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Anspruchsvolles Musiktheater

Premiere von „La Bohème“ in Annaberg begeisterte Publikum und Intendanten

Recht hat Intendant Ingolf Huhn, wenn er im Anschluss an die begeistert aufgenommene „La Bohéme“  am vergangenen Sonntag in der Kantine seinen Künstlern zum großartigen Premieren-Erfolg gratulierte. Und richtig ist auch seine Bemerkung, dass kaum ein anderes Theater dieser Größenordnung in der Lage ist, diese Puccini-Oper durchweg mit eigenen Kräften zu besetzen.

Fotos: Dieter Knoblauch (c) Annaberger Theater

23. Jan 2012.

Ergänzt werden sollte nur, dass das Annaberger Theater auch in den zurückliegenden Jahrzehnten nahezu immer die „Bohéme“ mit eigenen, guten, sehr guten und manchmal sogar mit noch besseren Sängerinnen und Sängern besetzt hat. Die jetzige Aufführung reiht sich in die musikalischen Sternstunden dieses Hauses ein. Und deshalb sind auch zuerst die künstlerischen Leistungen des insgesamt ausgezeichneten Musik-Ensembles hervorzuheben.

Bettina Grothkopf überzeugte mit einer warmen Stimmgebung und einem wohltemperierten Piano sowie mit kontrollierten dramatischen Ausbrüchen als Mimi, die eigentlich Lucia heißt. Das vertraut sie bekanntermaßen mit „eiskaltem Händchen“ dem Dichter Rodolfo an, den Frank Unger (beide Foto oben) mit strahlendem Tenor bot. Schade nur, dass neben seinen wohlklingenden und meist sehr sicheren Höhen, die Mittellage nicht immer so anspricht, wie er es vermutlich gerne hätte.

Mag sein, dass die Premieren-Aufregung die kleinen Registerunebenheiten verursacht hat, aber kontrolliert sollte diese schöne Stimme darauf hin auf alle Fälle werden. Großartig auch das Herren-Künstler-Trio an der Seite von Rodolfo: Jason-Nandor Tomory sang mit sicherem und kräftigem Bariton den Maler Marcello, Michael Junge lieh seine Stimm-Trompete der Figur des Musikers Schaunard und László Varga überzeugte als Philosoph Colline mit seinem sehr angenehmen Bass-Timbre, was insbesondere in der sehr anrührend gesungenen Mantel-Arie zum Ausdruck kam.

Diese Gruppe zeichnete auch spielerisch ihre Figuren und versuchte, aus gewissen Opern-Sterotypen auszubrechen. Neben der skurrilen Charakterstudie des Matthias Stefan Hildebrand als Hausbesitzer Benoît, gelang es insbesondere auch Madelaine Vogt sowohl darstellerisch wie gesanglich die umtriebige Musetta charmant und mit spielerischer Leichtigkeit über die Rampe zu bringen. Ihren neuen Liebhaber gab - komödiantisch wie immer – Leander de Marel.

Sowohl bei dieser Figur, als auch den anderen gegenüber, hätte man seitens der Regie (Birgit Eckenweber) etwas mehr Ideenreichtum investieren können – und das nicht zuletzt auch in die Licht-Regie. Zu oft wird nur im hellen Licht (kaum Spot) herum gestanden und schön gesungen. Wenn man schon die für die Sänger-Stimmen etwas spröde Übersetzung von Joachim Herz und Klaus Schlegel hier nutzt, so hätte man sich durchaus auch Anleihen bei Herzens Auffassungen vom Musik-Theater hohlen können.

Indes bleiben die sozialen Hintergründe (Armut auch als Voraussetzung für Krankheit, Prostitution, Kriminalität und früher Tod) im Frankreich nach 1830 zu stark unterbelichtet. Das wurde auch bei der Arbeit mit Chor und Extrachor deutlich: Der Kontrast zwischen dem gewollten Anhalten des Geschehens und der Auflösung in Turbulenz, dem ausgelassenen Weihnachtstrubel vor und im Café Momus, ist zu schwach. Stark dagegen war auch diesmal wieder der Chorgesang, insbesondere auch der des gut studierten Kinderchores (Uwe Hanke).

Und ein Extralob an die sehr konzentriert und engagiert spielende Erzgebirgs Philharmonie Aue unter der souveränen Stabführung von GMD Naoshi Takahashi. Hier war ein samtener Streichklang aus dem Orchestergraben zu vernehmen, der sich wohltuend im vollbesetzten Haus verbreitete und wesentlich mit zum großen Erfolg dieser „La Bohéme“ beitrug. Mit dem Bühnenbild (Wolfgang Clausnitzer) kann man sich durchaus anfreunden. Es versucht z.B. mit dem endlosen Schienenstrang, ähnlich wie die symbolisch verlöschende Lebens-Licht-Kerze der Mimi im ersten Bild, einen gewissen Verweischarakter anzudeuten.

Ob die Kostüme der Mimi zwischen Kittelschürze und weißer Pelzjacke auf dem Sterbebett glücklich gewählt wurden, stimmt zumindest nachdenklich. Schließlich entbehrt es einer gewissen Logik, warum Colline seinen Mantel verkauft um der todkranken Mimi Medizin zu besorgen, wenn sie für ihre weiße Pelzrobe vielleicht das Vielfache an Geld dafür bekommen würde...

Alfred de Musset, von dem Henri Murgers „La vie de bohéme“ inspiriert wurde und dann als Vorlage für die Librettisten Giacosa und Illica diente, beschreibt seine „Mimi Pinson“ so: „Sie trug anstelle eines Kleides einen dunklen baumwollenen Unterrock und darüber, ihn zum Teil verdeckend, eine Gardine aus grüner Serge, aus der sie sich, wie gut es gehen wollte, ein Umschlagtuch gemacht hatte...“. Aber hören wir auf, an solchen Kleinigkeiten herum zu nörgeln. Der Gesamteindruck war positiv und durchaus eine zu Recht lang beklatschte Sternstunde des Annaberger Musiktheaters.

Und wo bleibt das Kritische? Nun, gut. Noch eine Bemerkung zur Öffentlichkeitswirkung: Das Plakat war ansprechend (was nicht immer der Fall an diesem Hause ist) und zeigte den Handlungsort: Das graue Paris. Das Programmheft dagegen in Post-Gelb greift dieses Motiv nicht auf, sondern liefert einen Schatten von einem Gebäude, das auch im Impressum nicht näher beschrieben wird.

Im Inneren ist es geschmackvoll gestaltet und im Bezug auf Entstehungsgeschichte und literarischem Umfeld der „Bohéme“ auch durchaus informativ. Aber vielleicht wäre die Dramaturgie (Michael Eccarius) zukünftig gut beraten, wenn im Heft auch etwas über die dramaturgischen Hintergründe und den inszenatorischen Absichten des konkreten Werkes am hiesigen Theater zu finden wäre, vielleicht sogar mit ein paar Fotos von der Probe oder einem kleinen Interview mit einem der Protagonisten zu seiner Rollenauffassung. Und ganz besonders toll wäre es, - aber das ist nicht Aufgabe der Dramaturgie – wenn Fremde in dieser Stadt, dieses wunderbare Kleinod Eduard-von-Winterstein-Theater überhaupt erst einmal finden würden.

An den touristischen Brennpunkten des Tourismus in Annaberg-Buchholz (Markt, Annen-Kirche, Frohnauer Hammer) wird man weder über die Existenz eines solch einmaligen Hauses in der Region informiert, noch über seine künstlerische sehens- und hörenswerten Anstrengungen. Wäre es nicht endlich an der Zeit, dass sich die Verantwortlichen aus dem Rathaus und die aus dem Theater an einen Tisch setzen, um zu beraten, wie man auf das Theater nicht erst vom Buchholzer Tor abwärts aufmerksam gemacht wird? Es wäre wohl höchste Zeit!

G.B.S.

www.winterstein-theater.de

 

 

 

 

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