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September 2018


Chorbücher auf Heimaturlaub

Die „ANNABERGER CHORBÜCHER“ sind eine seltene Sammlung liturgischer Gesänge vom Ende des 15. Jahrhunderts und ungefähr 1520 in die St. Annenkirche gekommen. Sie sind nun im Rahmen des Musikfestes Erzgebirge für kurze Zeit aus Dresden heimgekehrt und im Erzgebirgs
Museum zu sehen sowie in St. Annen zu hören.

Das hochkarätige MUSIKFEST ERZGEBIRGE macht vieles möglich: Ungewöhnliche, selten gehörte Musik an authentischen Orten, großartige Ensembles und Solisten und heute auseinander gedriftete Kunstarten werden wieder vereint. Das Festival beginnt am 6.9. 2018 in Annaberg mit „Barocken Zirkusträumen“, noch bis 11.9, zweimal täglich auf dem Markt, wo früher schon Gaukler und Artisten Kunststücke zeigten, und sie heute in einem Festzelt aus den 20er Jahren zu luftig-flirrender Barockmusik (mit dem Orchester „La Folia“) wie einst an den europäischen Höfen jonglieren, seiltanzen, zaubern u.v.m.

chorbucher (Andere)


Und bereits am Sonntag, dem 9.9.2018, 17 Uhr, werden in der spätgotischen Hallenkirche St. Annen Auszüge aus den „ANNABERGER CHORBÜCHERN“ vom „Ensemble Stimmwerk“ modernen
Chorwerken von Arvo Pärt und Francis Poulenc als Wechselgesänge mit dem Lettischen Rundfunkchor unter Sigvards KJava gegenübergestellt. „Der Traum der Freiheit“ heißt das außergewöhnliche Konzertereignis.

Seit 4.9.2018 nun sind die echten ANNABERGER CHORBÜCHER wieder, für kurze Zeit, im Erzgebirgs Museum zu sehen. Wer sie in ihrer jetzt würdig restaurierter Form betrachtet, wird feststellen, dass es einstimmige Liturgiegesänge sind, die von verschiedenen Orten der großen Annenkirche aus wechselseitig erklangen und das vielleicht der Überakustik des Raumes mit langer Nachhallzeit besser entsprechen dürfte als die späteren geschwind zu interpretierende Polyphonie Bachs und seiner Zeitgenossen. Aber auch vierstimmige Messen und Motetten, Hymnen sind zu finden in einer einmaligen Zusammenstellung.

Die Chorbücher wurden 1968 von der Kirchgemeinde, die mit der Lagerung und Restaurierung überfordert war, an die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek in Dresden (SLUB) verkauft, die sich dafür die kleine Orgel anschaffte, weil die große, romantische Walcker-Orgel noch drei Jahrzehnte ihrer Restaurierung harren musste. In Dresden wurden die zwei Bände der Chorbücher (Reg.: Mus 1-D-506 mit 150 geistlichen Liedern und Mus 1-D-505 mit 167 Liedern) nicht nur aufwendig restauriert, sondern nunmehr auch teilweise digitalisiert und musikwissenschaftlich für den modernen Druck vorbereitet.

Die engagierten Organisatoren des Musikfestes Erzgebirge (6.-16.9.2018) wurden so auch darauf aufmerksam und setzten sich für die erste Neuaufführung ein wie auch dafür, dass die Bücher in unser Museum, wenn auch nur für kurze Zeit, zurück kommen konnten. Synergieeffekte nennt man so etwas. Und das gab es auch schon vor 500 Jahren: Herzog Georg der Bärtige von Sachsen ließ einst nichtnur seine neue Stadt am Schreckenberg, später Annaberg, bauen, sondern auch die von jeder Himmelsrichtung aus weit sichtbare spätgotische Hallenkirche St. Annen, die heute noch ihre originale Innenausstattung der Gründerzeit besitzt, aufwendig restauriert und hell strahlend. Der Herzog schaffte dazu einst tausende Reliquien an, einige von der Heiligen Anna, der Schutzheiligen der Bergleute, und machte Annaberg zu einem damals bekannten Wallfahrtsort, was dem Aufblühen seiner Lieblingsstadt neben dem „Berggeschrey“ ums Silber zugute kam. Die ANNABERGER CHORBÜCHER seien eine Anschaffung und vielleicht ein Geschenk Herzog Georgs (Rechnungen in Dresden belegen das.) an die Gemeinde gewesen. Das Datum der Gabe dürfte mit der Kirchenweihe zusammenfallen.

Die Chorbücher sind in lateinischer Sprache. Die lateinische Messe war bis 1539 (Sterbejahr Herzog Georgs) in St. Annen gepflegt worden, und es obliegt der kirchenmusikalischen Forschung herauszufinden, ob danach Gesänge auch mit deutschen Texten nach Einführung der Reformation weiter gepflegt worden sind. Die Qualität des Lateins dürfte in den einzelnen Stücken unterschiedlich sein, wurde doch unter dem damalige Rektor Rivius der Pfarrer in der Lateinschule Annaberg wegen seines fehlerhaften lateinischen Idioms gehänselt. Was davon in die Chorbücher gelangte, wird noch herauszufinden sein oder auch nicht.

Wer kann Latein heute noch? Auch die Verständlichkeit der Niederschriften der Noten, -ohne Taktstriche oder Taktangaben, die Bedeutung des „C“ am Zeilenbeginn: Ist das 4/4-Takt oder die Tonart? Da müssen die Fachleute ran! Der Kantor von St. Annen, KMD Matthias Süß, soll bei der Vorstellung der Chorbücher schon mal etwas angesummt haben...! Bevor die Kostbarkeiten jedoch wieder in der Schatzkammer der SLUB neben den Maya-Handschriften und dem „Sachsenspiegel“zurückkehren, mögen sie sich zu Hause so richtig bewundern lassen und künftig gebraucht fühlen.

Eveline Figura