützt, und alles zu vermeiden in Wort, Tat, Handlung und Gebärde, was Leben vernichtet, einschränkt oder verunstaltet.
Besonders mit dem letzten Grundsatz bekommt die Idee des Bauens, als Gegen-Idee von zerstören und vernichten, ihre die gesamte Menschheit umfassende Ausprägung. Gleichzeitig ist hierin eine der Ursachen für die Ablehnung und Verfolgung der Freimaurerei und ihrer Brüder seitens der verschiedenen politischen Systeme und konfessionellen Richtungen mit begründet.
Die Neue Loge wird geweiht
Die Annaberger Johannis-Loge hatte ihre ursprüngliche Heimstatt von 1855 bis 1905 in einem alten, scheunenartigen Fachwerkbau mit gastronomischer Wirtschaft in der Nähe des späteren Logengebäudes (1905). Die Installation der Loge hat im Saal der Gaststätte stattgefunden, die sich im sogenannten „Gensel-Garten“ befand. Dieses Gebäude ist 1923 abgerissen worden. In diesem Garten hat sich bis etwa in die 1960er Jahre ein Ganymed, eine Sandstein-Putte, befunden, die von französischen Truppen bei ihrer Belagerung von Wien während des Dreißigjährigen Krieges aus dem Garten des Schlosses Schönbrunn gestohlen wurde und mit nach Annaberg geschleppt worden sei. Bis heute ist dieser steinerne Gott des Weines unauffindbar geblieben...
Der erste Vorsteher der Freimaurerloge war der Annaberger Kaufmann und Banker Ferdinand Lipfert (Lipfert-Straße). Mutmaßlich ist die Loge aus der Lipfert-Stiftung hervorgegangen. Zumindest sind offensichtlich beträchtliche Mittel von Lipfert selbst für den Bau des neuen Logenhauses aufgebracht worden.
Am 5. September 1905 wurde die letzte Arbeit im Saal der alten Loge abgehalten auf der man die Verdienste des „i.d.e.O. (in den ewigen Orient) Eingegangener würdigte und dem Bruder Bräuer zu seinem 75. Geburtstag beglückwünschte. Am 12. September des gleichen Jahres versammelte sich die Annaberger Brüderschaft mittags um 12.00 Uhr zur Abschiedsloge noch einmal im alten Tempel. Still und ernst gestimmt verließen hierauf die Brr. die alte Arbeitsstätte, um sich zum Einzug in das neue Heim im Logengarten zu versammeln“.
Der Chronist meint hier bereits den Garten des neuen Logenhauses an der späteren Logenstraße 7 (vormals Glumann-Straße). Es wird berichtet, dass unter der Teilnahme des Großmeisters der „Großen Landesloge von Sachsen“, Br. Erdmann, die 3 mal 3 Lichter auf dem Altar entzündet wurden und vom Annaberger Seminaroberlehrer und köngl. Musikdirektor, Gustav Bruno Dost, eine Einweihungs-Kantate zum Vortrag kam. Der „Hammerführende“ (Verantwortliche für das Ritual) war an diesem Tag der Annaberger Meister vom Stuhl Bruder Kurlbaum, der in einer „tiefdurchdachten Zeichnung“ (Vortrag) auf die traditionellen humanistischen Werte der Freimaurerei einging.
Intoleranz macht sich breit
Die Arbeit der Annaberger Loge war offenbar in den zurückliegenden Jahren nicht immer nur mit Freundlichkeit durch die hiesigen Bewohner bedacht worden. So wäre auch zu erklären, weshalb die Leitworte in der „Zeichnung“ von Bruder Olzscha schon damals nachdenklich stimmen mussten, wenn er ausrief: „Glücklich, wer der Zeiten Drangsal an der Liebe Hand durchschreitet! Glücklich, wen durch Meinungswirren ihre treue Fahne leitet! Selig, wer an Bruderhand seinen Weg zum Tempel, ins Asyl der Liebe fand!“
Die grausame Bestätigung für diese leisen Vorahnungen sollte aber erst dreißig Jahre später folgen. Vorerst lebte die Loge „Zum treuen Bruderherzen“ erneut auf und wurde zur Einweihungs-Loge von den anwesenden Vertretern der sächsischen Bruderlogen reich beschenkt. So kam von der „3-Bergen-Loge“ aus Freiberg ein silberner Kelch zur Ausbringung der entsprechenden Toaste auf die Schwestern. Bekanntlich sind die Freimaurer-Logen reine Männerbünde, zu denen die Frauen keinen Zutritt haben. Dies trifft zumindest auf den gesamten Ritual-Bereich, nicht jedoch auf den Freizeitbereich zu. Eine Ausnahme bildet nur die Berliner Frauenloge, die sich noch 1942 (!) gründete.
Großes soziales Engagement
„Erkenne dich selbst!“ - so lautete der Begrüßungsspruch am neoklassizistischen Portal des neuen Logenheimes. Diesem Grundsatz der Selbsterkenntnis blieb die Annaberger Loge „Zum treuen Bruderherzen“ bis zu ihrer zwanghaften Auflösung im Jahre 1935 durch Annaberger Nationalsozialisten medial und tätig verbunden. Auffällig ist besonders ihr soziales Engagement für die Schwachen und Bedürftigen in der unmittelbaren Umgebung, aber auch über Ländergrenzen hinweg. Sicher ist es den Annaberger Ärzten, Fabrikbesitzern, Kaufmännern, Lehrern, Pfarrern und Bankdirektoren, die im wesentlichen die personelle Zusammensetzung der Annaberger Loge ausmachten, nicht schwer gefallen, finanzielle Großzügigkeit gegenüber Minderbemittelten walten zu lassen. Beachtlich ist lediglich, dass im Vergleich zu anderen Logen, die Annaberger in größerer Regelmäßigkeit (teilweise monatlich) Spenden abführten.
Eine unvollständige Auflistung der Spenden aus den Anfangsjahren liegt vor. Diese Zuwendungen an Bedürftige setzte sich auch während der Inflation fort. Die eigenen Ausgaben der Annaberger Loge erhöhten sich ab etwa 1921 beträchtlich, zumal das Logenhaus 1920 elektrisches Licht und Telefon erhielt. Die Meisterschaft beschloss daher 1922 „...das alte Logengebäude dem Abbruch zu übergeben und den Platz planieren zu lassen“.
Dr. Wünschmann - der Meister vom Stuhl
Am 15. Oktober 1929 führte der Meister vom Stuhl, Dr. Wünschmann, seine letzte Arbeit über „Das Verhältnis unseres Annaberger Peter Gast zu seinem großen Freunde, dem Philosophen Friedrich Nietzsche“ aus (Gast, d.h. Heinrich Köselitz, und Nietzsche waren keine Freimaurer). Welche Bedeutung dem am 10. Januar 1930 verstorbenen Br. Wünschmann zukam, wird wohl am deutlichsten in einem Nachruf der „Großen Landesloge von Sachsen“ worin es u.a. heißt: „Eine Leuchte der Wissenschaft war er für Annaberg und das obere Erzgebirge besonders; der engeren Heimat galten seine wissenschaftlichen Forschungen auf dem Gebiete der Geschichte, Kulturgeschichte, Erdkunde und Naturgeschichte. Für Annabergs Schulleben bleibt er immer der pflichtgetreue und liebevolle Lehrer und Erzieher. (...) Seine Bücherei ist wohl eine der größten und sein Wissen glich einem alles umfassenden Lexikon."
Der Annaberger Freimaurer Dr. Max Wünschmann war übrigens auch 27 Jahre lang 1. Vorsitzender des Erzgebirgsvereines. Die ursprünglich für den März 1930 geplante Feier des 75 jährigen Jubiläums der Annaberger Loge wurde wegen seines Ablebens mit dem Johannisfest verknüpft.
Bekannte Bürger der Stadt waren Freimaurer
Die Verluste, die der 1. Weltkrieg in den Bruderreihen hinterließ, konnten von 1921 an durch ständig steigende Aufnahmen etwas ausgeglichen werden. So sind ab 1922 jährlich im Durchschnitt sechs Mitglieder aufgenommen worden. Seit die Logenbekanntmachungen ab März 1922 in der „Buchholzer Zeitung“ erfolgten, bekam die Annaberger Loge auch von dort Zulauf. Die Annaberger Loge „Zum treuen Bruderherzen“ hatte mit Beginn der 20er Jahre bis zu ihrer Auflösung durchschnittlich 100 Mitglieder, die sich gemäß der freimaurerischen Hierarchie in folgende Hauptgruppen gliedern lassen:
1. Ehrenaltmeister/Ehrenmeister: Der bekannteste von ihnen dürfte der Ehrenbürger der Stadt Annaberg, der 2. zugeordnete Meister vom Stuhl, Bruno Matthes (1922-25), gewesen sein.
2. Beamte: Die Meister vom Stuhle. Unter ihnen der Ingenieur Karl Achtermann (1917-26) und der Oberstudiendirektor, Dr. phil. Max Wünschmann (1926 - 30). Die Ersten und Zweiten zugeordneten Meister vom Stuhle, Erste und Zweite Aufseher, Verhandlungs- und Verkehrsschriftführer, Schatzmeister, Archivare, Bibliothekare, Redner, Vorbereitende, Erste und Zweite Schaffner, Ökonome und Hausverwalter sowie die beiden Musikmeister Bruno Dost (1906 -14) und Richard Wagner aus Buchholz (ab 1925).
3. Ständig besuchende Brüder, aus Annaberg, Buchholz, Schlettau, die übrigens durchweg ihren Geburtsort außerhalb des Erzgebirges hatten, u. a. der Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Annaberg Isaak Chanange oder der Annaberger Bankdirektor Wilhelm Röhl.
4. Die allgemeinen Mitglieder ohne besondere Funktion (bis 1930 einschl. Mitgliedsnummer 384 nachweisbar).
5. Ehrenmitglieder, die sämtlich ihren Geburtsort und auch Wohnsitz außerhalb Annabergs hatten, u.a. der Gewerbestudiendirektor Prof. Johannes Lorenz aus Schneeberg oder der Schulrat Richard Seyffarth aus Altenburg/Thüringen.
6. Helfende Brüder, die für die niederen Dienste der Bruderschaft eingesetzt worden sind; darunter befanden sich ausschließlich Arbeiter, mit Ausnahme des Annaberger Masseurs und Bademeisters Markus Weißflog, der gleichzeitig Logenkastelan war und deshalb seinen Wohnsitz im Haus der Annaberger Freimaurer, Logenstraße 7, haben durfte.
Jedes Mitglied bekam bei seiner Aufnahme in den Annaberger Männerbund einen Logenpass für 10 Mark ausgestellt, den es ständig bei sich zu tragen hatte. Zusätzlich war es zeitweilig üblich, als vertrauliches Erkennungszeichen ein Vergissmeinnicht am Rockaufschlag zu tragen (im Frühling aus echten Blumen, später dann aus Kunstblumen oder als Keramikabzeichen).
Die Aufnahmegebühren, die nach vorherigen strengen Ritualen und unter Beibringung von Bürgen erfolgte, betrugen am 19.5.1925 wieder 100 RM, während sie zwei Jahre zuvor noch bei 5.000.000 Mark lagen. Mit Stolz wird darauf verwiesen, dass die Almosensammlung im Inflationsjahr 1923 die Summe von 7.420.000.000 Mark erbracht habe.
Frauenfreundliches Logenleben Neben den erbaulichen Veranstaltungen (Zeichnungen) und sonstigen inhaltlichen Maurer-Arbeiten, haben die Annaberger Freimaurer durchaus zu feiern verstanden. Davon zeugen die häufigen Einladungen zu den sogenannten Tafel-Logen, bei denen nach dem maurerischen Anlass die eigentliche Geselligkeit folgte, und bei der Gelegenheit ab 1928 häufig aus dem von der „Großen Landesloge Sachsen“ herausgegebenen Liederbuch „Bei Hammerschlag und Becherklang“ gesungen wurde. Jeden Dienstag fanden um 20 Uhr gesellige Zusammenkünfte und Kegelabende sowie jeden Freitag „...eben solche Treffen mit oder ohne Vorträge statt, an denen teilzunehmen die gel. Brr. dringend gebeten werden“ - heißt es in den Regeln der Annaberger Freimaurer. Selbstverständlich war auch die Kleiderordnung vorgeschrieben: „Bei gewöhnlicher Logenarbeit: Gehrock und schwarze Binde; bei Aufnahmen, Beförderungen, Erhebungen, Johannisfest, Stiftungsfest und Schwesternfest: Frack und weiße Binde“.
Obwohl Frauen keinen Zutritt zur Loge und deren Arbeit selbst hatten, sind durch die Annaberger Brüder regelmäßig Treffen der Frauen organisiert worden. So fanden z. B. jeden Donnerstag um 15 Uhr im Logenhaus Schwesternzusammenkünfte statt. Im Sommer stand der große Logengarten alltäglich den Familien zur Benutzung offen. Die Erdgeschossräume des Hauses Logenstraße 7 wurde den Logenmitgliedern und ihren Familien, „gegen Entschädigung in die Logenkasse“ zu Familienfestlichkeiten überlassen.
Einmal durften die Annaberger „Schwestern“ auch an der Tempelarbeit, allerdings ohne übliches Ritual, teilnehmen. Dafür überreichten sie im Jahre 1926 aus Dankbarkeit einen selbstgefertigten Bodenbelag für die Veranda des Logenhauses. Eine weitere Geste an die Frauen der Brüder erfolgte ein Jahr später, als ein Schwestern-Kegelklub gegründet wurde und von nun an die erneuerte Kegelbahn auch von ihnen benutzt werden durfte.
Hetze - Vertreibung - Vernichtung Die reichhaltige Bibliothek stand allen offen. Dort waren auch ab 1927 die Hetz-Schriften des Generals Erich Ludendorff und seiner Frau Mathilde zugänglich. „Auch in unserem Bruderkreise nahm man fast keine Notiz von der Ludendorff-Broschüre, da sie sich selbst richten würde...“ - meinte man fast nachsichtig noch 1927 in einer der Annaberger Meisterbesprechungen; nur schwach ahnend, dass dies die Fortsetzung der Jahrhunderte langen und weltweiten Verfolgung auch der erzgebirgischen Freimaurer bedeuten sollte. Schon einmal, im Frühjahr des Jahres 1921 heißt es in den spärlich vorhandenen Unterlagen der Loge: „Die sich häufenden Angriffe auf die Freimaurerei wurden zur Beachtung empfohlen; Abwehr- und Aufklärungsarbeiten müßten in Zukunft mehr einsetzen."
Annaberger Nationalsozialisten lösen Loge auf Etwa ab 1931 sind in der Annaberger Loge zunehmend beunruhigender Töne wahrzunehmen und ein gewisser Auflösungsprozess setzte ein. Auch die Annaberger Nationalsozialisten verfuhren wie ihre Parteigenossen anderwärts, indem sie versuchten, dem Ganzen einen halbwegs legalen Anschein zu geben. Sie sorgten für die Auflösung der Vereine, bzw. auch die kurzzeitige Überführung in Ordens-Bünde, für die Einsetzung städtischer Liquitatoren und sogar für Angebote von Kaufverträgen, durch die das Vermögen der Logen an staatliche Institutionen übertragen werden „durfte“. Im Jahre 1928 steht das Annaberger Logenhaus noch als Besitz der Brüderschaft im hiesigen Adressbuch. Neun Jahre später ist der Eigentümer die Stadt Annaberg. Die Loge „Zum treuen Bruderherzen“, die 1933 noch 103 Mitglieder zählte, wurde am 15.7.1935 - etwa zum gleichen Zeitpunkt wie die „Harraseiche“ in Chemnitz (Foto unten) – von den Annaberger Nazionalsozialisten und ihren zahlreichen Helfern aufgelöst.
Dokumente über die Auflösung der Annaberger Loge sind bisher nicht aufgefunden worden. Es kann von daher auch nur spekulativ angenommen werden, ob es zu Verhöhnungen, Plünderungen, Schaustellungen und Terror, wie in anderen Städten Sachsens, auch in Annaberg gekommen ist. Wenn man allerdings weiß, dass es in Annaberg 1938 eine „Kristallnacht“ gegen das Bethaus der Juden, das nich-jüdische Kaufhaus EHABE in der Kaiser-Wilhelm-Straße, das jüdische Kaufhaus FRank in der Johannisgasse, den jüdischen Friedhof sowie gegen einzelne jüdische Bürger Annabergs gegeben hat, so dürfte die Vermutung auch in die freimaurerische Richtung nicht auszuschließen sein.
In einem „Führererlass“ vom 1. März 1942 an alle Dienststellen der Wehrmacht, der Partei und des Staates heißt es: „Juden, Freimaurer und die mit ihnen verbündeten weltanschaulichen Gegner des Nationalsozialismus sind die Urheber des jetzigen, gegen das Reich gerichteten Krieges. Die planmäßige geistige Bekämpfung dieser Mächte ist eine kriegsnotwendige Aufgabe”. Bei dieser „geistigen Bekämpfung“ blieb es allerdings nicht.
Die Ermittlung der Verluste der Annaberger Freimaurer und deren Wiedergutmachung steht noch aus. Denn obwohl Kommunisten und Freimaurer oftmals das gleiche Schicksal durch den NS-Staat erleiden mussten, hatte die DDR-Führung in ihrer kleingeistigen Ängstlichkeit vor jedwedem intellektuellen Andersdenken nicht die Souveränität aufgebracht, die Freimaurer zuzulassen.
Verhaltensregeln erschweren Aufklärung Eine weitere Problematik bei der Aufklärung der Geschichte der Annaberger Freimaurer ergibt sich aus dem freimaurerischen Schweigever- und Nachlassgebot. Die Annaberger Freimaurer hatten sich dazu folgende Verhaltensregel auferlegt, die auch sehr streng eingehalten wurde: „Die Mitgliederverzeichnisse, das Gesetzbuch und andere von der Loge erhaltene Schriftstücke dürfen zur Verhütung von Mißbrauch keinesfalls in andere Hände übergehen. Sie sind ebenso wie die maurerischen Bekleidungsgegenstände als Eigentum der Loge zu betrachten und sorgfältig aufzubewahren. Jeder Br. ist verpflichtet, Vorkehrungen zu treffen, daß für den Fall seines Einganges i.d.e.O. deren Einsendung an seinen Bürgen oder an die Loge direkt erfolgt.“
Der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft diente das alte Logenhaus bis 1989 als Domizil und der Stadt als kultureller Veranstaltungsort. Für die Heimatforschung liegt hier ein interessantes Aufgabenfeld bereit, weil nunmehr eine Geschichtsaufarbeitung stattfinden könnte, die im humanistischen und toleranten Sinne der Brüderschaft möglich wäre und die für andere Bereiche im Umgang mit jüngster Geschichte Maßstäbe setzen sollte.
Mittlerweile soll das ehemalige Logenhaus an einen ausländischen INvestor verkauft worden sein soll, der allerdings keine Invetitionsabsichten haben dürfte, denn das einst schöne und derart geschichtsträchtige Haus verfällt weiter.
„Erkenne Dich selbst!“ - stand ehemals über dem Eingang des Annaberger Logengebäudes. Der Verfall dieses Hauses darf nun nach fast 25 Jahren seiner letzten Funktion als ein weiteres unrühmliches Zeichen im Umgang mit den Zeugnissen der Geschichte in Annaberg-Buchholz und offensichtlich auch als ein Indiz für fehlende städtische Selbsterkenntnis gewertet werden...
Gotthard B. Schicker
Freimaurervereinigungen in Sachsen vor 1944
Die Angaben zu den Mitgliederzahlen beziehen sich auf um 1900
„Baldur zu den drei Sternen“ in Altenburg, 106 Mitglieder
„Zum treuen Bruderherzen“ in Annaberg, 117 Mitglieder
„Zu den drei Rosen im Erzgebirge“ in Aue, 128 Mitglieder
„Parzival“ in Auerbach i.V., 55 Mitglieder
„Zur goldenen Lotosblume“ in Crimmitschau, 89 Mitglieder
„Zur Wahrhaftigkeit und Bruderliebe“ in Döbeln, 140 Mitglieder
„Zu den drei Bergen“ in Freiberg, 249 Mitglieder
„Zur Verschwisterung der Menschheit“ in Glauchau, 124 Mitglieder
„Lessing zu den drei Ringen“ in Greiz, 77 Mitglieder
„Albert zur Eintracht“ in Grimma, 165 Mitglieder
„Concordia“ in Meerane, 87 Mitglieder
„Zur Pyramide“ in Plauen i.V., 291 Mitglieder
„Zum deutschen Glauben“ in Plauen i.V., 52 Mitglieder
„Archimedes zum sächsischen Bunde“ in Schneeberg, 124 Mitglieder
„Zum Rosenstock in Sachsenfeld“ in Schwarzenberg, 23 Mitglieder
„Zur festen Burg“ in Triptis, 68 Mitglieder
„Bruderkette zu den drei Schwanen“ in Zwickau, 203 Mitglieder
„Zu den drei Türmen“ in Zwickau, 96 Mitglieder
„Solon“ in Chemnitz, 90 Mitglieder
„Zur Harmonie“ in Chemnitz seit 1799, 520 Mitglieder
„Harraseiche“ in Chemnitz, 23 Mitglieder
„Archimedes zu den drei Reisbrettern“ in Altenburg, 56 Mitglieder
Freimaurerklub "Zum Johannisfeuer am Zschopaufels" der Harmonie Loge Chemnitz in Mittweida, 33 Mitglieder
Freimaurerklub "Flöhatal" der Harmonie Loge Chemnitz in Pockau, 38 Mitglieder
Freimaurerklub der Harmonie Loge Chemnitz in Frankenberg, 19.05.1877 gegründet, 30 Mitglieder
Freimaurerklub der Harmonie in Zschopau, 38 Mitglieder
Freimaurerklub der Harmonie Loge Chemnitz in Limbach, 30 Mitglieder
Freimaurerklub "Zur Bruderkette am Taurastein" der Harmonie Loge Chemnitz in Burgstädt, 15 Mitglieder
Freimaurerklub "Hermann zur Brudertreue" der Harmonie Loge Chemnitz in Stollberg, 46 Mitglieder
Freimaurerklub „Zur goldenen Brücke“ in Reichenbach i.V., 42 Mitglieder
Freimaurerklub der Apollo Loge Leipzig in Borna *
Freimaurerklub "Schwerterrunde" der 3 Schwerter Loge Dresden in Most (Brüx) *
Freimaurerklub "Zur Johannisrose" der Albert Loge Grimma in Colditz *
Freimaurerklub "Zu den drei Säulen im Erzgebirge" der 3 Rosen Loge Aue in Eibenstock *
Freimaurerklub "Bruderverein im Weißeritztal" der 3 Berge Loge Freiberg in Freital *
Freimaurerklub "Hieronymus Lotter zur Leuchte am Greifenstein" der Harmonie Loge Chemnitz in Geyer *
Freimaurerklub "Baldur" der 3 Schwanen Loge Zwickau in Kirchberg *
Freimaurerklub der Albert Loge Grimma in Leisnig *
Freimaurerklub der Pyramide Loge Plauen in Marktneukirchen *
Freimaurerklub "Hermann zur Brudertreue" der Harmonie Loge Chemnitz in Oelsnitz i.E. *
Freimaurerklub der Akazien Loge Meißen in Nossen *
Freimaurerklub der Ehernen Säulen Loge Dresden in Rosswein *
Freimaurerklub "Zum aufgehenden Licht im oberen Vogtland" der Pyramiden Loge Plauen in Schöneck *
Freimaurerklub "Zur Treue im Vogtland" der Pyramiden Loge Plauen in Treuen i.V. *
Freimaurerklub der Wahrhaftigkeits Loge Döbeln in Waldheim *
Freimaurerklub "Zum goldenen Anker " der Lotosblumen Loge Crimmitschau in Werdau *
Freimaurerklub der Archimedes Loge Altenburg in Schmölln *
Freimaurerklub der Archimedes Loge Altenburg in Gößnitz *
Freimaurerklub „Erzgebirgstreue“ (vermutl. Frauenloge) der Johannisloge in Annaberg *
* Zu diesen Freimaurervereinigungen konnten bisher keinen Mitgliederzahlen ermittelt werden.
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