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Geknüpft, geflochten, gewebt und geklöppelt...

Die neue Publikation „Erzgebirgische Posamentenindustrie“ entpuppt sich als  Parallelgeschichte des Erzgebirges und zeugt von der Fähigkeit der Menschen, in Zeiten des Strukturwandels zu bestehen. Sie erscheint rechtzeitig vor dem 500. Geburtstag unserer Barbara Uthmann im Jahre 2014.
Posamenten 1
Es sind keine braven Heimatforscher, die sich mit Betulichkeit und Akkuratesse diesem Thema in einer Publikation widmen und dazu schöne Bilder sprechen lassen. Anerkannte „Schwergewichte“ der hiesigen Posamentenindustrie kommen vielmehr zu Worte. Der Autor, der seinen Namen leider auf dem Titel nicht erscheinen lässt, ist Jörgen Martin, der in leitenden Funktionen großer Posamentenbetriebe und übergeordneten kommunalen Verwaltungen wirkte und selbst nach der Wende als Betriebsleiter Reprivatisierungen zur Seite stand. Er stützte sich auf die Erfahrungen von Wilfried Göbel, der vor und nach der politischen Wende die Geschicke des OPEW (Obererzgebirgische Posamenten- und Effektenwerke Annaberg), dem Leitbetrieb der Posamentenindustrie in der DDR, führte und die komplizierten Übergänge in die Privatisierung mitgestaltetet.

Jörgen Martin hat die Lebens- und Betriebsgeschichte vieler alter und wieder neuer Fabrikationsstätten analysiert und hier sehr lesbar dokumentiert. Dass das im ureigensten Interesse der Protagonisten liegt, zeigt das Engagement von Hans-Jörg Seifert, Geschäftsführender Gesellschafter der Firma Ruther & Einenkel sowie seiner Gattin Doris Seifert, einem der traditionsreichen erzgebirgischen Posamentenbetriebe, der u.a. dieses Vorhaben finanziell ermöglichte.

Im weltweit gespannten Bogen wird zunächst die Geschichte des Posamentenhandwerkes unter Einbeziehung von Texten des kenntnisreichen Studienrates Hugo Vogel beleuchtet. Frühe Verzierungen an Kleidungen weisen sehr weit in archaisch-kultische Zustände zurück. Als stabile Erwerbsquelle, vor allem der Frauen, wurden Posamenten an der Kleidung reicher Schichten, an Volkstrachten und Uniformen unverzichtbar. In diesem Kontext kommt das Buch zeitlich passgenau in die Vorbereitungen zum 500. Geburtstag von Barbara Uthmann im kommenden Jahr, der legendären Annaberger Unternehmerin, die mehr als 900 Bortenweberinnen Lohn und Brot gab und die, vermutlich über die Bortenschotten, das Klöppeln hierzulande einführte.Posamenten 2
Somit kann das Posamentenhandwerk zeitlich als Parallelgewerbe zum Silberbergbau betrachtet werden, das während des Rückgangs der Silbervorkommen auch den immer weniger beschäftigten Bergleuten das Überleben sicherte und als Kontinuum für die Bevölkerung bis zu Herausbildung des dritten Erwerbs-Standbeins, der erzgebirgischen Holzspielzeug- und Männelmacherei (nach Silberbergbau und Posamentenindustrie), sowie der damit verbundenen Verpackungs-und Kartonagenindustrie fungierte.

Der Autor schildert anschaulich und an Hand vieler Fakten und Dokumente die Entwicklung der Maschinenarbeit, die Industrialisierung, Fabrikarbeit, aber auch den großen Anteil der Heim- und damit Handarbeit. Exklusive Mode, von der Renaissance bis heute, hochwertige Elemente der Raumdekoration und aufwendige Uniformornamentik wurden produziert bei oftmals karger Bezahlung, vorwiegend als  Frauenarbeit.
Besonders interessant sind die Bildung von Interessenverbänden der Posamentierer, angefangen von Innungs- und Zunftstrukturen, Gewerbefreiheit, Handelseinrichtungen wie das Amerikanische Konsulat oder das Führungszentren der Posamentenindustrie 1962, die Koordinierungsfunktionen im System der Planwirtschaft von der Materials-und Arbeitskräftebeschaffung bis zu Vermarktung auf Messen und Exportabwicklungen hatten. Die Auswirkungen von Kriegen und Krisenzeiten werden genauso beleuchtet, wie die Eingriffe des Staates nach 1945 in die Eigentümerstruktur: Halbstaatliche Betrieb, Produktionsgenossenschaften des Handwerks bis hin zur faktischen Entprivatisierung/Enteignung werden geschildert.
Der Autor versteht es in versachlichter Form widersprüchliche soziale Prozesse anschaulich zu beleuchten, Nachteile und Vorteile gegenüber zu stellen. So hatte die Verstaatlichung durchaus auch produktive Synergieeffekt, Steigerungsraten und die  Exportentwicklung zur Folge.
Unsere Posamentenindustrie gehörte zu den hiesigen Alleinstellungsmerkmalen mit einer enormer Produktpalette und Spezialisierung. Anders als in der allgemeinen Textilindustrie, die mit einer Vermassung und Vereinfachung der Artikel einherging, blieb bei den Posamenten Vielfalt und handwerkliche Qualität weitgehend erhalten. Großbetriebe mit tausenden qualifizierten Mitarbeitern leisteten sich einen eigenen effektiven Rationalisierungsmittelbau, konnten die Arbeits- und Lebensbedingungen verbessern, wenn auch Wohnungsversorgung und Entlohnung hinter den Bedürfnissen zurück blieben. 
Über die Rolle von Partei, Gewerkschaften, Massenorganisationen wird souverän und nicht denunziatorisch berichtet und deren vielseitige Mitgestaltung im Betrieb verdeutlicht. Damit können von der Leserschaft Rückschlüsse auf heutige Situationen in privaten Unternehmen gezogen und verglichen werden.Posamenten 3
Mit vielen Fotos im Text werden die geschilderten Prozesse illustriert. Die „Stars“ dabei sind die zahlreichen schönen Beispiel für die unendlich scheinenden Gestaltungsreichtum auf dem Gebiet der Posamentenproduktion, die heute durch technisch-standardisierte Bänderprodukte ergänzt sind. Bänder, Borten, Litzen, Briefarbeiten, Spitzen, Kordeln, Knote, Gardinenziehbänder, Kurbelstickerein, Flitterarbeiten, Perlen- und Seidenstickerein, Abendtaschen, Weihnachtsschmuck, Kostüme für Theater, Ballett, Eiskunstläufer und Fernsehen sind nur einige der Arbeitsfelder.
Von besonderem Interesse für unser Region sind die wiedererstandenen, reprivatisierten Betriebe in Annaberg und Umgebung, die nicht nur die Jahrhunderte alte Tradition aufgenommen haben und fortsetzen, sondern auch mit großem Risiko in die Betriebe investierten. Schließlich war mit der Einführung der D-Mark nicht nur der Markt zusammengebrochen, sondern war auch flüssiges Kapital bei den ehemaligen Eigentümern kaum vorhanden, der Markt aber voll von unwilligen Konkurrenten!
Nach über zwanzig Jahren haben es mittelständige Unternehmen wie der OPEW GmbH, Langer und Beyreuther GmbH und Co. KG, Ruther & Einenkel KG in Annaberg (Foto des Betriebes/Luftaufnahme), der Brändl Textil GmbH und Stopp GmbH in Geyer geschafft, um nur einige zu nennen, und bilden heute das gerade Rückgrat unserer manchmal noch zu langsam prosperierenden Region. 
Ruther und Einenkel

Besonders aussagekräftig ist der Anhang des vorliegenden Buches mit reichem Literatur- und Abbildungsverzeichnis, Abkürzung vieler Fachbegriffe, Auszügen aus Privatchroniken und Musterbüchern von Firmen, Verzeichnissen von Leitungsstrukturen, Statuten, Mitgliedern von Verbandsgremien sowie einer Übersicht über alle Posamenten-Betriebe von 1860-2012!Martin

Der Autor Jörgen Martin (Foto) hat ein Resümé gezogen und darin appelliert, Unterlagen, Firmenchroniken zugänglich zu machen, auf dass diese reiche Arbeit vieler Generationen erhalten und an sie erinnert werden kann. In diesem Sinne ist das vorliegend Buch auf 162 Seiten sowohl Fachbuch eines die Region bestimmenden Handwerks- und Industriezweiges als auch Stadt-, Erinnerungs- und Dokumentationschronik zugleich, und zusammen mit den Musterbüchern in den Museen auch ein genussvolles „Poesiealbum vom Design“.
Das Buch ist übersichtlich gestaltet, reich bebildert und oft liebevoll dekoriert (Gestaltung, Layout, Einband, Satz und Lektorat in einer Hand: Ute Martin).

Mögen viele Erzgebirger sich selbst, ihre Familiengeschichten, deren Arbeits- und Gestaltwelt in diesem nützlichen und sehr ansprechenden Buch wiederfinden und sich erinnern.

Eveline Figura

Jörgen Martin (Autor und Herausgeber):
„Erzgebirgische Posamentenindustrie -
Ihr wechselvoller Weg bis ins 21. Jahrhundert“
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