|
|
|
|
Gegründet 1807
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
Februar 2020
Es rettet uns kein höh'res Wesen, kein Gott, kein Kaiser …
Auf dem Opernspielplan in Chemnitz steht bis vorerst Anfang Juni 2020 ein äußerst nachdenklich machender Lohengrin. Inszeniert als Dystopie, besetzt mit tollen Sängern und unterlegt mit einem teils unerwarteten Klang.
Bei einer Besprechung der Chemnitzer Lohengrin-Aufführung muss man zunächst deutlich unterscheiden: Zwischen der von Richard Wagner geschriebenen Oper, dem Ansatz der Regie und der Leistung von Sängern und Musikern. Fangen wir also bei Richard Wagner an.
Ein Großteil des Bühnenbildes ist hier zu sehen. Die abgebildeten Solisten stimmen teilweise nicht mit den besprochenen Sängern überein, da es Doppelbesetzungen gibt. / Fotos: Nasser Hashemi / Die Theater Chemnitz.
Die dreiaktige, romantische Oper wurde 1850 in Weimar uraufgeführt. Erzählt wird die, im Mittelalter spielende, Geschichte der Fürstentochter Elsa. Diese wird von ihrem Vormund Telramund vor dem König Heinrich verklagt, ihren eigenen Bruder umgebracht zu haben. Telramund klagt aus Überzeugung, denn er glaubt wiederum seiner eigenen Frau Ortrud, die ihm dies erzählte. Ortrud verfolgt mit dieser Lüge ihre eigenen, machtpolitischen Ziele.
Zu einem Gottesurteil durch Zweikampf wird Elsa ein weißer Ritter mit einem Schwan gesandt. Dieser gewinnt den Kampf und heiratet Elsa unter der Bedingung, dass sie ihn nie nach seinem Namen frage. Ortrud und Telramund bringen es dahin, dass Elsa die verbotene Frage schließlich doch stellt. Daraufhin muss der Gralsritter, nun Lohengrin genannt, die Menschen und Elsa wieder verlassen.
Magnus Piontek (König Heinrich der Vogler) mit dem Schwan. Die meiste Zeit herrscht eine gedrückte, neblige Lichtstimmung.
Die Oper dauert, inklusive zweier Pausen, über vier Stunden. Der Text ist mit unglaublich viel Pathos unterlegt, die durchkomponierte Musik trägt die Handlung auf geniale Weise. Wagner hat seine plakativen Aussagen hinsichtlich deutscher Königstreue, Ehre und der guten alten Zeit durchaus ernst gemeint. Ironie sucht man vergebens. Wollte man das Werk heute entsprechend der wagnerschen Intention inszenieren, würde man wohl das eine oder andere Lachen hervorrufen.
Die Regie muss sich also etwas einfallen lassen. In Chemnitz verlegte der Regisseur Joan Anton Rechi die Handlung in eine nicht näher definierte, dystopische Zukunft. Man kann den vergangenen Glanz noch sehen, aber die Menschen sind heruntergekommen. Sie kampieren, der Zivilisation weitgehend verlustig, außerhalb von Häusern in zusammengesuchten Kleidern und leben von der Hand in den Mund. Schlimmer als der materielle Verlust ist aber der kulturelle Rückschritt. Die Leute sind auf primitivste Verhaltensweisen herabgesunken.
Bühnenbild (Sebastian Ellrich) und Kostüme (Mercè Paloma) gehen mit diesem Ansatz konform. So spielt die Handlung in einem alten Vergnügungspark, in dem die Lichter längst aus sind. Für alle drei Akte gibt es nur ein Hauptbühnenbild, welches auf der Drehbühne in unterschiedlichen Perspektiven alles zu bieten vermag, was gebraucht wird. Die Lichtgestaltung von Holger Reinke trägt viel zur Wirkung bei. Meist herrscht Nebel, in hoffnungsvollen Momenten bricht wunderschön die Sonne durch.
Das Ganze erinnert ein wenig an verschiedene postapokalyptische Filme. Der König Heinrich besteht aus mehr Schein als Sein, von ehrenhaftem Verhalten seinerseits ist nichts zu sehen und die zur Heerfolge gesammelten Männer sind zerlumpte Vagabunden. Die Masse spricht erst Telramund die Treue aus, erfreut sich dann an der Gewalt des Zweikampfes und hat keine Probleme damit, nach dessen Niederlage seine Frau Ortrud anzugreifen.
Alle mittelalterlichen - zwar keinesfalls modernen, aber immerhin funktionierenden - Regeln des Miteinanders werden hier zusätzlich dekonstruiert. Das Vorgestern und das Gestern sind zerbrochen, neue Wege für das Heute noch nicht gefunden. Das Kennzeichen dieser Gesellschaft ist völlige Zerrüttung. Der Held hat keine Chance, da niemand willens ist, seinem guten Vorbild zu folgen. Selbst Elsa kann nicht blind vertrauen, denn Vertrauen muss erlernt werden und wachsen. Und aus einem verständlichen Wunsch nach Sicherheit stellt sie die verbotene Frage.
Der Gottgesandte kann letztlich keine Rettung bringen, die weltliche Obrigkeit auch nicht – das Volk wird sich wohl selber helfen, sich selbst ändern müssen, wenn sich überhaupt etwas ändern soll. Das Ende der Oper wurde dann noch leicht modifiziert. Der Regisseur wollte das Publikum wohl nicht in völliger Hoffnungslosigkeit zurücklassen.
Der Regieansatz ist letztlich in sich schlüssig. Im 1. Akt hat man jedoch Mühe, ihn gleich zu erfassen und alles Gezeigte passend einzuordnen. Das gedankliche Hinterhersprinten fällt in einigen Szenen schwer, da gesungener Text und gezeigte Handlung oft gegenläufig sind. Die Handlungen führen die Texte teilweise ad absurdum, heben das Werk aber dadurch in die heutige Zeit.
|
Szene kurz vor dem Zweikampf im 1. Akt. Vorn v. l.: Maraike Schröter (Elsa), Mirko Roschkowski (Lohengrin), Magnus Piontek (König Heinrich der Vogler), Martin Bárta (Telramund), Stéphanie Müther (Ortrud); Damen und Herren des Opernchores.
Die Solistinnen und Solisten der Aufführung vom 22. Februar 2020 sind allesamt zu loben. Es hebt den Gesamteindruck immer, wenn die Sänger ein vergleichbar hohes Niveau haben und außerdem bewegliche Darsteller sind. Die Titelpartie des Lohengrin sang Benjamin Bruns. Er überzeugte sowohl in den kräftigen Passagen als auch mit schönen Piani und Zartheit in den Liebeszenen. Die Rolle der Elsa verkörperte Maraike Schröter als gute, naive nach Liebe und Sicherheit strebende Frau in Stimme und Darstellung. Gelegentlich verrutschte Silben taten dem keinen Abbruch.
Beeindruckend waren die beiden stimmgewaltigen Gegenspieler des Lohengrin, Ortrud und Telramund. Ortrud wurde von Monika Bohinec als überaus zielstrebige, machtbewusste und manipulative Person gegeben. Es fasziniert immer, wenn man als Zuschauer vom Sänger Verständnis selbst für die schlechten Handlungen vermittelt bekommt. Martin Bárta überzeugte als flammender Telramund in großem Stolz und Leid, glaubhaft dem Konzept der persönlichen Ehre folgend. Dieser Rolle wohnte die größte Tragik inne.
König Heinrich (Magnus Piontek) und sein Heerrufer (Andreas Beinhauer) sangen beide schön und handelten entsprechend der Regie gleichzeitig schlecht und ehrlos. Trotzdem gelang es ihnen, die Figuren zusammen zu halten, ja der Handlung des Stückes damit zusätzliche Tiefe zu verleihen. Das es beim Chor (Stefan Bilz) gelegentlich zu kleinen Unschärfen kam, minderte nicht das beeindruckende Gesamtergebnis der Aufführung. Die allgemeine Textverständlichkeit war außerordentlich hoch und der deutschen Übertitel hätte es über weite Strecken gar nicht bedurft.
Am Gelingen dieses Abends hatte selbstverständlich auch das Orchester (Musikalische Leitung: Guillermo García Calvo) einen großen Anteil, welches die Szenen wunderbar klanglich ausmalte. Beeindruckend war auch das stimmige Zusammenspiel mit den Sängern. Außerdem klang hier Wagner überhaupt nicht so massiv und wuchtig, wie man es aus manchen Aufnahmen kennt.
Fazit: Ein Besuch der Chemnitzer Lohengrin-Inszenierung ist anstrengend aber lohnenswert. Die Rollen sind toll besetzt, dem Orchester zuzuhören ist eine Freude und die Inszenierung schafft einen Mehrwert zum Werk. Bezüge zur heutigen Zeit sind gegeben. Man argwöhnt spätestens im 2. Akt, dass es gar nicht um die Zukunft geht, sondern um das Innenleben der gegenwärtigen Bevölkerung.
Eva Blaschke
Weitere Aufführungen: 15.03.202015:00 Uhr 05.04.202015:00 Uhr 10.05.202015:00 Uhr 01.06.202015:00 Uhr
https://www.theater-chemnitz.de/spielplan/lohengrin
|
|
|
|
|