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THEATER ABC

 

 

März 2018


cabaret (Andere)
Überbordende Lust, die im Halse stecken bleibt...

Erfolgreiche „Cabaret“-Premiere im Annaberger Eduard-von-Winterstein-Theater zeigt die glitzernde, frivole Atmosphäre im Berlin der zwanziger Jahre und die tatsächlichen Lebensgefahren für die Demokratie, wozu Wegschauen, Ignorieren und Mitläufertum beitrugen. Die Theaterfassung des Stoffes ist schroffer, aber auch berührender als die kongeniale Verfilmung mit Lisa Minelli 1972. Als talentierter Gast glänzten Anika Lehmann und das Schauspielensemble des Hauses mit Nick Körber als Conférencier.

cabaret2Das Stück von Joe Masteroff basiert auf den autobiographisch angelegten Roman des Briten Cristopher Isherwood, der im Berlin der endzwanziger  Jahre die Drastik einer instabilen Demokratie zwischen individuellen Freiheiten, Lebenslust und politischen Radikalisierungen einfing. Der Zuschauer weiß um die Ausgänge und kann im Stoff um so mehr eintauchen. Die Musik von John Kander hat Stil und Sound der Zeit voll auf dem Schirm. Die Gesangstexte von Fredd Ebb/Deutsch Robert Gilbert berühren und schockieren.

Das ist die Mischung für den Wahnsinnserfolg des Stoffes seit der Uraufführung 1966 am Broadway. Regisseur Urs-Alexander Schleiff, der an der Hochschule „Ernst Busch“in Berlin, sozusagen an der Quelle studierte, hat den Stoff stringent erzählt (Dramaturgie: Johann Pfeiffer) und die Puppen tanzen lassen.  Das Kit-Kat-Club-Ballett, bestehend aus dem E x t r a ballett! des Hauses hat wahrlich einen Hauptanteil am Erfolg des Abends.

Unter der Choreographie von Gesine Ringel entstand nicht nur einzelne Typenzeichnung der Mädels, sondern mitreisende Tanzszenen, die allerhand abverlangten und auch noch die Bühnenräumarbeiten übernahmen. Viel Fleisch und Bein war in Korsagen und Strapsen verpackt, Kleider, Morgenröcke, Anzüge stilsicher auf die Haut inszeniert und in das abgewetzte Interieur der Clubbühne, deren Unterbau die Türen zur Pension des Fräulein Schneider enthielten, gestellt (Ausstattung: Wolfgang Clausnitzer).

Die Hauptrollen waren in den Stimmen und Körpern junger talentierter Künstler gut untergebracht. Anika Lehmann, seit 10 Jahren an Theatern in Musicalrollen sowie in TV-Produktionen unterwegs, kommt als Sally Bowles  grazil daher, wirkt zerbrechlich, so dass man ihr die Frivolität ihrer Tingeltangel-Karriere nicht so recht abnimmt. Die Dialoge waren oft zu hastig, die Küsse konstruiert. Durch ihre Songs gelang ihr dann allerdings die Überzeugtheit. Sie verfügt über eine modulationsfähige Stimme mit Tiefe und warmer Höhe. Brecht hätte gesagt: ´Oh Gott, sie kann ja wirklich singen!´ Die berühmten Nummern waren sehr einfühlsam und die weniger bekannten sehr eindringlich ! Der sehr jungen Nick Körber  (seit 2017 in Annaberg) als omnipräsenter Conférencier, -ohne weiß geschminktem Gesicht- spielte, tanzte, provozierte androgyn und sang wie ein Profi im Metier. Da wächst wirklich etwas heran! Annaberg wird wieder Sprungbrett für Karrieren.

Sebastian Schlicht (-was manchmal ein Sakko so ausmacht !) spielte den Romanschriftsteller Bradshaw, Sallys Partner, unaufgeregt, aber mit Nachdruck und sichtbarem Gespür für die historischen Gefahren. Die Charakterrollen: Nenad Zanic als Nazi, wandlungsreich, kraftvoll, aber nicht plakativ; Marie-Louise von Gottberg als Frl. Schneider, -die ewig sich Duckende- überraschte durch berührende Momente in den Songs a la Lotte Lenya; Udo Prucha war ihr liebevoller Courmacher, der als Jude verzichten muss; Gisa Kümmerling als Frl. Kost, -die sich Anpassende-, mit Humor und Clevernis; und Marvin Thiede mit viel Potenzial in seinen kleineren Rollen  (Max, 1. Zollbeamter).

Überhaupt lebt die Inszenierung durch den Einsatz im Detail: Isa Etienne Flaccus als schüchternes, völkisch singendes BdM-Mädchen und dann die Girls im Kit-Kat-Club verstärkend oder Philipp Adam, der seine Wohlbeleibtheit wirkungsvoll und differenziert in den verschiedensten Aggregatzuständen präsentiert (Matrose, Bobby u.a.); endlich Jana Burkert als Charakter-Tänzerin: mit Franzy Roscher in „Two Ladies“, als Gorilla-Mädchen, als Kit-Kar-Girl. Doch was wäre ein Musical ohne Musik ?! Diesmal brauchte es kein großes Orchester mit zerfließenden Sound, sondern die aufeinander reagierende Band von guten, temperamentvollen und hörenden Solisten unter der hervorragenden Leitung von Marcus Teichert: welch eine Feeling in den Fingerspitzen, auch und gerade für die Sänger oben auf der Bühne!

Das Ende der Inszenierung ist hart, lässt die historischen Fakten nicht aus, geht an die Grenze, erzeugt Gänsehaut. Jawohl, Theater muss konfrontieren, muss weh tun, dem Publikum die Augen öffnen, vor allem dem jungen Publikum. Selten gab es im Zuschauerraum am Ende der Vorstellung so einen langen Moment des Innehaltens, des Atem-Anhaltens wie diesmal vor dem verdienten Applaus für das Ensemble.

Eveline Figura

Weitere Vorstellungen: 2.,10.,17., 22.03.2018; 19.30 Uhr.
Infos:
www.winterstein-theater.de , Tel.:03733.1407-131
Abb.: Theater Annaberg