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Mephisto-Premiere

Das Annaberger Theater stellt sich mit einer anspruchsvollen und nachhaltigen Inszenierung
einem großen Thema aus Vergangenheit und Gegenwart-523_Mephisto

Der Stoff ist bekannt wie kaum ein anderer, doch meist nur bei Literatur-, Theater- Filmkennern und Interessierten. Zugrunde liegt „Mephisto - Roman einer Karriere” von Klaus Mann, dem talentierten Sohn aus der Schar der (un)glücklichen Kinder unseres Nobel-Überdichters Thomas Mann. Klaus Mann hat in genialer Weise das politische, soziale und psychologische Klima der schillernsten, dann verheerendsten Zeit der deutschen und Weltgeschichte beschrieben, die sein Volk und ihn in den Suizid trieb. Es sollte keine Autobiographie und kein Outing eines konkreten Menschen, der Karriere machte, sein. Und doch ist er, sind sie alle anwesend: Seine Familie, Freunde, Kollegen und er, der bedeutende, bis heute charismatische deutsche Schauspieler, der alle blendete, faszinierte, sie alle letztlich an den Nazi-Staat verriet und dennoch nicht scheiterte - Gustav Gründgens. Es ist nahezu unmöglich, auch bei dieser Inszenierung nicht an Gustav Gründgens zu denken. Jenem karismatischen Mimen, der von den Zwanzigern bis zu seinem Tode in den sechziger Jahren den deutschen Theaterhimmel zum Erstrahlen brachte. Ein Weltstar war er nie; das war der Preis für die Nähe zu Hitlerregime, wo er Generalindendant und Preußischer Staatsrat des Berliner Staatsschauspiels geworden war. Ob er in dieser Funktion jüdischen oder politisch gefährdeten Kollegen half, ist schon zweitrangig, denn ihm gelang alles in seiner Vermessenheit, aber er verlor auch alle, die in liebten, die sich dem Wahnsinn durch Suizid, Exil entzogen, oder sich im Widerstand opferten.
 
Das Bühnenstück entstand nach Klaus Manns Roman von Ariane Mnouchkine, die aus der Fülle der in der Romanvorlage enthaltenen Psychogramme Bühnenfiguren schuf, die aufregen, schockieren, verführen und berühren. Das Geheimnis dieser erfolgreichen Inszenierung (Regie: Dietrich Kunze) lag bereits in der Rollenbesetzung und danach in der Herausarbeitung der Typenzeichnungen. In der Hauptrolle des Hendrik Höfgen spielte der sehr jugendliche Hannes Sell zunächst einen ganz normalen Schauspieler, der nur für seinen Beruf lebt, sich dem linken Widerstand mit Worten verpflichtet fühlt, exzentrisch in Liebe und Hass agiert. Er spielt glaubhaft die Widersprüchlichkeit des Charakters, die menschliche Kühle, aber kann doch nicht das „Schillernde” das „Aasige” (Klaus Mann), das Außergewöhnliche über die Rampe bringen, was diesen Schauspieler schließlich in die Nähe der „absoluten Macht” trägt. Er spricht prononciert, auch mit dem ganzen Körper. Aber zur Typgestaltung bedarf es hier stärker den Willen zum Verlassen des Alltäglichen, auch den zum Abheben. Das wäre möglich gewesen, wenn die Regie für diese Hervorhebungen zu Straffungen in der Handlung bereit gewesen wäre.-319_Mephisto

Durch die relativ bleibende Gleichwertigkeit der meisten Haupt-Darsteller, gelingt es Nenad Žanić als den Kommunisten Otto Ulrich (an den großen Theatermann Hans Otto erinnernd), seine Kunst im Dienste einer neuen Gesellschaft charakterstark, menschlich und trotz oder gerade wegen des ideologischen Überschwangs kraftvoll und sympathisch zu entwickeln. Das tut er mit Empathie, warmen Stimmklang, aufopfernd und mit Hinwendung zu den Kollegen, z.B. dem Theaterdirektor Gottschalk und dessen jüdischer Frau. Gerd Schlott und Gabriele Kümmerling überzeugen in diesen Figuren ohne Sentimentalität, deren Vorbilder an den gleichnamigen Schauspieler und dessen Freitod mit seiner Familie erinnern. Die jüdische Kollegin Martin (Gisa Kümmerling) spielt die Lebenslustige wie die ausweglos Verzweifelnde überzeugend. Der an Naziideale glaubende Hans Miklas, zerissen, fahrig, scheiternd und selbstmörderisch aufbegehrend, überzeugend dargestellt von Dennis Pfuhl, schafft dadurch auch Wandlung seiner Gestalt. Der „bürgerliche Block”, die Mann-Aristokratie, bekommen ästhetische Formgebung (auch durch die eleganten Kostüme: Brigitte Golbs). Ausdrucksstark in Sprache und Spiel Marie Luise von Gottberg (Erika Bruckner, die Schwester von Sebastian Bruckner), Jörg Simmat (Sebastian alias Klaus Mann) und Maria Richter als Nicoletta, alias Pamela Wedekind. Alle Drei zeichnen ihre jeweiligen Charaktere, aber leider mit zuviel bürgerlicher Contenance. Das provokative Ausbrechen von Erika und Klaus Mann sowie Pamela Wedekind und Gustav Gründgens im Theater, der Gesellschaft und im späteren, wenn auch verdeckten, homoerotischen Gefühlskosmos klang so kaum an, wäre aber heute durchaus verkraftbar und erklärte zum Teil auch ihr Exil nach 1933. Die für Höfgen schwärmende Theresa Herzfeld der Helene Aderhold kam über ihr zartes Fragen und Dulden zunächst nicht hinaus. Allerdings in den Proben-Szenen des revolutionären Theaters überzeugte sie u.a. mit ihrer grotesken Hitlerparodie.-448_Mephisto
Kerstin Maus als Juliette, Höfgens Geliebte, bewegt tanzend und spielend, fehlte dennoch die letzte Verworfenheit, wird doch sonst nicht klar, warum sie sich im „bunten” Theater der Zwanziger nicht sehen lassen soll. Leroy Barth spielt ergreifend den 15 jährigen, sich aus Hunger prostituierenden Knaben sowie später einen strammen SA-Jüngling. Die Gruppe der Nazi-Sympathisanten in Höfgens Theater wird durch Hans Miklas (Dennis Pfuhl), Herrn Knurr (Udo Prucha) und Frau Efeu (Kerstin Maus) repräsentiert und glaubwürdig aus ihrem Milieu heraus, nicht denunziatorisch, in gekonnten Charakterstudien gezeichnet.
Die darstellerischen Höhepunkte waren die Außenseiter: Die Figur des Teophil Sarder als „größten Dramatiker der Welt” von Tim Osten zwischen Wahnsinn und Verblendung in die nachsichtige Großzügigkeit seiner Entourage gestellt, war überaus sehenswert. Aber richtig gruselig wurde Osten dann als Nazi-Intendant Hans Josthinkel: Schmierig bis in die Frisur, heimtückisch bewegt und perfide intrigant, spielte er diesen Funktionär stimmlich fistelnd bis drohend, Pralinen naschend, Angst einflößend. Anschwellende Marschmusik, Stiefelklatschen, dazu Peggy Einfeldt (Musikalische Leitung) live am Klavier mit mächtigen Akkorden und bekannten Schlagern sowie Gründgens-Titeln entstand im kongenialen Bühnenbild von Wolfgang Clausnitzer eine dichte Atmosphäre. Rasche, auf die Drehbühne orientierte Theaterszenerie mit wenigem, aber passenden Möbeln und Vorhängen, die am Ende von Hakenkreuzen dominiert wurden, unterstützten aktiv das Spiel von Hannes Sell, der nun als umjubelter “Mephisto” in Berlin schier verzweifelt an der Welt, die er gestützt: „Ich bin doch nur ein ganz gewöhnlicher Schauspieler!”, - „Der stets das Gute will…” !?.
 
Der Hauptdarsteller trat dann noch einmal vor den Vorhang und bedankte sich gerührt für die große Unterstützung bei seiner kurzfristig übernommenen Hauptrolle, die Sven Zinkan geleistet hatte, der für diesen „Mephisto“  vorgesehen war, aber wegen eines Unfalls nicht spielen konnte. Den man sich aber durchaus demnächst anschauen sollte...
Und dessen gelungenes Konterfei auf dem gut gestalteten Plakat man sich auch gerne anstelle des mausgraugrünen Programmheftes (inhaltlich aber sehr informativ!) gewünscht hätte.

Eveline Figura

Fotos: Dieter Knoblauch, Theater Annaberg

Nächste Vorstellungen von “Mephisto”: 20.3., 23.3., jeweils 19.30 Uhr

Annaberger Theater ABC

Eduard von Winterstein Theater

 

 

 

THEATER ABC