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Gegründet 1807
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April 2019
Nathan – leider aktuell
Das 1779 von Gotthold Ephraim Lessing veröffentlichte dramatische Gedicht „Nathan der Weise“ ist so regelmäßig auf der Bühne zu finden, dass es eigentlich jedem bekannt sein sollte. Inwieweit der Inhalt die Menschen erreicht, ist mit Blick auf aktuelle Geschehnisse fraglich. Insofern haben Inszenierungen dieses Stückes eigentlich immer ihre Berechtigung.
Fotos: Dirk Rückschloß / BUR-Werbung
Und wer hat sie nicht als Schulstoff durchgenommen, die Geschichte vom Juden Nathan, von den drei Religionen und der Ringparabel? Zu einer Aufführung von „Nathan der Weise“ geht niemand ins Theater, um sich von der Handlung überraschen zu lassen. Man kennt sie, wenigstens in groben Zügen und fasst jeder hat auch eine Meinung dazu. Oft genug freilich nicht die beste, weil der Schulunterricht den Schüler nicht begeistern konnte. „Nathan der Weise“ ist auch grundsätzlich kein Stück für einen entspannten Abend im Theater. Es ist anstrengend im besten Sinne. Wenn man Glück hat, herausfordernd und mit Erkenntnisgewinn verbunden.
Zur Premiere am 07. April 2019 wurde auch im Winterstein-Theater in Annaberg-Buchholz diese Geschichte ausgebreitet. Der reiche Jude Nathan kehrt von Geschäften heim. Seine Tochter Recha ist währenddessen knapp dem Feuertode entronnen, weil sie von einem jungen Christen, dem Tempelherrn, aus den Flammen gerettet wurde. Dieser verliebt sich in das Mädchen und schließt Freundschaft mit dem Vater. Als der junge Mann jedoch um die Hand von Recha anhält, zögert Nathan.
Derweil lässt Sultan Saladin Nathan kommen, weil er Geld benötigt. Um Nathan in die Enge zu treiben, fragt er ihn nach der wahren Religion. Nathan erkennt den Fallstrick und antwortet mit der Ringparabel, der besten und größten Antwort, welche man auf diese Frage überhaupt geben kann. Der Sultan trägt daraufhin Nathan seine Freundschaft an. Mit dem Patriarchen von Jerusalem, welcher frei ist von Vernunft und Menschlichkeit, zieht ein potentiell tödlicher Konflikt herauf …
Die Inszenierung begann mit einem zusätzlichen Text, einem Vorspiel zum Stück. Es wurde damit versucht, die Aussage des Stückes noch zu unterstreichen bzw. den Zuschauer an die Hand zu nehmen. Der Text ist wirklich schön, doch birgt er die Gefahr, dass man sich ein wenig zu sehr an die Hand genommen und in eine Richtung gezogen fühlt.
Anschließend begann das eigentliche Stück. Die ersten Szenen waren teilweise recht laut, und enthielten eine Aggressivität, von der man nicht so recht wusste, was damit gesagt werden sollte. Dies besserte sich aber nach kurzer Zeit. Im Publikum gab es während der Aufführung kaum Geräusche, auch keinen Applaus. Dies jedoch nicht wegen mangelndem Gefallen, sondern um den Ablauf nicht unnötig zu stören. Man sah und hörte gebannt zu.
Den Nathan gab David Gerlach, ein Gast am Eduard-von-Winterstein-Theater. Dieser Nathan war vom Grundsatz her sehr verstandesbetont, unterstrichen auch durch sachliche Geschäftskleidung. Darüber hinaus war er nicht als Übermensch dargestellt, sondern als normale Person, wenn auch mit einem sehr guten Charakter. Man sah einen verantwortungsbewussten, anpassungsfähigen und großzügigen Menschen, welcher die Aufführung keinesfalls so dominierte, wie man es vielleicht aus anderen Inszenierungen kennt.
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Den jungen Tempelherrn spielte Maurice Daniel Ernst mit einer erstaunlichen Heftigkeit im Auftreten, aber durchaus überzeugenden Passagen. Mit Freude sah man Isa Etienne Flaccus zu, in der Rolle der (in der Auffassung sehr modernen) Tochter Recha. Die Gesellschafterin Daja gab Marie-Louise von Gottberg, welcher man das Zerrissensein zwischen der Zuneigung zu Nathan und Recha und ihrer Religiosität abnahm.
Der Sultan Saladin wurde von Marvin Thiede gut ausbalanciert verkörpert. Seine Schwester Sittah spielte Gisa Kümmerling mit sehr klarer Aussprache als selbst- und standesbewusste Frau aus einer Herrscherfamilie. Die eher kleine Rolle des Patriarchen von Jerusalem hat Nenad Žanić übernommen. Aber hier stimmte alles: Gestik, Mimik und Aussprache war so passend abgewogen, dass einem die Figur des Patriarchen frösteln machte.
Den Klosterbruder schließlich, spielte Philipp Adam. Der erste Auftritt war reichlich laut und mit verwirrender Aggression in der Stimme. Ist solch ein Verhalten für einen Klosterbruder und Eremiten denkbar? Für einen Heiligen, den es in die Welt verschlagen hat? Vielleicht wusste die Regie auch nicht so recht, wo sie mit der Figur hinwollte. Das Spiel steigerte sich aber deutlich und war dann in seiner letzten Szene und im Zusammenspiel mit dem Nathan wirklich beeindruckend.
Ein sehr interessanter Einfall der Regie (Dietrich Kunze) ist es, darzustellen, dass der Klosterbruder in der Begegnung mit Nathan die Religionen überwindet und ganz physisch ablegt. Er steigt eine Stufe auf der Leiter der Erkenntnis empor. Mit Blick auf den Rest des Stückes ist dies nur konsequent.
Das Interessanteste, vielleicht aber auch das Schwierigste der Inszenierung ist ihre Nonkonformität. Die Ausstattung (Martin Scherm) zum Beispiel ist weder zeitgenössisch noch modern. Die Kostüme griffen zwar traditionelle Elemente auf, waren aber auch modern gehalten bei gleichzeitiger Verstärkung des Typs der darzustellenden Person. Auch im Bühnenbild gab es zeitgenössische Verweise wie Graffiti oder die bewusst gezeigte Funktionalität der Hinterbühne. Gleichzeit wird alles zeitlich im vagen gelassen. Bei der Ausstattung betrachtet man die Heterogenität mit Interesse.
Bei der Figurenführung tut man es nicht. Manche Personen zeigen historisch vorstellbares bzw. vom Dichter so geschriebenes Verhalten. Als Beispiel sei der Saladin genannt, dargestellt als absoluter, würdiger, gleichzeitig aber aufgeklärter und belehrbarer Herrscher – ganz im Sinne Lessings. Nach heutigem Maßstab jedoch kein moderner Mensch.
Andere Figuren wiederum benehmen sich geradezu hochmodern. Hier sei Recha genannt, die beim Wiedersehen mit dem Tempelherren offensiv mit diesem anbandelt, ihm körperlich nah ist. Aus historischer Perspektive gesehen ein undenkbares Verhalten. Und die Darstellung des Klosterbruders scheint geradezu zwischen beiden Extremen zu schwanken.
Im Laufe des Stückes erfuhr das Spiel eine deutliche Steigerung und ist insgesamt eine gute und geschlossene Ensembleleistung zu nennen. Der letzte Funken, die letzte Eindringlichkeit fehlte noch, aber vielleicht erleben Sie diese ja in einer der weiteren Aufführungen.
Die Handlung spielt bei Lessing Ende des 12. Jahrhunderts. Die im Werk angesprochenen 1000 Jahre des Richters gehen ihrem Ende entgegen. Von einem Fortschritt in der hierin behandelten Problematik ist heute in der Welt wenig zu bemerken. „Nathan der Weise“ ist ein großartiges Stück, bei dem man nicht hofft, sondern befürchtet, dass es in hundert Jahren noch aktuell ist.
Eva Blaschke
Weitere Aufführungen:
Sa 13.04.2019 19.30 Uhr Di 30.04.2019 10.00 Uhr Do 02.05.2019 10.00 Uhr Fr 03.05.2019 19.30 Uhr Sa 11.05.2019 19.30 Uhr Do 16.05.2019 19.30 Uhr
www.winterstein-theater.de
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