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Komisch und tragisch

Annaberger Theater-Impressionen im Dezember 2011

Trotz Weihnachtsmarkt und Einkaufshektik erweist sich das Annaberger Theater und sein Ensemble derzeit als Oase fürs gestresste Gemüt. Das Publikum kommt - auch in Bussen - und amüsiert sich. Wir besuchten die aktuellen Vorstellungen und geben einen Rundblick über Gewesenes, Kommendes und Aktuelles.

Nach der vorerst letzten Vorstellung von „Don Giovanni” am 26.11.2011, bei der sich die Sänger-Darsteller stimmlich und spielerisch in Hochform präsentierten, sie selbst die gewonnenen Sicherheit in ihren Partien regelrecht zelebrierten, sich die Bälle genussvoll zuspielten, gibt es nun ausgerechnet vor, während und nach den Feiertagen kein großes Opern-Erlebnis am hiesigen Haus. Das Annaberger Bildungsbürgertum hat sich allerdings mit dem Besuch dieser Oper unverständlich respektvoll zurück gehalten (dabei tatkräftig „unterstützt” von einer unsichtbaren Werbung fürs Theater im Stadtzentrum) und hat nun die Quittung dafür bekommen. Immerhin können größere Kinder Engelbert Humperdincks lebhaft inszenierte Märchenoper „Hänsel und Gretel”(siehe Kritik) mit ihren Eltern hören und sehen, oder die Kleinen sich bei „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer” mit den Großeltern erheitern.

Die Drei von der Tankstelle - Foto: Annaberger Theater, Dieter Knoblauch

Die Erwachsenen finden die großen Gefühle dann vielleicht in Weihnachtskonzerten der Kirchen oder im IV. Sinfoniekonzert (am 19. und 26.12.), wo es die Erzgebirgs-Philharmonie Aue, diesmal unter der Leitung ihres 1. Konzertmeisters Dieter Klug, noch immer verstanden haben, weihnachtliches Flair zu verbreiten. Solistin 2011 im Weihnachtskonzert Bettina Grothkopf, die sich in letzter Zeit durch ihre Donna Anna (Don Giovanni), ihr Auftreten in der Italienischen Opern-Gala empfohlen hatte und auf deren Mimi in der Neuinszenierung von „La Bohéme” am 22. Januar 2012 man sich freuen darf.

Im Dezember sah man den Zarah-Leander-Abend, „Davon geht die Welt nicht unter” auf der Studiobühne, in dem sich Tatajana Conrad mit ihrem einmal spröde unnahbar, zum andren sehr warm klingenden Mezzosopran sehr akzeptabel dem UFA-Star näherte und gemeinsam mit Max Lembeck als Stichworte gebender Anbeter des Stars, Freund, Kollege, die Garderobenatmosphäre auf der kleinen Studiobühne des Theaters ausfüllte. Tatjana Conrad brachte durch leichte sprachliche Persiflierung der Leander entsprechenden Zeitgeschmack ein, ohne Anspruch auf die historische Aura stellen zu wollen, die ohnedies durch die Mittel des Film erzeugt war, jedoch nicht zu doublen ist.

Die Chansonqualitäten der Conrad sind hiermit unbestritten wie auch ihr besonders im dunklen Tumbre wirkungsvoll platzierter weiblicher Charme. Max Lembeck sang seine Titel meist angenehm zurückhaltend mit einfühlsamer Männlichkeit und war nur dort schwächer, wo er stimmlich forcierte. In verstärktem Maße galt das für die allzu nassforsche Klavierbegleitung von Kajsa Boström, die ihren Fuß einfach nicht auf das linke Dämpfer-Pedal bekam. Annelen Hasselwanders Regie und Michael Eccarius’ Dramaturgie zeigten den Star im Konflikt zwischen unaufhaltsamen Karriere- oder privatem Rückzugsstreben und angeblich „unpolitischer” Anpassung im Hitlerregime. Dabei gelang es zugunsten der Protagonistin nicht, geschönte Verharmlosung zu vermeiden. Das Publikum genoss jedoch die bekannten Ohrwürmer und die weniger bekannten Titel sichtlich. Die gereiften Besucher mit ihren Erinnerungen, die Jüngeren vielleicht mit dem Effekt zu erahnen, wie viel Können die Songs einst und heute erforderten.

(Weitere Vorstellung: 30.Dezember, 20 Uhr)

Die zweite UFA-Retro-Inszenierung ist gottseidank eine Persiflage auf das erste Filmmusical der Welt „Die Drei von derTankstelle” in einer daran angelehnten Inszenierung von Christine Zart,  die ausschließlich vom Sprechtheaterensemble bestritten wird. Die Besucher brauchen diesbezüglich auch keine Befürchtungen zu haben, dass auch nur eine(r) der Protagonisten die vielen bekannten, niedlichen Schlager (Text: Franz Schulz und Paul Frank, Musik: Werner Richard Heymann) richtig singen kann. Über die Mikroports kommen ausschließlich Unterschiede in der emotionalen Spielfreude und Rollengestaltung zum Vorschein.

So gibt der Neuzugang zum Ensemble, Helene Aderhold-Goos, als Lilian Cossmann (im Film die Lilian Harvey), die Naive, Liebe, Unbedarfte durchaus charmant und witzig. Ebenso wie die „Allzweckwaffe” im Männerensemble, Udo Prucha, der im Herren-Dreier um die Gunst der Lilian, quasi den Rühmann mit einigen von dessen Versatzstücken mimt. Er immerhin hat sowohl ein paar berührende Noten auf der Zunge, gestische Slapsticks parat, die der simplen Handlung ein wenig Salz verleihen. Der Ersatz für Sven Zinkhan am16.12.als Favorit bei Lilian wurde von Christian Härtig anständig, und nicht an Willy Fritsch erinnern wollend, gegeben. Der Dritte im Trio, Dennis Pfuhl, muss als männlicher Neuzugang in Annaberg in den kommenden Stücken sowohl sprachlich wie auch spielerisch seine Existenzberechtigung erst noch beweisen.

Überhaupt war der Abend vom Ersatz gezeichnet, wobei Maria Richter mit ihrer gut platzierte Gestik und Komik überzeugte, ohne dabei Gabriele Kümmerling ersetzen zu wollen. Alle anderen waren, Stück bedingt, unterfordert. Der Applaus gilt deshalb insbesondere der Ausstattung von Sandra Linde mit vielen witzigen Details, die die Persiflierung des Stoffs unterstützten, teilweise der Choreographie von Sonja Elstermann, wobei die Stepp-Nummer allzu dürftig wirkte. An erster Stelle des Abends steht für den bescheidenen Erfolg jedoch die BAND mit Peggy und Torsten Einfeld (Klavier/Keyboard), Bob Korwad (Schlagzeug) und Benjamin Richter (Bass), die alle mit viel Dynamik, Gefühl für Zeitgeist, wohlgesetzte Effekte und Rhythmik dem Abend den eigentlichen Schwung gaben. Das Publikum unterhielt sich harmlos. Daher sei ihm nachträglich die Ufa-Filmversion ans Herz gelegt.

Der wirkliche Knaller im Dezember gelang mit „Offene Zweierbeziehung” von Franca Rame und dem mit allen dramatischen Wasser gewaschenen Dario Fo auf der Studiobühne. Das Zwei-Personen-Stück plus Lover-Auftritt am Schluss ist mit Marie-Luise von Gottberg als Ehefrau und Udo Prucha als ständig fremd gehender Ehemann hervorragend besetzt. Tamara Korbers Regie bewegte die agilen Darsteller zwischen nicht endendem Wortschwall realer Verzweiflung, Hoffnung, Ablehnung und Zuneigung zu skurrilen Selbstmord-Choreographien. Die schmerzvoll-ulkigen Hin- und Her-Wendungen führen zur schliesslichen Erkenntnis, dass die Beziehung nicht mehr zu retten ist.

Die Ehefrau, lange in der emotionalen Defensive, bringt es schließlich wirklich zu einem, noch dazu attraktiven Lover. Sein Erscheinen stürzt den Ehemann (nun endlich) in Verlustangst und den (nicht beabsichtigten) Tod. Tragikomik pur, schnelles pointiertes Spiel zwischen lebensnah und unwahrscheinlich erheiternd und erhellend. Hohe Sprachkultur in den schnellen Dialogen, überraschende Beweglichkeit und sympathische Ausdrucksvielfalt der Darsteller. Die Commedia dell arte lässt grüßen! Die Pointe kommt End-lich in der Zusammenarbeit mit Kollegen vom Musiktheater: Alternierend erscheinen Jason-Nandor Tomory (Bariton) oder László Varga (Bass) zunächst mit einer selbstkomponierten Chansoneinspielung auf der Bühne, um dann durch persönlich wirkungsvolles Erscheinen dem Partnerwechsel der Ehefrau Gestalt zu verleihen, die den konsternierten Ehemann in den Fön schickt. Eine kurzweilig-tiefe, aktuelle und (im kleinen Studio) hautnah zu erlebende, tragisch-komische Variation des ewig aktuellen Themas.

(Nächste und leider einzige Vorstellung im Dezember: 21.12., 20 Uhr-Studiobühne)

Eveline Figura

Information zum Spielplan: www.winterstein-theater.de

 

 

 

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