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Dramatische Lebenswelten

Die große Liedkunst Franz Schuberts erklang am zweiten Abend der Reihe „Perlen der Kammermusik“ auf der Bühne des Erzhammers in Annaberg-Buchholz und erfreute das Publikum durch differenzierte Gesangskunst und brillante Liedbegleitung.

Eher selten sind die Liederzyklen des jungen, schöpferischen und früh vollendeten Komponisten Franz Schubert in unseren Breiten zu hören. Das Publikum wurde am zweiten Konzertmittwoch der Reihe „Perlen der Kammermusik“ am 18. Februar 2015 im großen Saal des Erzhammers Annaberg-Buchholz geradezu verwöhnt. Dieter Klug, 1. Kapellmeister der Erzgebirgischen Philharmonie Aue, hatte mit den beiden Sängern des Abends, Sopranistin Bettina Grothkopf und Bass László Varga, ein anspruchsvolles Programm zusammengestellt, das Schuberts volksliedhafte und zu Volksliedern gewordene „Klein-Dramen“ genauso beinhaltete, wie seine ernsten, an die Lebensgrenzen und Existenzkrisen gemahnenden Lieder.
Aus dem reichen Schaffen von um die 600 Liedern wurde 24 in das „Schubertiade“ genannte Programm im Erzhammer aufgenommen; eine Verneigung an die ebenso bezeichneten Abende, an denen Schubert einst seine neu fertiggestellten Kunstlieder in Gesellschafts- und Freundeskreisen vorstellte.
Schubertiade - Grothkopf, Varga,  Klug - Lorenz

Das Programm war in  vier Gruppen gegliedert: Beginnend mit sechs Liedern aus der „Winterreise“ (1827 entstanden) erklangen danach unter dem Sammeltitel „Nur wer die Sehnsucht kennt“ Lieder zu Texten von Johann Wolfgang von Goethe. Nach der Pause folgten aus dem Zyklus „Schwanengesang“ Kompositionen zu Gedichten von Rellstab, Christoph/Hölty und Heinrich Heine. Und zuletzt, unter dem Titel „An die Musik“, Inbegriffe der romantischen Lyrik u.a. von Friedrich Rückert, Matthias Claudius und Ludwig Uhland.
Sind die poetischen Vorlagen schon reich an Sprachkunst und Metaphorik, werden die Lieder mit der kongenialen Musik Schuberts zu Meisterwerken, die uns heute noch viel oder wieder mehr zu sagen haben, in einer Welt zunehmender Katastrophen, wie Dr. Gabriele Lorenz, die Kulturmanagerin der Stadt und Leiterin des Kulturzentrums Erzhammer, in ihren Dankworten an die Künstler betonte. Schubertiade
László Varga konnte seinem Bass eine große Bandbreite von Schattierungen abfordern. Diszipliniert verhalten, auch im notwendigen Maße introvertiert, vermochte er harte Kontraste in der Höhe und  berührende Tiefe zu gestalten wie in „Gute Nacht“ oder zu berühren im bekannten „Der Lindenbaum“, den Schubert im heute noch existierenden Gasthof „Höldrichsmühle“ im Wienerwald komponierte. Klar treten hier die himmelweiten Unterschiede, von Kunstliedgestaltung und Volksliedgesang hervor. Die Inhalte sind kontrastreich und dramatisch  und berühren, ja überraschen die Hörer. Niemals bleibt der Anlass des Liedes - wie hier der schöne heimatliche Lindenbaum - die Hauptsache. Immer ist es das Leben des Singenden, das Schicksal des Besungenen, was plötzlich durch die Musik eine ganz andere Dimension erhält, wie im Lied „Die Post“ oder „Die Krähe“. Vargas Bass kann dabei in verschiedenen Stimmungen in der Höhe differenzieren, auch bis zu angehauchten Pianos. Selten geht er jedoch mal im dramatischer Absicht vom Tone „weg“ oder probiert geradere Klänge aus. Dadurch wirkt der  Vortrag zwar immer kultiviert, birgt aber mitunter zu wenig stimmliche Überraschungen. Ganz sein Metier waren die Goethe-Hits „Der Musensohn“ oder „Ständchen“ mit berührender Zartheit oder „Der Doppelgänger“ mit Verzweiflung und Ausbruch, ebenso „Der Atlas“ mit schierer Verwunderung über die Ungeheuerlichkeit der Aufgabe.
Der Kontrast zwischen einer tiefen, kraftvollen Männerstimme und dem mal perlend leichtem, dann wieder dramatische  Ausdruck des Soprans von Bettina Grothkopf  war ein Vorteil dieses Liederabends gegenüber anderen, in dem meist nur ein Solist alleine diese Aufgabe bewältigen muss. Die Erste Sopranistin des Annaberger Theaters verfügt sowohl über künstlerisch-stilistische Erfahrung, wie auch den  Gestaltungswillen gegenüber den unterschiedlichen Lied-Anforderungen.
„Der Frühlingstraum“ wurde deshalb gar nicht süßlich, sondern wirklich dramatisiert vorgetragen, und  „Der Wegweiser“, eben auch oft von Männern gesungen, hatte viel Glaubhaftigkeit durch die Stimmgestik. Schöne Bögen und Ausdruck in „Nur wer die Sehnsucht kennt“, und „Gretchen am Spinnrad“ hatte schon faustische Dramatik. „Ganymed“ enthielt dann auch, wie oft bei Goethe, nicht nur innewohnende, sondern hörbare erotische Stahlkraft. Das „Heidenröslein“ hingegen hätte ein wenig mehr Ausdruck weg vom Volkslied bedurft, schließlich handelt es sich um die Brechung von Willen und Körper eines Mädchens – eigentlich um eine „romantische“ Vergewaltigungsszene.
Im letzten Teil des Abends blieb „Du bist die Ruh“ von László Varga durch Zurücknahme und „Der Tod und das Mädchen“ durch Sanftmut und Gelassenheit, schöner Tiefe  bei Bettina Grothkopf in sehr angenehmer Erinnerung. „Die Forelle“ und „An die Musik“ waren dann wahre Selbstläufer für Varga und fast schon Zugabe-Schmankerl.
Den ganzen Abend über, aber bereits vorher mit der Programmauswahl und den wahrscheinlich akribischen Proben, hatte der kongeniale Begleiter am Flügel, Dieter Klug, präzise und verantwortliche Arbeit geleistet. Die Klavierparts sind bei Schubert eigenständige musikalische Charakteristika der thematischen Stimmung, sind Rahmen und Partner des Sängers, der sich nicht einfach auf die Klavierstimme aufsetzen kann, sondern im steten Wechselspiel mit ihm agieren muss. Besonders auffällig, die vielen Varianten bei den „Wasserstücken“ wie beim „Fischermädchen“ mit viel Dynamik, in „Auf dem Wasser“, wo Dieter Klug ware Perlkaskaden zu spielen hatte. Oder das bekannte Lied „Die Forelle“, wo man das Tier ganze Sprünge und Untiefen bewältigen hört. Der brillante Mann am Flügel war wie ein Regisseur am Werke: Mit Präzision bis in das als Duettzugabe gestaltete wunderbare „Wiegenlied“ zum Schluss, mit wohlgesetzten Pausen und überlegten Tempi der einzelnen Lieder und besonders von den durchgestalteten Endstimmungen der ins sich abgeschlossenen Handlungen. Nie wurden die Sänger durch zu laute Klänge überdeckt, nur liebevoll befördert und intelligent begleitet.
Der Abend war durchweg fürs Publikum ein interaktiver Genuss. Nur die waren zu bedauern, die an diesem Abend zu Hause geblieben sind.
Der Erzhammer knüpft hier dankenswerter Weise an eine über 150jährige Tradition der Museumsgesellschaft an, die u.a. durch Peter Gast, Emil Finck oder Willy Roch begründet bzw. fortgeführt wurde... - wobei allerdings damals auch Komponisten aus dem erzgebirgischen Raum intensiv zu Wort kamen.

Eveline Figura

Nächster Konzertmittwoch im Erzhammer: 29.04. 20.00 Uhr, Französische Bläsermusik