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500 Jahre Reformation Johannes Tetzel in Annaberg
Im 500. Jubiläumsjahr der Reformation steht der Bibelübersetzter und Kirchenspalter Martin Luther mit seiner sprachprägenden Wirkung im Zentrum überhöhter Aufmerksamkeit. Vom sächsischen Dominkanermönch, dem Verlierer in der Reformationsgeschichte, ohne den sie möglicherweise auch hätte anders verlaufen können, ist kaum die Rede. Es soll der Versuch einer Teil-Rehabilitation unternommen und seine Spuren in Annaberg nachgezeichnet werden.
Als ein geldgieriger, korrupter, skrupelloser und unmoralischer Mönch, so ist der „Ablasshändler“ Johannes Tetzel in die Geschichte eingegangen. So wird er in den Geschichtsstunden beschrieben, in Theaterstücken benutzt, von den Kanzeln gepredigt und auch von Annaberger Stadtführern den Gästen vermittelt. Von den Protestanten wurde er einst wild angegriffen, von den Katholiken ist ihr Mönch erst spät verteidigt worden. Für die Lutheraner wurde er zum Sinnbild einer verdorbenen Kirche und damit zum idealen Feindbild. Und auf Seiten der römisch-katholischen Kirche sahen viele in ihm einen Mitschuldigen an der Kirchenspaltung, die ohne seine Maßlosigkeit, Geldgier und unchristlichen Lebenswandel vielleicht zu verhindern gewesen wäre.
An Hand der historischen Quellen kann heute allerdings vielmehr behauptet werden: Zuviel der Ehre, zuviel der Wut! Johann Tetzel tat nichts, was außerhalb der damaligen weltlichen und kirchlichen Ordnung stand. Rechtliches und persönliches Fehlverhalten ist ihm nicht nachzuweisen. Die Rechtmäßigkeit seiner Ablass-Lehre ist ihm sogar noch zu seinen Lebzeiten - allerdings erst kurz vor seinem Ableben - bestätigt worden.
Im 500. Jubeljahr der Reformation wäre es daher angebracht, eine historisch angemessenere, differenziertere Betrachtung seiner Person anzubieten, aber auch das Verständnis für den Kontext, in dem er sich bewegte, zu schärfen.
Martin Luther war dem Johannes Tetzel, der oft nur mit dem abgekürzten Vornamen Johann in der Literatur erscheint, in frühen Jahren sehr ähnlich, er glich ihm in vielen Dingen. Tetzel ist zwar 19 Jahre älter, kam aber aus ähnlichen Verhältnissen wie der Reformator. Sein Vater war ein erfolgreicher Fuhrunternehmer in sächsischen Pirna. In anderen Quellen soll er ein Goldschmied gewesen sein. Und ob Pirna tatsächlich die Stadt gewesen ist, in der Tetzel um 1460 (andere Angaben 1465) geboren wurde und wo sein angebliches Geburtshaus besucht werden kann, wird von wenigen Historikern noch immer bezweifelt, sie nennen als Geburtsort Leipzig, weil er dort erstmalig im Matrikelbuch auftaucht, was aber nichts über seine Herkunft besagt. Nach Leipzig schickte der gutbetuchte Vater seinen Sohn auf die Universität. Ähnlich wie der Blitz der Erkenntnis bei Luther, muss dort in Leipzig irgend etwas passiert sein, das Tetzel bewogen hat, in den Orden der Dominikaner – einem Predigerorden - einzutreten, keinen weltlichen Beruf zu ergreifen, sondern den Weg einer Universitätskarriere einzuschlagen.
Er hat studiert, und ähnlich wie das beim Studenten Martin der Fall war, aufgrund von Querelen wechselte auch er das Kloster. Er ging ins schlesische Glogau und wurde dort Abt des Klosters. Seine Redegewandtheit und Kommunikationsfreude wurde entdeckt und sie hatte dort Spielräume zur Entfaltung. In diesem Metier der Ablasspredigt entwickelte Tetzel eine Beredsamkeit, die im Prinzip sein Lebenswerk ausmachte. Gewinnend und gewissermaßen charismatisch, volksnah und direkt – das brachte ihm zahlreiche Sympathien ein. Seine vermutlich mächtige Gestalt und laute Stimme halfen ihm dabei. Andererseits fielen auch ein zuweilen schroffes Wesen, seine Unnachgiebigkeit beim Ausmalen von Droh- und Schreckensvisionen und seine marktschreierische Straßentauglichkeit auf. Im Prinzip genau diejenigen Eigenschaften, die an einen Ablassprediger gestellt werden durften und auch wurden.
Ablasshandel – keine Erfindung von Tetzel
Über die Klostergrenzen hinaus wurde Tetzel dadurch bekannt, dass er im Auftrag des Deutschen Ordens einen Ablass verkündete. Diesen hatte sich der Orden 1504 vom Papst besorgt, um gegen die damals heranrückenden russischen Großfürsten mit neuen Rüstungen anzutreten, die aber finanziert werden mussten. Den Vertrieb dieses Ablasses wurde vom Organisationstalent Johann Tetzel und einigen Mitbrüdern offenbar sehr erfolgreich organisiert.
Der Ablasshandel war keine Erfindung von Tetzel, sondern er ist älter als die katholische Kirche selbst, wurde aber durch sie im Mittelalter in verschiedenste Ablassformen pervertiert, in der Renaissance (1567) wurde er verboten. Die römisch-katholische Kirche hat jedoch am Ablassbegriff als solchem stets festgehalten, wenn auch dabei die ökonomische Bedeutung hinter die spirituelle zurücktrat. Die heutige Ablasslehre wurde mit der Apostolischen Konstitution Indulgentiarum Doctrina von Papst Paul VI. am 1. Januar 1967 neu festgelegt. Der Codex Iuris Canonici von 1983, als das Gesetzbuch des römisch-katholischen Kirchenrechts, definiert den Ablass unter can. 992 CIC für die Heutige Zeit wie folgt: „Ablass ist der Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist; ihn erlangt der entsprechend disponierte Gläubige unter bestimmten festgelegten Voraussetzungen durch die Hilfe der Kirche, die im Dienst an der Erlösung den Schatz der Sühneleistungen Christi und der Heiligen autoritativ verwaltet und zuwendet.“
Johann Tetzel hat also als gläubiger Christenmensch, noch dazu als Mönch, nur die Jahrtausende währende Praxis seiner Kirche mit viel Geschick, geschäftstüchtig und erfolgreich weitergeführt. Dieses für ihn selbstverständliche Engagement wurde ihm von der protestantischen Geschichtsschreibung bis heute nicht verziehen. Noch immer wird die Person Tetzel fast ausschließlich von protestantischen Historikern bewertet, die zwar richtigerweise zur Verurteilung der Sache Ablass und all seine Nebenwirkungen kommen, dabei aber den Menschen Tetzel völlig außer Acht lassen, bzw. gänzlich unterschiedliche Maßstäbe an die beiden doch recht ähnlichen Charaktere von Luther und Tetzel anlegen.
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Die angebliche Tetzel-Truhe in Annaberg
Tetzel kommt nach Annaberg
Bereits mit dem Auftrag des Deutschen Ordens im Jahre 1504 begann die Ablass-Laufbahn des Johann Tetzel. Seinen Auftrag erfüllt er mit großer Leidenschaft und im festen Glauben an die gute Sache. Er bereiste neben den Raum Leipzig und großer Teile Sachsens auch das Anhaltinische Gebiet sowie Türingen. Aus Erfurt kam er kurz nach Ostern 1508 in die damals reiche Bergstadt Annaberg. Ob es das erste Mal war, darf bezweifelt werden, da er sich von 1504 bis 1508 mehrmals in der Gegend des späteren Erzgebirgses aufgehalten hat. Durch Luther ist bestätigt, dass er 1508 hier war, wie diese Aussage dann auch Jenisius in seine Chronik übernommen hat: „Do er nebstens seinen Mitgesellen D. Baumhawern anhero kommen, mit großen Freuden aufgenommen worden, alsobald an St. Annae Bildnüß, ein höltzern Crucifix auffrichten laßen, und daß die Leute Gnade und Seeligkeit bey ihme umbs Geld erkauffen koenten und solten, gelehret und gepredigt.“
Das Franziskanerkloster, zu dem auf Geheiß des Stadtgründers Georg der Bärtige der Grundstein 1502 gelegt wurde, war bei Tetzels Ankunft in Annaberg noch nicht fertig. So musste er privat Quartier nehmen. Das fand er bei dem Erz-Katholiken und überaus reichen Fundgrübner Lorenz Pflock (Anteile an Grube „Himmlisch Heer“), der in der Klosterstraße, ganz in der Nähe zum Markt, 1505 sein neues Haus fertig gestellt hatte. Später war in diesem Haus ein Gaststätte mit dem Namen „Goldene Gans“ untergebracht. Bis Anfang Dezember 1508 war Tetzel Gast bei der Familie Pflock, vermutlich auch in seinem zweiten Haus auf der Großen Kirchgasse und später im Haus in der Buchholzer Gasse (ebenfalls um 1505 erbaut). Lorenz Pflock (seit 1502 Ansässiger in Annaberg) war nicht nur ein wohlhabender Bergwerkbesitzer, sondern auch ab 1515 Stadtrat in Annaberg – und ein großzügiger Gönner Tetzels.
Sein Reichtum kann nicht nur an seinen Kuxen (Anteilen an Bergwerks-Aktien), der Beschaffung und Finanzierung von teuren Reliquien für Herzog Georg, dem Stadtgründer Annabergs, sondern auch an der Errichtung einer Kapelle in Frohnau, der „Wiege Annabergs“, ermessen werden. „Sonsten soll vor Alters auff dem Steinfelßen an der SchlettawerStraßen gelegen, eine Capell gestanden sein, und da selbst ein Meßpfaff zu gewißen Zeiten Meß gehalten haben. Diese hat Ao. 1515 ein Buerger dieser Stadt, Laurentius Pflock genannt, zu Frohnau auff seinen eigenen Verlag und Uncosten gebawet, und der Abt von Gruenhain darzu den ersten Stein geleget: darin haben die Bergkleute alle Montage zur frueher Tageszeit, ehe sie angefahren, umb den Seegen deß Bergkwergks, Meß gehoeret und gebetet.“ Laut Paul Jenisch (Paulum Jenisium) hatte die kleine Kirche, die auf die Heiligen Fabian und Sebastian geweiht wurde, allerdings nur fünf Jahre Bestand, „diß Kirchlein ist Ao. 1520 umb 15 fl. Verkaufft worden, zu einer Scheine“, ist also als Scheune genutzt worden. Auch der Epitaph (Pflockscher Altar, 1521) in der St. Annenkirche zu Annaberg, der von einem unbekannten Meister der Früh-Renaissance geschaffen wurde, zeugt vom Wohlstand der Familie Pflock.
Es ist anzunehmen, dass Tetzel während seines Aufenthaltes in Annaberg nicht mehr für die Ritterrüstungen des Deutschen Ordens Geld sammelte, die waren mittlerweile finanziell gut ausgestattet. Hier hat er vielmehr sein Sammeltalent per Klein- und Großablässe für den Klosterbau und für den Bau der St. Annekirche eingesetzt, deren Grundstein bereits 1499 gelegt, der Bau aber erst 1525 beendet wurde. In dieser Zeit kam es auch zu einer Begegnung zwischen dem Annaberger Lateinschüler Friedrich Myconius (Friedrich Mecum) und Johann Tetzel, der von ihm einen kostenlosen Ablass forderte. Tetzel lehnte jedoch das Ansinnen ab. Daraufhin riet ihm der Rektor der Annaberger Lateinschule, die Myconius seit 1503 besuchte, in das Franziskanerkloster einzutreten, was er dann am 14. Juli 1510 – nach einem Erweckungstraum an den Apostel Paulus – auch tat. Gustav Freytag hat in seinem Werk „Bilder aus der deutschen Vergangenheit“, Zweiter Band: Aus dem Jahrhundert der Reformation (1500-1600), Kapitel: „Seelenkämpfe eines Jünglings und sein Eintritt ins Kloster“ ausführlich darauf Bezug genommen.
Ende Dezember 1508 reiste Tetzel nach Chemnitz sowie in andere Orte Sachsens und taucht erst im März 1510 wiederholt in Annaberg auf. Im Gepäck hat er diesmal einen Ablass für die Errichtung der großen Brücke in Torgau nebst dem Bau einer Kirche.
Tetzel – Auslöser der Luther-Thesen
Ab Ende 1510 verschwindet er plötzlich für sechs Jahre ganz aus dem Blickfeld, ehe er in den Diensten von Albrecht von Brandenburg, des Kardinals von Mainz, trat, was eigentlich sein späteres Image bis in die heutige Zeit prägte. Der Kardinal ließ nämlich in seinen Territorien auch den so genannten Peters-Ablass verkünden, dessen Ertrag hauptsächlich für den Bau des Petersdoms in Rom verwendet wurde. Von 1514 bis 1517 war er dafür in (damals beiden) Sachsen, Anhalt und Brandenburg unterwegs und an vielen Stationen – darunter besonders in den reichen Bergstätten wie u.a. Annaberg - erfolgreich tätig. Dabei zeigte sich der sächsische Kurfürst Friedrich der Weise, (1463-1525), der Stadtgründer von Buchholz (1501), durchaus verärgert darüber, dass seine Wirtschaftspolitik zuweilen ins Leere schlug, wenn das mühsam geschürfte Silber, kaum dass es in Münzen geschlagen war, das Land schon wieder verließ, ohne in Sachsen selbst einige Runden gedreht zu haben. Nun hatte allerdings derselbe Friedrich eine stattliche Reliquiensammlung, deren Gegenwert in Ablassjahren er sich schon einmal hatte ausrechnen lassen, so dass er selbst schlecht gegen die damals blühende Ablasspraxis einschreiten konnte. Das Fass kam erst zum Überlaufen, als seine Nachbarn aus Brandenburg neben „ihrem“ Kurfürstentum auch noch das wichtige geistliche Kurfürstentum Mainz erhalten hatte. Nun war der neue Erzbischof Albrecht allerdings schon Bischof von Halberstadt und Erzbischof von Magdeburg, so dass er dem Papst erhebliche Zahlungen anweisen musste, um neben den fälligen Palliengeldern auch eine päpstliche Dispens zu erhalten.
Besonders attraktiv und beliebt war der Ablass des Johannes Tetzel insbesondere dadurch, dass er nach sozial gestaffelten Preisen ausgegeben wurde und auch für die Zukunft und für bereits Verstorbene galt. Luthers Kritik setzt genau hier an, in dem dieser die Auffassung vertrat, dass der Papst und die Kirche keine Zugriffsmöglichkeiten auf die Seelen der Verstorbenen haben dürfen. Auch stellte er die Frage, welche Bedeutung die Buße dann noch hat, wenn künftige Sünden schon auf Erden „verrechnet“ worden sind?
Hatte Teztel bisher mit seinen Ablässen noch gewisse volksnahe oder allgemein gesellschaftliche Projekte bedient, so war das Sammeln von Geld für das reiche Rom dann doch nicht so beliebt. Tetzel musste demnach noch intensiver argumentieren und auch aggressiver auftreten, um Erfolg zu haben. Das Zielprojekt des Ablasses und die Form seines Verkaufs, waren Luther zu Ohren gekommen. Der verstärkte seine Polemik gegen den „Clamante“ Tetzel und beschwerde sich bei den Kirchenbehörden über diesen Dominikanermönch, der das Ansehen der Kirche angeblich beschädige. Letztlich war der umtriebige Tetzel der Auslöser für Luthers spätere 95 Ablassthesen, die er in lateinischer Sprache verfasste, an verschiedene Persönlichkeiten verschickte, aber wohl kaum an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg nagelte.
Hier begann auch die Legendenbildung nicht nur um Luther, sondern auch um Tetzel, der mit seinem Verhalten also doch irgendwie die Reformation einleitete. Mag sein, dass sich Luther auch eine andere Person im Rahmen des Ablasshandels als Anlass für seine Kritik auserkoren hätte, wenn Tetzel nicht zur Verfügung gestanden hätte. So war es aber er, der durch seine ausgefeilte Rhetorik, sein Verkaufsgeschick und seine Überzeugungskraft in den Fokus geriet. Hier ist auch die Quelle zu suchen, die das Bild vom feisten, geldgierigen, moralisch verkommenen Ablasskrämer erstellt und im Laufe der Jahre – später dann durch protestantische Geschichtsschreiber – verzerrt, sogar verfälscht wurde.
Wider die Legenden um Johann Tetzel
Es gibt z.B. kein Dokument, das den Tetzel zugeschriebenen Slogan „Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmelspringt“ belegt. Dieser ihm angedichte Ausspruch existiert mittlerweile in mehreren Varianten und wird bei jeder neuen Veröffentlichung ungeprüft abgekupfert. Dieses Pseudozitat dürfte auf die Luther-These 27 zurückzuführen sein, in der es heißt: „Die predigen Menschentand / die da fürgeben / das / so bald der Grosschen in den kasten geworffen / klinget / von stund an die Seele aus dem Fegfewer fare.“ Obwohl nahezu alle 95 Thesen gegen den Ablass gerichtet sind, griff er hier einen der Wahlsprüche Tetzels auf, die so häufig und so unterschiedlich, geglättet, modernisiert, ergänzt und verfälscht zitiert worden sind, dass ihre historische Herkunft kaum noch nachvollziehbar ist. Vermutlich bedurfte es dieser protestantischen Verunstaltungen in der Überlieferung, um Tetzel als reimenden Betreiber einer geistlichen Jahrmarktsbude zu diskreditieren.
Ebenso verhält es sich mit der Legende, dass Tetzel in Annaberg im so genannten „Tetzel-Haus“ auf der Großen Kirchgasse gefangen gewesen sein soll. Manch einer will sogar noch die Eisenringe im Keller des Hauses gesehen haben, an denen der Ablassprediger angekettet war. Tetzel hat mit diesem 1885 erbauten Haus vom Annaberger Unternehmer Carl Schmidt genau so viel zu tun, wie mit dem ihm angedichteten Vers. Allerdings war der Vorgängerbau (Grundmauern) ein Renaissancebau aus dem 16. Jahrhundert, den der Fundrübner und Ratsherr Lorenz Pflock errichten lies. Es ist also möglich, aber nicht nachweisbar, dass Tetzel auch in diesem Hause – wie auch im anderen Pflockschen-Haus, der späteren „Goldenen Gans“ und in einem Haus auf der Buchholzer Gasse - übernachtet haben könnte. Später hat er im Kloster Quartier genommen. Auf der Gedenktafel am so genannten Tetzel-Haus ist ein Auszug aus dem Psalm 84/12 aus der Luther-Bibel zu lesen: „HERR Zebaoth! Wol dem Menschen, der sich auff mich verlesst! - Joh. Tetzel 1508“. Dieser Psalm geht zurück auf den alttestamentarischen Psalm Jeremia 17:7,8: „Gesegnet aber ist der Mann, der sich auf den HERRN verläßt und des Zuversicht der HERR ist.“
Diesen letzteren dürfte Tetzel bei seinen Ablasspredigten im Munde geführt haben, und kaum den von seinem Widersacher Luther bearbeiteten, wie der seit über 130 Jahren an der Häuserwand des nunmehrigen Sparkassengebäudes (wie sinnig!) auf der Großen Kirchgasse prangt.
Auch die Geschichte um den so genannten Tezelkasten ist nicht belegt. Gesichert ist, dass er eine Einbaum-Truhe (also ein ausgehölter Baumstamm mit einem Einwurfschlitz) aus Sicherheitsgründen nutzte, um die Geldeinnahmen, seine Ablassbriefe, Fleisch- und Butterzettel (als Gegenleistung für eine Ablasssumme) aufzubewahren, womöglich wird er auch mit einer solchen Truhe unterwegs gewesen sein, die seine Träger und Helfer zu transportieren hatten. Ob es aber dieses sehr schwere Stück gewesen ist, das seit paar Jahrhunderten erst in der Sakristei der Annenkirche stand und nun im Vorraum ihren Platz als Spendentruhe gefunden hat, darf auch dann bezweifelt werden, wenn man davon ausgeht, dass Tetzel zahlreiche Helfer hatte, die teilweise auch namentlich bekannt sind. Darunter befand sich nicht selten auch ein Sekretär des Augsburger Bankhauses Fugger, der über die Einnahmen und deren Verteilung aus dem Ablasshandel wachte. Nur unter seiner Aufsicht durften diese Truhen geöffnet werden. Schließlich waren auch die in Annaberg reichlich sprudelnden Einnahmen aus den Ablässen einer relativ Korrekten Verwendung unterlegen.
Es ist nicht im Einzelnen übermittelt, welche Summen an wen verteilt wurden. Bekannt ist aber, dass den Hauptanteil die Peterskirche in Rom verschlang. Ein Teil ging an den Dresdener Hof, also an Georg den Bärtigen, der aber wiederum einen Teil davon für infrastrukturelle, bauliche und soziale Maßnahmen in den von ihm errichteten Bergstädten verwendet hat. Somit war auch Annaberg direkter, aber vielmehr indirekter Nutzniesser des Ablasshandels. Wenn auch der 30jährige (in anderen Quellen 25 Jahre) Ablass für den Bau der Annaberger Annenkirche zum größten Teil in der Verwaltung der Annenbruderschaft lag, so waren es Mönche des hiesigen Franziskanerklosters, die in dieser Bruderschaft ebenfalls Mitglieder waren und zu denen der Dominikanermönch Johann Tetzel beste Beziehungen pflegte.
Dass die Bettel-Mönche unseres Franziskanerordens nicht zu den Ärmsten zählten und auch durchaus großzügig mit Spenden umgingen, kann durch ein Testament belegt werden, das der Annaberger Franziskanermönch Hans Feyerlein im Jahre 1508 erstellt hat, darin heißt es u.a.: „...Zum andern Mal bescheide ich meinen sterblichen Leichnam der Erben zu begraben nach christlicher Ordnung. In das Kloster zu St. Franzisko auf St. Annenberg: von meinen Gütern bescheide ich dem Kloster, nämlich 10 fl., an Silber 8 Scheermesser, 4 messingne Becken, die besten 2 messingnen Kannen, 1 Blase, 1 Bett, 2 Wassersteine, den Schleifstein, 1 Salbenbüchse. / Meinem Beichtvater, mit Namen Herr Heinrich Kögeler, 5 fl. zu einer Kappe. / Meinem Vater Hans Feyerlein 20 fl. / Item in die Bruderschaft St. Annen 1 Gulden. / Item in die Bruderschaft St. Jacob 1 fl. / Item in die Bruderschaft des Rosenkranz 1 fl. / In die Bruderschaft St. Wolfgangs das Kloster 1 fl. / Item Katharinen der Köchin 10 fl. und 8 messingne Becken, 1 Kanne, 2 Betten und anderes Gerülle, ob es gesucht oder ungesucht sei, 1 Blase und das alles als ihren verdiensten Lohn, und das reiche man ihr ohne allen Einspruch, ist mein letzter Wille. Item die 2 Kuxe auf St. Vincentius der Köchin. / Item 6 fl. an Schuld Hans zu reichen in das Kloster. / Item Jorge Graff 30 gr. in das Kloster...“. Als Zeugen werden Bruder Heinrich Kögeler vom Barfüßerorden und Bruder Philipp Zölb vom Franziskanerorden angeführt.
Zu den Tetzel-Andichtungen gehört auch die Gründung des Lätare-Marktes (immer Mitte März, Mitte der Fastenzeit, „Mittfasten“, daher leatare = freue dich – auf das Osterfest), die 1517 auf Tetzel mit der Unterstellung zurück gehen soll, dass er diesen Markt nur ins Leben gerufen habe, um bei der anzutreffenden Volksansammlung gute Ablass-Geschäfte zu tätigen. Nachweislich ist dieser Markt von Georg dem Bärtigen bereits 1504 angeordnet worden, als die Reliquien der Hl. Anna in die Stadt kamen und diese damit zu einem Wallfahrtsort ausgebaut wurde.
Ebenso bleibt uns Jenisius die Quelle zu jener immer wieder abgeschriebenen und nacherzählten Tetzel-Legend in seiner Annaberger Chronik schuldig, wonach dieser sich im Jahre 1508 für seine Ablass-Predigten durch die Annaberger Franziskanermönche bewundern ließ. Schließlich kam er gerade aus Freiberg, wo er innerhalb von zwei Tagen 2.000 Gulden eingenommen haben soll. Das war offensichtlich ein Grund zum Feiern.
Der Protestant Jenisius stellt dann den sich angeblich daraus entwickelten Vorfall so dar: „Er (Tetzel) aber lest sich unterdes mit Freßen und Saufen statlich gebrauchen: Brachte sich besonders bei einen Buerger allhier in boesen Verdacht, welcher ihm bedrewet abzuschmueren. Bald hierauf begegnet er dem Mönch: alß aber derselbe ihm gewahr worden, ist er in eines Meßerschmieds Laden getreten, einen Degen in die Hand genommen, ob wollte er denselben kauffen, machte sich wieder seinen Wiedersacher damit bewehrt: Der Buerger aber ist domahls, alß ob er ihn nicht gesehen, stillschweigend vorrueber gegangen.“
Mit solchen und ähnlichen Geschichten über Tetzel und den Ablasshandel wird nicht nur von den Reformatoren, sondern auch von Chronisten und Schriftstellern insbesondere im 17. Jahrhundert ein Tetzelbild geschaffen, das den unmäßigen Fresser und Säufer, den Hurenbock – kurz die moralische Verwerflichkeit in der Mönchskutte zeichnet. Hinzu kommen die zahlreichen graphischen Darstellungen aus jener Zeit und danach, die ihn als feisten, fetten, lüsteren Mönch vorführen. Dabei gibt es kein authentisches Bild von Tetzel. Alle Darstellungen stammen meist aus dem 18. und überwiegend aus dem 19. Jahrhundert. Somit könnte Tetzel auch ein schlanker, sportlicher Typ gewesen sein, der durch die vielen Fußwanderungen in Sachen Ablasshandel, dazu noch mit schweren Truhen bepackt, gar kein Doppelkinn oder einen Bierbauch ansetzen konnte. Da sein Orden aber nicht nur „Ora et labora“ verpflichtet war, sondern auch den Freuden des Lebens – selbst in den Fastenzeiten – zu sprach, mag das wohlgenährte Bild vom lustbetonten Mönchen so stehen bleiben. Auch in der Literatur überwiegen die Texte zu Tetzel aus protestantischen Federn. Aus katholischer Sicht sind nur zwei bis drei Veröffentlichungen aus dem späten 19. Jahrhundert bekannt.
Die Auseinandersetzung mit dem Kampf um die Köpfe und Herzen in Glaubensdingen wurde aber bereits im 16. Jahrhundert publizistisch mit Einblattdrucken ausgetragen. Evangelisch oder katholische: Für einige Jahre mussten die Beteiligten mit zahlreichen Schmähkarikaturen leben. Auf der Grundlage dieser gezeichneten und geschriebenen Eindrücken aus jener Zeit lässt sich heutzutage eigentlich keine verantwortliche Einschätzung ausrichten und kaum ein objektives Bild über die Protagonisten vermitteln. Da Tetzel in der Frühphase der Reformation starb (1519), hatte er gar keine Chance mehr, sein Bild noch einmal für die Nachwelt moralisch geradezurücken oder auch nur geraderücken zu lassen.
Bekanntlich hat es diesen Typ Christenmensch damals wahrhaftig gegeben, und er ist auch heutzutage durchaus noch vorhanden. Selbst wenn Tetzel ein derartiger verkommener Lebemensch gewesen sein sollte, was durch Originaldokumente nicht belegbar ist, wurde hier jedoch von reformatorischer und protestantischer Seite ein Prügelknabe installiert, der sich offensichtlich durch seine Aktivitäten und die damit verbundenen Erfolge besonders eignete. Hinzu kommen die abwertenden Bemerkungen von Myconius in seinen Briefen (siehe in „Lebensbild des Friedrich Mykonius“, Heinrich Ulbrich, Wissensch. Zeitschrift, Uni Greifswald, 1971), aber insbesonders die Anfeindungen Luthers in Traktaten, Kanzelreden und Tischgesprächen nach 1540, die sich von jenem mitleidigem Trostbrief an Tetzel aus dem Jahre 1519 darin unterscheiden, dass Luther nun nicht mehr wie einst allein den Papst, die Ideologie der katholischen Kirche und deren Geldgier verantwortlich macht und spitzzüngisch kritisiert, sondern die Schuld bei solch zwar kirchentreuen, aber verblendeten Individuen – und im Falle Tetzel zudem an einem nun Wehrlosen - festmacht.
Thesen-Wechsel zwischen Luther und Tetzel
Tetzel tauchte Anfang 1516 erneut in Annaberg auf und macht hier Station. Die Annaberger bereiteten ihm übrigens wiederholt einen euphorischen Empfang mit Abholung am Wolkensteiner Tor, Zug und Spalier durch die Stadt (andere Quellen berichten davon, dass er getragen wurde, wieder andere, dass er auf einem Pferd einritt), um auf dem von Menschen überfüllten Marktplatz eine große Begrüßung abzuhalten, die Tezel gleich für eine vulminante Ablass-Predigt nutzte.
In diesem Jahr soll er zwei Mal in der Stadt gewesen sein, zumal er im Sommer und Herbst auf etlichen Märkten gesichtet wurde. Auch wird er wieder sein rotes Kreuz mit sich getragen haben, das es bei seinen Predigten in der Nähe des Altars platzierte, so wie er es bereits bei seinem ersten Besuch in der damaligen Holzkirche errichtete, die dann von der steinernen großen Annenkirche abgelöst wurde. Aus den Quellen geht nicht eindeutig hervor, ob es sich bei Tetzels Kreuzaufstellung 1516 vor einem Altar in der Annenkirche (die Holzkirche wurde 1512 abgebrochen) handelt, oder um den Marienaltar in der Klosterkirche.
Er reiste von hier aus auch in andere Orte Sachsens, meist dort hin, wo Jahrmärkte, Volksbelustigungen, Wallfahren oder Kirchweihfest stattfinden. Dort versammelt sich reichlich Volk, das Geld sitzt etwas lockerer und die Verkaufs-Chancen für seine Ablässe sind dadurch günstig.
Auch 1517 war Tetzel noch einmal in Annaberg, vermutlich letztmalig. Wieder wurde er stürmisch von der Annaberger Bevölkerung begrüßt und gefeiert. Er hatte diesmal „römische Ablaßbrieffe“ im Gepäck, wie Jenisius den Brief vom 12. Februar 1517 zitiert: „Auff schier kommenden Donnerstag vor Mitfasten, wird der römisch Ablaß und vollständigste Vergebung der Sünden durch paebstliche Heyligkeit St. Annenkirchen uff St. Annenbergk, mildiglich verliehen...“.
Johann Tetzel verrichtete den umfangreichen Ablassverkauf auch in Annaberg nicht allein, „dem Tezelio haben die Franciscaner-Mönche getrost nachgefolget, ihm trewen Beystand geleistet, auch die abgoettische Meßen hoechlich geruehmet“, weiß Jenisius in seinem Caput XII, Religio, zu berichten. Auf die Kontrolle der Fugger-Bank über die auch in Annaberg akquirierten Gelder aus diesem Ablass geht Jenisius vermutlich deshalb nicht ein, da diesmal, anders als bei den vorhergehenden Einnahmen, die gesamte Summe an Rom überstellt wurde.
Es war die Zeit, in der Luther seine Anti-Ablassthesen veröffentlichte, auf die Johann Tetzel zunächst mit 105 Thesen gegen Luther antwortete und die gottgefälligen Inhalte sowie den allgemeinen Nutzen der Ablässe verteidigte. Als darauf wieder ein Disput erfolgte, lieferte er zu Ostern 1518 weitere 50 Thesen, worin der nunmehr kranke Mann wiederholt die Notwendigkeit seiner Mission begründete.
Offensichtlich hat sich Luther zwar nicht von den Pro-Ablass-Thesen überzeugen lassen, aber Tetzel differenzierter wahrgenommen und beurteilt. Das kommt zunächst positiv zum Ausdruck in einem verschollenen Trostbrief, den Luther kurz vor Tetzels Tod, Anfang August 1519, an ihn richtete. Obwohl dieser Brief im Original nicht mehr aufzufinden ist, zitiert ihn 1521 der katholische Theologe, Kaplan und Sekretär Georg des Bärtigen, deutscher Bibelübersetzer und Gegenspieler Luthers, Hironimus Emser, in seiner „Kampfschrift“: „Er (Tetzel) soll sich unbekümmert lassen, denn die Sach ist von seinetwegen nicht angefangen, sondern hat das Kind viel einen anderen Vater.“
Am 11. August 1519 stirbt Johann Tetzel in Leipzig (vermutlich an der Pest, andere Quellen „an Schmerz und Gram und paebstlichen Aerger“, in „Deutsche Acta eruditorum oder Geschichte der Gelehrten, welche den gegenwärtigen Zustand der Literatur in Europa begreiffen“, Band 11, Gleditsch, 1727). Er wird in der später gesprengten Pauliner-Kirche (Universitätskirche zu Leipzig) beerdigt. Bei Jenisius taucht die Todesnachricht erst 1520 in der Annaberger Chronik auf: „Von Leipzigk koemmet Bericht ein, daß Tezel, paebstlicher Ablaßkraemer verstorben, und daselbst in Paulino begraben worden sey.“
Sieger schreiben Geschichte – Verlierer werden abgeschrieben
Nicht nur Protestanten, auch katholische Theologen wussten um die Unmöglichkeit und Kritikwürdigkeit des von Rom und der deutschen Kurie gesteuerten Ablasshandels. Kluge Köpfe waren nicht bereit, diese Geschäfte mit dem Glauben nur einer Person schuldhaft anzuhängen. Sie wussten, dass Johann Tetzel ein treuer, übereifriger, redegwandter, gescheiter aber auch lebensfreudiger, verschlagener letztlich unglücklicher Soldat seiner alten Kirche war.
Auch Luther wollte durch diesen Satz in seinem Trostbrief die Schuld ganz wo anders ansiedeln, statt bei diesem gewissenhaften, aber unverschuldet verblendeten Vollstrecker eines Glaubensauftrages. Dass Luther die christliche Tugend der Vergebung fremd gewesen sein musste, wird in seinen Traktaten wie u.a. in „Wider Hans Worst“ (1541), wo er keine Gelegenheit auslässt, um Johann Tetzel mit seiner drastischen Sprache und unsachlichen Anwürfen zu kritisieren.
Es war aber auch jene Zeit, in der ein kranker Martin Luther seinen immanenten Juden- und Fremdenhass, jene Bauern- und Frauenverächtung und seinen Teufelswahn auslebte, dabei auch ein Bild von Johann Tetzel schuf, das diesem Mann - bei aller differenzierten Kritik – in keiner Weise gerecht wird.
Dass nach reichlichem Filtern, Interpretieren und dabei – auch unbeabsichtigtem Fälschen der Fakten - von manchen prägenden Personen der deutschen Geschichte kaum noch Erkennbares übrig bleibt außer nebeliche Facetten, nacherzählte und immer wieder abgeschriebene Geschichten sowie Verurteilung, lässt sich an Tetzel nahezu beispielhaft zeigen. So wie sich das ökumenische Projekt Luther-Tetzel-Weg (seit 2012 zwischen Jüderbog und Wittenberg) um die Befreiung dieser historischen Person vom negativen Mythos mittels einer differenzierten Betrachtungsweise bemüht, wäre es an der Zeit, auch den Annaberger Tetzel-Mythos vom Staub der Geschichte und ihren denuziatorischen Geschichten zu befreien, um dem Faktischen Raum zu geben.
Es wäre eine fatale Sichtweise anzunehmen, dass nur Sieger die Geschichte schreiben, während die Verlierer abgeschrieben werden. An dem, was Tetzel einmal - auch durch die Annaberger von einst, die ihn jubelnd empfingen - populär gemacht hat, hält heute der aufgeklärte Teil der Menschheit nicht mehr fest. Aber der Ablass-“Handel“ ist längst nicht eine Angelegenheit von vorgestern: Die katholische Kirche hat den Ablassverkauf zwar noch im Reformationsjahrhundert nicht nur verboten, sondern auch 1570 unter Strafe der Exkommunikation gestellt. Ablass meint in dieser Kirche heute „Nachlass zeitlicher Strafe vor Gott für Sünden, deren Schuld schon getilgt ist“ (CIC von 1983, Can. 992). Papst Johannes Paul II. bestätigte die römisch-katholische Ablasspraxis zuletzt im Jahr 1998 in der Bulle für das Heilige Jahr 2000. So wurde u.a. auch den Teilnehmern am Weltjugendtag in Sydney 2008 ein Ablass gewährt.
Auch mit dem Segen Urbi et Orbi (Der Stadt Rom und dem Weltreich) ist nach römisch-katholischer Lehre allen, die ihn hören oder – seit 1985 - auch vor dem Fernseher wahrnehmen und die guten Willens sind, ein vollkommener Ablass ihrer Sündenstrafen gewährt. Dies gilt seit 1995 auch bei dem Empfang des Segens über das Internet. Einen vollkommenen Ablass gewährt die katholische Kirche auch jedem Gläubigen, der eine der vier Patriarchalbasiliken Roms besucht und dabei andächtig das Vaterunser und das Glaubensbekenntnis spricht – und das 500 Jahre nach Tetzel...
Lutherische Kirchen haben sich in der Rechtfertigungslehre gegen die römisch-katholische Kirche so definiert, dass der Ablass durchaus noch im Bereich der Traditionspflege eine wichtige Rolle als schlechtes Beispiel herhalten muss. Und bei den Reformierten hat der Mensch bekanntlich gar nicht erst daran zu denken, dass er sich wirksam von der menschlichen Fehlbarkeit distanzieren kann.
Es ist eine wohltuende, weil aufgeklärte Tatsache, dass sowohl amtlich als auch dogmatisch von Tetzel kein Pfad mehr weiter führen kann, auch eine Beschönigung oder gar Reinwaschung des Ablass-Geschäfts und seiner Protagonisten wäre auch von katholischer Seite – bei allem Festhalten am modifizierten Ablass-Mythos – in der von Tetzel praktizierten Weise nicht mehr denkbar.
Aus Anlass eines derart runden Reformations-Jubiläums wie es 2017 begangen wird, sollte allerdings auch Platz gefunden werden, einem historisch Unterlegenen von den Siegern der Geschichte Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.
Schließlich hat dieser Johann Tetzel durch seine intensive und rechtskonforme Arbeit für seine Kirche maßgeblich mit dazu beigetragen, dass Martin Luther seine Thesen formulieren und veröffentlichen konnte. Somit bleibt Johann Tezel eine nicht ganz unbedeutende Gestalt der Reformation und ihrer Geschichte. Wer weiß es und kann es verbindlich sagen, wie die Reformatitionsgeschichte ohne diesen umtriebigen sächsischen Mönch sonst verlaufen wäre...
g.b.s.
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