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November 2019


Die „Lola Blau“ der Anna Bineta Diouf

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Das Annaberger Theater hat den Mut, einer jungen Sängerin diese bekannte Figur auf Leib und Stimme zu projizieren. Und diese hat es am 16.11. 2019 auf der Studiobühne regelgerecht gepackt. Die Zeit hat Georg Kreislers Stück über die Bedrohung menschlichen Glücks durch unmenschliche Verfolgung wieder bitter nötig.

Dabei ist diese Lebensgeschichte doch noch gut ausgegangen. Der österreichische Kabarettist und Lyriker Georg Kreisler gehörte einer patriotisch gesinnten Wiener Familie an, die gerade noch rechtzeitig das Land Richtung Amerika verlassen konnte, weil sie musste. Jüdisch war nicht nur Schimpfwort für Andersgläubige geworden, sondern auch noch durch Scheinwissenschaft bewiesener Minderwertigkeit Verfolgung und Ausrottung befohlen. Die ausgebeutete Restgesellschaft fühlte sich erhoben und folgte den 1938 einmarschierenden Eroberern jubelnd gleichgestellt.

Fotos: Dirk Rückschloß / BUR-Werbung

Der Rest der Geschichte ist bekannt, auch wenn er heute wieder verschwiegen, geleugnet oder gar aus der Versenkung geholt wird. All das ist Konnotationshintergrund auf der Studiobühne unseres Theaters, schrieb doch Georg Kreisler das Stück erst lange nach dem Zweiten Weltkrieg für seine Frau und mit dem Exilhintergrund seiner Familie.

Lola Blau, hier eine junge Schauspieler-Sängerin, die in der Schweiz hoffnungsvoll ein Engagement antreten möchte; der Einmarsch Hitlers macht alles kaputt. Glück im Unglück: Sie bekommt ein Einreisevisum in die USA, kann dort in Clubs und kleinen Theatern arbeiten. Getrennt von ihrer Liebe, aber lebend und scheinbar unversehrt nach Wien zurück „Heut werd ich mich besaufen“, wo die Vergangenheit`- wie auch hier- noch lang nicht bewältigt ist.

Georg Kreislers Chansons bieten die Bandbreite der Gefühle von Liebe bis Verzweiflung, angriffslustig  bis sarkastisch und resignierend. Und deshalb war er in seiner Heimat verehrt, ja geliebt und gehasst von denen, die wie reaktionäre Burschenschaften oder unverbesserliche Nationalisten heute alles wieder rückrollen wollen.

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Anna Bineta Diouf spielt die Geschichte in der Gegenwart der jungen Frau (nicht wie ältere, gestandenere Darstellerinnen als Rückschau auf ein Leben!). Hübsch, agil, elegant ihren Typ einsetzend, braucht sie ihre Zeit, um zu verstehen wie die Welt funktioniert und steigt optimistisch in die Rahmenhandlung der Songs „Im Theater ist was los“ bis „Im Theater ist nichts los“ am Ende! Sie stellt sich überzeugend den schnell-sprachlichen Herausforderungen zwischen Hochdeutsch, Wienerisch, das Jiddische persiflierend in dem berühmt gewordenen „Sie ist ein herrliches Weib“, und schließlich im Englischen  die Songs, die man von der Dietrich kennt und die Showeffekte suggerieren.

Ja, Strapse hat sie auch, aber die Verworfenheit der ausgekochten Nachtclub-Lady nimmt man ihr noch nicht ab, dafür aber die Traurigkeit der Hinterbühne in „Man lächelt einen an, obwohl man weinen möchte“ oder „Heute fand ich alte Tränen“ oder in der Melancholie ihrer Liebe „Ich hab Dich zu vergessen vergessen“. Einfühlsam und zurückgenommen kann die Diouf richtig gut die Kontraste und ist toll im Kämpferischen: „Ich hab Angst vor den vielen Schmidts“ oder „Wien bleibt Wien“, wo bei Kreisler nichts übrig ist vom Wiener Schmäh; er schmäht die ewig Gestrigen und zeichnet die Schattenseiten von „Tradition“. Am besten in der Vielfalt der Stile und gesanglichen Anforderungen im „Herrn Direktor“, war es schon ein Vorteil, eine Sängerin zu haben, anstelle einer singenden Schauspielerin.

Die Dramaturgie (Annelen Hasselwander) und die Regie von Birgit Eckenweber folgen verlässlich der Vorlage und den Angeboten der Songs und die Stringenz geriet nur dort in Gefahr, wo allzu viel Umkleide-Zirkus von der Konzentration auf die Texterfordernissen ablenkte (Schöne Kostüme und sparsame Bühne von Martin Scherm). Besonders gut war der Einfluss auf die gezielten Bewegungsdetails der Sängerin, wie Marschschritte, Hackenzusammenschlagen im „Schmidtsong“, Tanzandeutungen im „Wiener Madl“ oder viele Schwenks im „herrlichen Weib“. Ergänzt durch Bildeinblendungen und Geräuschkulissen erschien Glaubwürdiges, blieb aber dort zu zahm.

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Die Musik Kreislers selbst ist subversiv. Seine tiefe Liebe zeigt sich in scharfer Verfremdung von Motiven des „Rosenkavalier“-Walzers, von unmerklichen Brater-Klängen oder im Gebrauch des schrammelnden Wienerlieds als Grundlage seiner vernichtenden Texte. Karl Friedrich Winter am Klavier war an Kenntnis reicher, uneitler, aber aufmerksamer Begleiter des Abends im einfühlsamen Duo mit dem Akkordeon Clemens Bernhard Winters. Der hätte, wenigstens bei den Tangos, ruhig ein wenig mehr aufziehen können. Ein toller Abend für kritisches Publikum und eine wichtige Verwirklichung für eine junge Darstellerin.

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 27.11., 20 Uhr; 8.12.,15 Uhr; 19.12., 20 Uhr; und ab Februar 2020.
Tel.: 03733-1407-131
https://www.winterstein-theater.de/