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Bismarck dankt Buchholzer Stammtischbrüdern

Vom Annaberger Ehrenbürger Fürst Otto von Bismarck (1815-1898) sind im Erzgebirgsmuseum zwei Original-Schreiben vorhanden, die es sich lohnt, anlässlich des 200. Geburtstages des Reichskanzlers etwas genauer zu betrachten.

Nach dem 1. April 1895 – seinem 80. Geburtstag - war Otto von Bismarck Ehrenbürger von rund 450 Städten, darunter auch von Annaberg. Und das, obwohl der Deutsche Reichstag beschlossen hatte, Bismarcks achtzigsten Geburtstag zu ignorieren. Aber auch Bismarck-Denkmäler (in Annaberg auf dem heutigen Theaterplatz), Ehrentafeln und Bismarck-Türme wurden in der allgemeinen Bismarck-Euphorie über ganz Deutschland verstreut errichtet. Selbst ein Heringsfilet ist nach ihm benannt Bismarck Denkmal 3 (Andere)worden.
Der „Eiserne Kanzler“ ist bekanntlich nicht nur u.a. wegen der Einführung der Zivilehe, des Sozialversicherungssystems oder als Gründungsvater des Deutschen Reiches (1871) verehrt worden, sein „Kulturkampf“ mit der Katholischen Kirche, seine aggressive Außenpolitik als treibende Kraft im Deutsch-Französischen und Deutsch-Dänischen Krieg, seine Unterstützung des Junkertums, die Durchsetzung der Sozialistengesetze, sein Antisemitismus und die ihm mehrfach vorgeworfene Demokratiefeindlichkeit verschaffte ihm nicht nur im Parlament erbitterte Gegner. Dazu meinte er in seinen Erinnerungen: „Ich würde keine Freunde haben, wenn ich nicht auch Feinde hätte, man kann nicht beides zugleich, kalt und warm sein, und aus Kampf besteht das Leben in der ganzen Natur“.
Am 15. März 1890 entzog Kaiser Wilhelm dem Kanzler die Unterstützung. Die Öffentlichkeit reagierte mehrheitlich erleichtert auf den Rücktritt. Theodor Fontane schrieb damals:„Es ist ein Glück, dass wir ihn los sind. Er war eigentlich nur noch Gewohnheitsregente, tat was er wollte, und forderte immer mehr Devotion. Seine Größe lag hinter ihm.“

Sieben Jahre vor seiner Abdankung bedankte er sich aber noch artig bei der Stammtisch-Gesellschaft im Buchholzer „Felsenkeller“, die ihm zu seinem Geburtstag gratuliert hatte, mit folgenden Zeilen:
Brief Bismarck 6.4.1992 an Stammtischgäste Felsenkeller Buchholz (Andere) (2)
Friedrichsruh, 6 April 1892

Für Ihren freundlichen Glückwunsch bitte ich Sie und alle an demselben mitbetheiligten Herren meinen verbindlichsten Dank entgegenzunehmen.
v. Bismarck

Kuvert: An die Herren Stammtischgäste des Felsenkellers, Buchholz, Sachsen
Briefmarke: Bayern, 10 Pf., Stempel: Bad Kissingen

Nicht ganz uninteressant ist der gerahmte Dank auch auf der Rückseite. Dort haben die Stammtisch-Brüder (Schwestern waren vermutlich nicht mit von der Partie) – neben einem Zeitungsausschnitt über das Leben des Preußischen Außenministers und Kanzler des Deutschen Reiches – einen kleineren Zettel aufgeklebt, bei dem es sich durchaus um eine Identifikation mit dessen antisemitischen Positionen handeln dürfte
(Foto unten zum Vergrößern anklicken):
Rückseite des Bismarck-Briefes  vom 6.4.1892 an Felsenkeller Buchholz (Andere)

Vier Jahre später durften sich dann die Stadtväter von Annaberg über ein Dankesschreiben von jenem Politiker freuen der meinte: „Alle menschlichen Einrichtungen sind unvollkommen - am allermeisten staatliche“.
Hatte Bismarck das Schreiben an die Felsenkeller-Stammtischrunde noch durchweg eigenhändig verfasst, so ist dieses an den Stadtrat von seiner Kanzlei aufgesetzt und von ihm nur ausladend unterschrieben worden:

Brief Bismarck 21.9.1896 an Stadtrat Annaberg (Andere)

Friedrichsruh, den 12. September 1896

Den Stadtrath und die Stadtverordneten bitte ich, mit meinen besten Wünschen für das fernere Wohlergehen meiner Mitbürger meinen verbindlichsten Dank für die Übersendung der schönen Erinnerungsmedaille freundlich entgegenzunehmen.

v. Bismarck

Bei der „schönen Erinnerungsmedaille“ dürfte es sich um die Gedenkplakette anlässlich des 400. Stadtjubiläums von Annaberg gehandelt haben, die „seine Mitbürger“ ihrem nunmehrigen Ehrenbürger (1895) geschickt hatten.

 

 

In anderen Städten Deutschlands gibt es von Zeit zu Zeit Diskussionen im Stadtrat, ob man jenem Herrn, der der Meinung war „Nicht durch Reden und Majoritätsbeschlüsse werden die großen Fragen der Zeit entschieden, sondern durch Eisen und Blut“ die Ehrenbürgerschaft aberkennen solle oder nicht.
In Annaberg-Buchholz hat man diesen Schritt zuletzt bei Adolf Hitler vollzogen. Außer Bismarck und Hindenburg sind ansonsten keine weiteren problematischen Gestalten der Zeitgeschichte auf der Ehrenbürgerliste zu finden.
Der letzte kuriose Eintrag in diese Klatte ist – nach Prof. Carlfriedrich Claus (1994) – der „Hammerhansel“ (1997, Johannes Schönherr) aus Frohnau.
Seit 18 Jahren hat es demnach in Annaberg keinen Menschen mehr gegeben, dem man diese städtische Ehre hätte zuteil werden lassen können? Bismarck aber – bekanntlich kein Annaberger, der sich um diese Stadt verdient gemacht hat – wird seit 120 Jahren dort als Ehren-Annaberger geführt. Sollte man ihn eines Tages vielleicht doch aus der Liste entfernen wollen, würde ihn dies kaum anfechten, gilt doch weiterhin sein Wahlspruch: „Ich kann die Achtung aller Menschen entbehren, nur meine eigene nicht“.

red.

Dank gilt dem Erzgebirgsmuseum Annaberg-Buchholz,
insbesondere seinem Leiter Herrn Wolfgang Blaschke,
für die Bereitstellung der Bismarck-Dokumente.