LESERPOST
ÜBER UNS
IMPRESSUM
WERBEN

Gegründet 1807

www.annaberger.info

Wiedergegründet 2011

    POLITIK   WIRTSCHAFT   KULTUR   LOKALES   HISTORISCHES   STADTFÜHRER    WEIHNACHTEN    GASTRO

THEATER ABC

 

 


Valencianisches Neunerlei

Grüße vom Stülpner Carlos aus dem iberischen Weihnachtsland

Die Erzgebirger halten sich oft für einzigartig. Das sind sie auch. Vor allem bei ihren Weihnachtsbräuchen. Das Neunerlei und das ganz Drumherum macht ihnen so schnell niemand nach, ihre Mundart sowieso nicht. Aber: Extra Miriquidium si est vita! Auch außerhalb des Erzgebirges ist nicht alles nur Pute oder Würstchen mit Kartoffelsalat zum Fest.

Ganz am anderen Ende Europas gibt es eine verwunschene Gegend mit einem kleinen, ebenso starrköpfigen Bergvolk, das zu Weihnachten auch ein Art
Neunerlei zelebriert, bei dem jede Zutat auch eine Bedeutung hat und die traditionellen Abläufe in ihrer heimeligen Innigkeit denen der Erzgebirger kaum nachstehen. Die Rede ist vom Berg- und Burgenland Valencia, vor allem dem Süden seiner Provinz Alicante.

biar (Andere)
Burg und Dorf von Biar, Wiege des Ritters El Cid

Rund um das "Burgenland" des Biar, in dem der alte Ritter El Cid als eine Art geharnischter Stülpner Carlos schon im 13. Jahrhundert seine Heldentaten vollbrachte, aber mehr auf seine Rechnung arbeitete, denn für die Armen, leben die Valencianos und pflegen ihre Bräuche. Zu denen gehört auch eine Mundart, das Valencianisch, das Teil des Katalanischen ist und mit Spanisch (Also Kastilisch) nichts zu tun haben will. Ein ähnliches Verhältnis also wie das Erzgebirgische zum Sächsischen und dieses zum Hochdeutschen hat. Wird ein Erzgebirger die Bezeichnung Sachse noch erdulden, sagen Sie zu einem Valencianer bitte nie Katalane! Seine Unabhängigkeitsbestrebungen liegen eher im Metaphorischen. Wie der Erzgebirger glaubt er zwar auch, er brauche alle anderen nicht, um sich ein glückliches Leben zu bauen, aber darauf ankommen lassen will er es lieber doch nicht.

Was hier Silbererz, ist dort der Marmor

Was dem Erzgebirger das Silbererz war, ist dem Alicantiner der Marmor. Er prägte Land, Leute und Gebräuche. Man schürfte und schliff die edlen Platten aus seinem Gebirge, sie schafften es bis in den Petersdom nach Rom, bezahlt wiederum auch von den Erzgebirgern mit ihren Ablassbriefen. So haben also beide, die Erzgebirger wie die Marmorgebirger ihre Aktien am Vatikan.

Aber zur valencianischen Weihnacht und dem iberischen Neunerlei: Die spanischen Kinder waren clever. Feierte man über Jahrhunderte traditionell auf der Halbinsel das Weihnachtsfest mit dem Einzug der Heiligen Drei Könige am 6. Januar, setzten sie bei ihren Eltern durch, dass man den Gepflogenheiten im Rest Europas des 24. und 25. Dezembers zu folgen hatte. Die armen Eltern müssen nun zweimal bescheren - und kochen.

puchero (Andere)
Beratungsmuster eines Putxeros

Neun Zutaten und ein Olé!

Vielleicht ist es kein Zufall, dass der Wikipedia-Artikel zum Neunerlei nur in einer einzigen weiteren Sprache verfügbar ist, nämlich ausgerechnet auf Spanisch. Zu Heiligabend und am Weihnachtstag oder eben am Dreikönigstag serviert man in Spanien gebräuchlicherweise ein üppiges Menü, das sich über Stunden hinzieht. Edle, sündteure Meeresfrüchte, vor allem die Gambas rojas, die roten Garnelen, deren Kilopreis zum Jahresende dreistellig wird. Auf prachtvollen Platten kredenzt, folgt allerlei Fleischliches, der Schinken vom iberischen Schweine mit seiner pata negra, seinem schwarzen Hufe darf nicht fehlen, ebenso die Käse aus der Mancha, in Moscatel-Wein gesottenes Kaninchen, - gespart wird nicht.

In den Dörfern der valencianischen Berge aber ist zum Weihnachtsmale häufig der Putxero der Favorit, sozusagen die Königsdiziplin der als Cocidos (eher brühig) oder Guisos (eher gulaschartig) gekochten Eintopfgerichte, die man in Spanien in dem, was man dort Winter nennt, den leichten Tapas vorzieht.

Der valencianische Putxero, benannt nach seinem irdenen Herstellungsgerät hat so viele Varianten wie die Paella - oder auch das Neunerlei im Erzgebirge. Aber es sind hier wie dort genau neun Zutaten unabdingbar für das Gelingen dieses archaischen Fleischtopfes: 1. Rindfleisch und, am besten -rippen, 2. Schweinskni schwartee und/oder Schweinsohr, 3. Hühnerschenkel, 4. Blutwürste, 5. Chorizo (Paprikawurst), 6. Schinkenknochen vom Iberico-Schinken, 7. Süßkartoffel, 8. Kichererbsen, 9. Suppengemüse. Dahin ist sie die mediterrane Leichtigkeit. Neun Zutaten für ein Ole!

turron (Andere)


Was hier der Stollen, ist dort der Turrón

Im Unterschied zum deutschen Eintopf, isst, nein, zelebriert man Fleisch, Gemüse und die im Idealfall gülden glänzende Brühe dann getrennt und hübsch der Reihe nach und jeder Bissen hat seine Bedeutung, wie auch beim Neunerlei geht es ums liebe Vieh, das Glück und die Fruchtbarkeit. Früher wurde alles noch in riesigen Tontöpfen sozusagen gebraut, Edelstahl hat hier das Regiment übernommen, die Töpfe haben Ausmaße von Windelwannen oder Wasseraufbereitungsanlagen.

Die extrahierte Brühe wird am nächsten Tage gerne auch noch mit Fadennudeln angereichert, sozusagen gestreckt. In einigen Regionen, speziell im Tal des Vinalopó, berühmt als Lieferant der in Spanien unverzichtbaren Silvestertrauben, werden aus dem Bodensatz, ergänzt um Gehacktes, Pinienkernen und Zitronenabrieb Fleischklösse geformt, die der Brühe nochmals Intensität verleihen. Einige Dörfer umwickeln diese Bälle noch mit Kraut. Das Gericht nennt sich dann Faseguras und ist nichts weniger als ein Gedicht.

Anstelle Stollen gibt es den Turrón, eine Variante des türkischen Honig in allen Farben, die Zucker, Mandeln, Honig, Rosinen, Feigen und Schokolade ermöglichen, es ist dies eines der vielen nützlichen wie schmackhaften Erbschaften der Mauren. Just hier in Alicante ist die Hauptstadt des Turrón, Xixona, von der der einzig echte, wahre dieser Honigkuchen nach ganz Spanien geht - so wie der beste Stollen bekanntlich aus dem Erzgebirge und nicht aus Dresden kommt. Und: in traditionellen Familien wird er ebenfalls nicht vor Weihnachten angerührt, früher aus Sparsamkeitsgründen, heute wegen der Qualität. Die Lagerung tut dem handgemachten (siehe Abb.) gut.

An der Darreichungsart erkennt der Leser leicht eine weitere Parallele zum Erzgebirge, nämlich die besinnungslose Völlerei in besinnlicher Stunde. Die Geduld der Chicos und Chicas wird in Spanien durch dieses endlose Mahl auf eine ebenso harte Probe gestellt wie es bei den Gunge und Maad im Erzgebirge der Fall ist. Und etwas Weihnachtliches hat Valencia, dass nicht einmal das Erzgebirge hat: Orangen, die Weihnachtsfrucht par excellence, pflückt man sich hier ganzjährig von den Bäumen. Ein saftiger, wenn auch kein ausreichender Ersatz für fehlendes Lichtlmeer und Schnee.

m.s.
(Abb: Valencianische Tourismusagentur)