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März 2019


Begehbares Geschichtsbuch - Der Alte Friedhof in Annaberg

Diesem „Buch“ fehlen unzählige wichtige Seiten, die Bebilderung ist fleckig und beschmiert, der Einband zerschlissen. Es ist der Alte Friedhof in Annaberg. Der, rudimentär seit dem Bau des Busbahnhofs in den Siebzigern, als sogenannter Stadtpark vor sich hin dümpelt. Dabei gibt es dort Teile, die bisher geachtet und gepflegt sind, aber auch Grabmale mit wichtigen Bürgernamen, die wie verletzte Glieder wirken, besprayt sind und Denkmale, die man langsam verfallen lässt. Kein Geld da in unserer Stadt? Oder ist das nur Desinteresse?

Wohl beides. Es ist zu wenig, nur ein- bis zweimal im Jahr das wichtige öffentliches Gedenken zu zelebrieren im Januar am Gedenktag für die Opfer des Faschismus, dem ca, 60 Millionen Menschen bei uns und in der Welt zum Opfer fielen.

alter friedhof1 (Andere)


Jede Annaberger Familie hat in der heiligen Erde, die einst aus Rom geholt wurde, in Jahrhunderten hier Verwandte beerdigt. Der Kirchhof an der St. Annenkirche musste im 16. Jahrhundert  aus der Stadtmitte an die Peripherie verlegt werden, darunter das Grab  einer solcher Berühmtheiten wie Barbara Uthmann, Bortenverlegerin und, nach dem frühen Tod ihres Mannes, auch Besitzerin der Saigerhütte in Olbernhau. Früher stand hinter dem Grabstein ein großes Kruzifix; es ist heute verwittert,vergangen. Das ist gleich hinter der spätgotischen Trinitatis-Kirche mit einer der seltenen Außenkanzeln als noch viele Gläubige den Worten der Prediger lauschten. Die Kirche wird nun, da schon lange nicht mehr beigesetzt wird, auch nicht mehr gebraucht und dient als Abstelllager.

Immerhin haben Schüler des Landkreisgymnasiums in die toten Augen der Kirche farbige Symbolbilder von ihrer Stadt gestaltet. Viele Generationen von Bürgern der Stadt sind auf dem Alten Friedhof  beerdigt, solche, die alt verstarben wie meine Urgroßeltern und solche, die als junge Männer in sinnlosen Kriegen blutjung fielen.

Gedenken ist unverzichtbar

Den Opfern von Krieg und Faschismus ist das wieder instand gesetzte Ehrenmal gewidmet, an dem alljährlich im Januar der unzähligen Toten hier und in der ganzen Welt gedacht wird. Das ist wieder mehr denn je nötig als vor Jahren geglaubt. Nationalismus, Antisemitismus, Fremdenhass werden offen und hinter Gardinen wieder als Folge von Ignoranz oder Unbildung „gepflegt“. Dazu gehört auch, dass das Gedächtnis an engagierte Familien, die in der Vergangenheit viel für die Stadt und die Bürger taten, wach gehalten wird. Ihre Gruften und Namensschilder verfallen, werden beschmiert und besprayt.

alter friedhof3 (Andere)


Viele Ältere erinnern sich sicher noch, mit Mutter oder Oma im Frühjahr zu den Gräbern gepilgert zu sein, um duftende Stiefmütterchen auf den nun endlich vom Schnee befreiten Erinnerungsort zu pflanzen. Die Gräber meines Urgroßeltern und meines zu früh verstorbenen Großvater waren das Ziel und während Oma Blumen pflanzte, konnte das Kind ausschwärmen, die vielen Gräber ansehen, Skulpturen bewundern und auch heftig erschrecken, wenn es das abgefallene Puttoköpfchen für einen Totenkopf hielt. Jedenfalls haben die Eltern bei einem Rundgang auch vieles erklärte, was über bekannte Bürger der Stadt im Kopf geblieben war.

Natürlich stand die Sage von der Auferstehungslinde, jenem verkehrt in die Erde gepflanztem Reis, der dann doch anwachsend und Äste treibend, die Auferstehung Christi symbolisieren sollte, im Zentrum. Die Gruften daneben, in denen u.a. die wichtige Familie Eisenstuck beerdigt ward, Fabrikaten, die das kulturelle Leben , z.B. das Museum mitfinanzierten. Einer von ihnen war mit einer Frau aus Lessings Familie verheiratet. Namen wie Thallwitz, Nendel, Kaufmann  Päßler,  Fabrikbesitzer Hahn, Tenzler und Sachs,  Kommerzienrat Wimmer, die Ärztefamilie Wetzel sind zu erkennen.

An der Friedhofsmauer sind inzwischen viele dieser Gruften verschwunden oder brechen in sich zusammen. Dennoch findet sich sogar eine große Grabstelle, deren Namenstafel jüngst  erneuert wurde.  Weiter hinten sind viele Namen auch noch lesbare und erinnern an namhafte Bürgerfamilien: Fabrikanten aus der Posamenten- und Kartonagenindustrie, Bürgermeister, Stadträte, Ärzte oder Lehrer. Für zwei von ihnen, die wohl auch befreundet waren und an die sich dankbare (!) Schüler gern als Förderer erinnerten, wurde sogar ein Grabmal gestiftet,- in der Nähe des Pesttores zu finden.

Kriegen folgten Seuchen, damals auch hier, heute weit weg

Ja das Pesttor: Eine Tafel erinnert mit konkreter Jahreszahl 1568 an die Geißel, die als Epidemie durch Europa zog und 2228 Menschen unserer Stadt tötete- meist als Folge von Söldnern, die in den Kriegen Pest, Cholera, Typhus erlitten und verbreiteten. Wenige der Ärzte und Helfer überlebten das und so wird auch dort an den Pestparrer von Annaberg, Wolfgang Uhle, erinnert. Ein berührendes Beispiel von Menschlichkeit, dessen Überleben einem positiven Gottesurteil gleich kam. Heute gehen Ärzte nach Afrika, um gegen Ebola zu helfen oder im Jemen gegen die Folgen von Krieg und Hunger etwas zu tun.

Rundgänge mit Schulklassen könnten viel vermitteln

Ein gut erhaltenes Kupferportait ist noch erhalten- einer der Nendels hat noch ein Gesicht an der Gruftwand. Während eines Rundgangs im Kunstunterricht, so er noch stattfindet, könnten Schüler neben Stadtgeschichte etwas über Stilkunde lernen, wie die Gründerzeit, den Jugendstil oder auch Artdeco, denn es sind mit der oft auf Kommerz und leichten Unterhaltung beschränkten Anwendung neuer Technologien Kulturkenntnisse gewichen, wo sie doch durch die gleichen Technologien universeller verfügbar wären.

Weiter hinten findet man zwei Grufthäuser mit einem Torbogen, durch den einst der letzte Weg der Verstorbenen führte. Obwohl Gittertüren an den Gruften den ersten zerstörenden Zugriff verhindern, scheinen sie auch Reinigung zu unterbinden. Dreck, Blätter und Abfall finden sich dort kunstvolle Steinarbeiten verwittern im Innenraum.  Genauso  geht es einem, vermutlich in den 60iger Jahren entstandenen, modern gedachtem Holzdenkmal. Es verwittert und  ist demnächst dem Abriss preis gegeben.

alter friedhof2 (Andere)


Ein großer Steinquader steht fest, mahnt uns nicht zu vergessen und erinnerte es an den opferreichen antifaschistischen Widerstand, auf den wir Deutschen stolz sein dürfen, obwohl leider eher die wenigsten der Großväter daran beteiligt waren. Beim Rundgang mit Freundinnen, saß dort ein junger Mann mit Rasterlocken und sonnte sich. Auf meine Frage, ob er wüsste, wo er sitzt, zeigte er sich durchaus gut informiert! Die vielen herumliegenden Bier-Kronverschlüsse waren nicht von ihm, trugen ironischer Weise, aber passend - einen roten Stern und verweisen auf Gruppen wenig arbeitender und oft alkoholisierter Leute, die diesen Ort als unüberschaubaren  Rückzugsort für sich rekrutieren und so missbrauchen. Abstoßend ist das allemal für ältere Leute, die dort vielleicht Ruhe, Erholung oder Erinnerung suchen würden...

Ein Ehrenhain, Refugium gegen das Vergessen

Der letzte Platz des Friedhofes ist einem Sowjetischen Ehrenmal vorbehalten, das gepflegt wird und dem 8. Mai als Gedenktag vorbehalten ist.  Der „Tag der Befreiung“ war ein solcher, auch für Viele, die das  Kriegsende erstmal als Niederlage verstanden. Doch immer weniger wird der Beitrag der damaligen Sowjetvölker gewürdigt seit sie sang- und klanglos Anfang der Neunziger Deutschland als Besatzer verließen. 27 Millionen Tote war die Bilanz deutschen Vernichtungskrieges im Osten und ca. 150 Soldaten sind in unserer Stadt beerdigt. Darunter Zwangsarbeiter, Kriegsgefangene und solche, die dem „Kommissarbefehl“ zum Opfer fielen.

Auch ein junges 16jähriges Mädchen, vielleicht eine Waise, war unter ihnen. Auch wenn dieser Ort sauber wirkt, sieht er irgendwie verlassen aus, genauso wie der Gedenkstein am Feldschlösschen, mit dem an den Todesmarsch von KZ-Insassen 1945 erinnert wird, zu denen viele Franzosen gehörten. Deren Familien waren 2016 hier zu Gast. Ein wenig mehr Aufmerksamkeit vonseiten des städtischen Bauamtes wäre schon hilfreich. Schließlich gibt es Stauden und Sträucher, die sogar im Winter ein wenig Farbe und damit mehr Mitgefühl signalisieren und man gern hinschaut und sich erinnert. Das ist heute wieder nötiger als Gegenpol gegen offene Aktionen der Neonazis z.B.  in sächsische Stadien, was über die Medien zu viele erreicht.

Neues löst Altes ab, aber es gilt auch zu bewahren

Seit den 60er Jahren hat Annaberg am Stadtrand einen Neuen Friedhof und mit dem Neubaugebiet aus den Siebzigern, wo heute viele Alte bequem leben, ist er kein verwaistes Territorium mehr. Der neue Friedhof in Annaberg ist ein großes Areal mit würdigem Baumbestand und wird wie auch die kleineren Friedhöfe in den Stadtteilen gehegt und gepflegt. Auch ein jüdischer Ehrenhain, der an den 1938 zerstörten Jüdischen Friedhof, einst gegenüber dem heutigen Erzgebirgsklinikum gelegen, erinnert, ist entstanden.  Für die letzte Ruhe ist also gesorgt, doch fehlt Kontinuität.

In solch kleinen Städten wie Netzschkau im Vogtland hat man andere Ideen gehabt.  Man hat dort die alten verlassenen Gruften baulich hergerichtet als neue Sarggrablegen und vor allem als Gemeinschafts-Urnengräber. Wichtig bleibt, dass die Stadt sich verantwortlich zeigt für das Erinnern an  vergangene Zeiten. Dazu gehören Menschen, die hier etwas geleistet haben, Bauten mit Profil und Funktion zu erhalten wie die alte Theatertreppe, die bald mit System (?) zusammen fällt. Wie freut man sich über die schon teilweise  schön restaurierte Stadtmauer, die  nach 1525/26 errichtet, einst von Gefangenen, aufständischen Bauern nach dem verlorenen Bauerkriegen, gebaut wurde.

Aber auch innerstädtische Häuser benötigen Geld und einfallsreiche, streichelnde Hände und eine Nutzungskonzeption.  Ob die teure Modernisierung der Fußgängerzone in der Buchholzer Straße nötig ist oder lieber die Fassade des Theaters, die Festhalle noch mehr Schunkelveranstaltungen braucht, möge man im kommenden Stadtrat  entscheiden. Alle Bürger sollen ihre Meinung sagen und Vorschläge machen, denn nur mit den Kommunalwahlen ist nicht alles getan- zu viele Interessen bedürfen einer ordnenden und fordernden Diskussion.

E.F.