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Sturm und Drang in Annaberg
Schillers Frühwerk „Die Räuber” - entstaubt, verständlich und meisterlich interpretiert – hatte am Winterstein-Theater seine umjubelte Premiere. Ein sehr erfolgreicher Schauspiel-Auftakt zur 120. Spielzeit.
Das Annaberger Theater darf sich rühmen, häufig nach hoch stehenden Sternen zu greifen. So geschehen in der letzten Spielzeit mit der weltweit nur hier auf dem Spielplan stehenden anspruchsvollen Oper „Götz von Berlichingen” von Carl Goldmark. Die nach dem Sturm-und-Drang-Drama des jungen Goethe komponierte eindrucksvolle Oper hatte am vergangenen Samstag ihre erfolgreiche Wiederaufnahme in der neuen Spielzeit. Und nun, einen Tag danach, gleich Schillers Jugendgroßtat „Die Räuber”.
Die umjubelte Premiere von zwei Stunden und 40 Minuten bewies erneut eindringlich wie konzentriert, engagiert und mit welch guten, jungen Kräften in kleineren Häusern gearbeitet werden kann. Die Leitung des Stückes lag dazu vollständig in den straffen und dennoch einfühlsamen Händen von Tamara Korber, der einfallsreichen Regisseurin, die die Abläufe szenisch gestrafft im unverstellten schwarz-weiß Bühnenbild von Annabell von Berlichingen platzierte, deren Kostüme zeitlos mit wenigen Verweisen an die Schillerzeit das packende Spiel untermalten. Die „Psychobox” auf der Hinterbühne, wohin sich die Darsteller in ihrer Zerrissenheit flüchteten, krümmten und kletterten, war allerdings verzichtbar. Die Hauptrollen waren alle komfortabel besetzt: Der Maximilian Graf von Moor durch den Altmeister Gerd Schlott geprägt, der mit kränkelndem Beharrungssinn dennoch den Intrigen seines Sohnes Franz unterliegt, seinem eigenen Versagen mit mimischer und stimmlicher Vielfalt Gestalt verlieh. Der ungeliebte Sohn Franz, gespielt vom „Annaberger Gründgens”, Sven Zinkan (Foto oben mit Helen Aderhold), überzeugte mit seiner wunderbaren Wandlungsfähigkeit nicht nur in den verschiedensten Werken und Genres, wie sie mit ihm in Annaberg bisher schon erlebbar waren, sondern gerade in dieser wahrlich verrückten Gestalt des Franz, der seine verbal beschriebene Hässlichkeit hier nicht als sichtbare Entstellung zeigt, sondern diese in seiner unberechenbaren Zerrissenheit, in seinem Charakter spielt. Wahrlich: Ein großartiger Charakterspieler, dieser Zinkan! So schwankt er zwischen introvertiertem, körperlich verdrehtem Jammern und Gekränktheit als hintan gesetzter Sohn zu raffinierten Intrigen, die mit getarnter, zielstrebiger Grausamkeit durchgeführt werden. Zinkan deklamiert sowohl leidenschaftlich expressiv als auch in leisesten Selbstgesprächen immer kultiviert und die Mittel wägend. Sein Tod schließt damit auch das Bedauern des Zuschauers ein, weil er sein Scheitern auch bis ins gesellschaftliche Beziehungsgeflecht verdeutlichen konnte.
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Der zum „guten” Räuber getriebene Karl Moor wird ansehnlich in Sprache und Gestus von Nenad Zanic (Foto u.a. mit Udo Prucha) gegeben. Vielleicht wirkt er als über die Stränge schlagender Leipziger Student noch zu lange Zeit als zu wohlanständig in seinem immer mehr brutalisierten Räuberhaufen, den er mit Humanität zu disziplinieren meint. Sein Tod, gemeinsam mit Amalia, als Bekenntnis zu seiner Liebe, ist die Abkehr von Anarchie und Gemeinheit. Die einzige weibliche Rolle, gespielt von Helene Aderhold als zupackende, selbstbewusste und temperamentvolle Frau, überzeugte zwar darstellerisch, in Ausstattung (albernes Flügelröckchen, heißen Höschen und Frisurwolle) und manchen Extemporés (Trampelattacken auf der Bühnenschräge) nicht durchgehend. Manche Sequenz hätte noch mehr sprachliche Ausgeglichenheit benötigt, um zu berühren. Am meisten Diskussionsstoff gaben aber wohl die Räuber her. Eine wilde Truppe etwa zwischen „missbrauchten Kindersöldner” und „Olsenbande” angesiedelt. Dennis Pfuhls Spiegelberg zwischen Anstifter und Nonnenvergewaltiger war durchaus differenziert, aber er hätte mehr erwachsenen Zynismus und weniger pubertäre Quirlichkeit vertragen. Udo Pruchas Schweizer wirkte als Mörder Franzens anständig, sein Freitod daher begründet. Der Schufterle Jörg Simmats als der Brutale überzeugend, wechselnd in den Motiven und Gestaltungselementen. Die Figuren des Roller und Kosinsky von Hannes Sell waren wohlbegründet figuriert und gut artikuliert. Auch der Hospitant am Theater, Samuel Schaarschmidt, hielt tapfer mit den studierten Mimen beim Räubern Schritt. Viele Kabinettstückchen aller erster Güte in seinen zwei Rollen lieferte in seiner Fies- und Feigheit der Herrmann des Tim Osten. Seine im Suff endende Dekadenz sowie sein Pastor als Vertreter der das Volk spaltenden Obrigkeit, waren einprägsam und komödiantisch sehr gelungen.
Gut beraten war die Regie mit dezenten Videoeinspielungen von Wald, Blätterfall und gut platzierter Rockmusik, die sowohl die Gefühlslagen der Protagonisten und hoffentlich ebenso die vieler junger Zuschauer promotet. Die Texte Schillers, derart verständlich dargeboten (einige nach hinten gesprochene Passagen und verhaspelte Texte bei den Räuberaktionen sind noch reparabel), haben sich allemal wieder als sehr heutig und brisant gezeigt. Sollten sich nun nur noch die Schüler und Lehrer der Gymnasien, deren Literaturstoff „Die Räuber” sind, genauso an- und aufregen lassen wie die jungen und älteren Zuschauer in der umjubelten Premiere in unserem Theater.
Eveline Figura
Fotos: Dieter Knoblauch / Winterstein-Theater Annaberg
Nächste Vorstellungen:
20./28.10., 3./15./17.11., jeweils 19 Uhr; 15.11., 10 Uhr
www.winterstein-theater.de
Annaberger Theater ABC
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