|
|
|
|
Gegründet 1807
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
April 2018
Standesstress und Frauenliebe
“Das Käthchen von Heilbronn” am Theater Annaberg-Buchholz
Das Annaberger Theater wagt sich zurecht an die Ritterromantik eines Heinrich von Kleist, die sich entstaubt als kräftige Satire auf diese rückwärts gewandte Modewut der Romantik entpuppt. Junge Darsteller beherrschen die komplizierte Sprache und das an Seifenopern gewöhnte Publikum lernt wieder das Zuhören, wenn es um Gefühle geht.
Unser Theater hat sich mit seiner neuesten Premiere am 8.April 2018 endlich wieder an einen Klassiker gewagt und gewonnen! Das Publikum war unterbesetzt, die Fehlenden haben verloren.
Fotos: Eduard von Winterstein Theater © Dirk Rückschloß, BUR-Werbung
Heinrich von Kleist, der Spross aus verarmtem preußischen Adel, wollte durch Arbeit in der Verwaltung oder mit Schriftstellerei auskömmlich leben. In Zeiten der napoleonischen Kriege über Europa gelang dies schwer oder gar nicht. Viele gescheiterte, durchaus talentierte Existenzen fristeten ihre Dasein, so Goethes Schwager Vulpius und nicht selten fanden manche nur im Selbstmord einen Ausweg wie Goethes Studienfreund Lenz. Ein regelrechter Suizid-Boom setzte nach Goethes “Die Leiden des jungen Werther“ ein. Die Unmöglichkeit unstandesgemäßer Ehen förderten das gemeinsame Aus-dem-Leben- Scheiden von Paaren bis in die höchsten Kreis wie der Fall Mayerling um den Kronprinzen Rudolph von Habsburg und der Freiin Mary Vetsera schließlich Ende des 19. Jahrhunderts.
|
Kleist und seine todkranke Freundin sahen 1811 am Wannsee auch nur diesen Ausweg, wo heute noch der Grabstein des Paares zu finden ist. Dabei hatte Heinrich von Kleist sich durchaus einen Namen gemacht als Herausgeber von Literaturzeitschriften und ein für sein kurzes 33-jähriges Leben beachtliches Werk. Von dem wurde unter Goethes Leitung immerhin der „Zerbrochene Krug“ in Weimar aufgeführt und sein „Michael Kohlhaas“verschreckte nach der wahren Räuberstorry nachträglich noch einmal die Gesellschaft von der Bühne aus. Und genau das steht auch beim „Käthchen von Heilbronn“ im Fokus. Es ist das kompromisslose Aufbegehren gegen Konventionen. In diesem Fall das eines jungen Mädchen für ihre Liebe, zuerst als einem Traumgebilde, dann in realer Gestalt. Das Käthchen steht so gegen das Frauenbild von Kleist selbst, so dass dessen Ritterspiel als bewusste gesellschaftliche Provokation angenommen werden muss.
Regisseurin Tamara Korber hat es geschafft, eine krasse Gesellschaftssatire zu inszenieren, ohne die Liebe Käthchens als überdrehte Verrücktheit zu denunzieren. Isa Etienne Flaccus gibt dieser Absicht Gestalt als naives und tapferes Mädchen, das ihren Traum lebt, ihr und ihrem uninteressierten Geliebten, Graf von Strahl (Nick Körber). Beiden kann nicht einmal das Fehmegericht etwas anhaben. Das Mädchen bringt ihren bürgerlichen Vater, Waffenschmied Theobald Friedeborn (Udo Prucha), schier zur Verzweiflung, rettet den Angebeteten vor Überfall, besteht eine Feuerprobe, wickelt sich unter dem Holunderbusch träumend und keusch entblößt um den jungen Mann, den sie so langsam beeindruckt. Flaccus und Körber sprechen die überhöhten Texte sauber und überzeugend. Welch eine Freude mal wieder so was zu hören und das gesamte Ensemble folgt ihnen.
Im Chaos des etwas albern wirkenden Feuerbrandes geht da zwar wieder manches unter, vor der Pause hätten auch noch mancher gut gesetzte Strich in den Texten für mehr Stringenz gesorgt. Ritterkämpfe mit Stecken und Schwertern auf einer ziemlich freien Bühne, Gothic-Kostüme (Ausstattung: Robert Schrag) bringen Leben und Charakter in die Recken. Dabei gelingen wunderbare Überzeichnungen von Figuren in Mehrfachbesetzungen: Als Kaiser und Rheingraf von Stein, als Wenzel von Nachtheim (Marvin Thiede) mal nachgiebig, mal hart, dominant; der Burggraf von Freiburg, Graf von
der Flühe, Nachtwächter (Nénad Zanic), ein Genuss an Differenzierung und Körperbeherrschung; als Vasall des Grafen Strahl und Eginhardt von der Wart (Sebastian Schlicht) schlank und präsent in Sprache und Aktion. Oh, Gott! Welch` Flut teutscher Namen! Spaß machten vor allem auch die mittleren Rollen: der Knecht Gottschalk (Philipp Adam) stampfte nicht nur kräftig, sondern wirbelte auch als Käthchens Freund sympathisch auf; in sechs Rollen gar Samuel Schaarschmidt: vom Adligen bis zur Haushälterin, vom Bischof bis zum sächselnden Jakob Pech und Kunigundes Tante zeigte der von der Schauspielschule Frischgekürte mit Spielfreude seine Entwicklung. (-zum Schlussapplaus darf er mit der Spielerei dann aber ruhig aufhören!).
|
Die große Gegenspielerin Käthchens ist die Kunigunde von Thurneck (Marie-Louise von Gottberg), die nicht nur Gräfin Strahl werden will, sondern auch das Böse in Persona mit Gift und Galle gab. Von Gottberg spielt die Nähe von Schönheit und Teufelei voll aus, reizend und abgründig. Großartig auch die Souveränität der Gräfin Helena (Gisa Kümmerling), fair und überzeugend. Als Kammerzofe und Frau Pech zeigte Christiane Schlott, was sie an Ausdruck gewonnen hat.
Kleist musste am Ende jedoch die verhärtete Gesellschaft überlisten, damit Käthchen und ihr Graf sich kriegen: Dokumente enthüllen schließlich, dass das Mädel die Kaisertochter ist, der Vater-Waffenschmied der gutmütig Gehörnte, der sein Schwert in der Scheide lässt. Welch ein Skandal und mit Tönen aus dem Himmel (Ingolf Huhn) endlich Friede - Freude-Eierkuchen. Dazwischen verrichteten ein weiblicher und männlicher Engel (Franzy Roscher und Dominik Kwetkat) ihre hübschen Liebesspiele (Choreographie:Karen Schönemann). Ohne diese augenzwinkernden Zaubertricks hätte sich das Käthchen am Ende wohl doch eher entleiben müssen.
Zur Nachtlektüre seien zeitgenössische Kritiken zu Kleists Gesellschaftssatire empfohlen. Hoffen wir, dass sich viel unverdorbenes junges Publikum einfinden möge zu lernen wie deutsche Sprache klingen kann und wie schwer es früher mit der Liebe war.
Eveline Figura Nächste Vorstellungen: 11./14./28.4., 19.30 Uhr service@winterstein-theater.de
|
|
|
|
|