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Mai 2020

Erinnerung lebendig machen

Der 8. Mai ist kein Tag zum Strammsteh´n, aber einer für eine wirkliche Erinnerungskultur: 75 Jahre Weltkriegsende und ein Tag der Befreiung von den eigenen Mördern

Überall dort in Europa, wo Kriegsgräber und ehemalige deutsche Konzentrationslager von den unvorstellbaren Verbrechen auch unserer Väter und Großväter – mindestens als Mittäter künden, wurden und werden in diesen Monaten coronabedingt, einsame Gedenkveranstaltungen zur 75. Wiederkehr der Befreiung von dem wohl größten menschlichen Albtraum, dem Hitlerfaschismus, begangen.

erinnerung abg 1 (Andere)Diesem Akt der Befreiung ging zunächst die Zerstörung des zarten Pflänzchens deutscher Demokratie voraus, Bücherverbrennungen folgten, Verfolgung und Ermordung von Demokraten aller Coleur, dann Rassenverfolgung von jüdischen Mitbürgern auf Grund von pseudowissenschaftlichen Behauptungen, endlich deren millionenfache Ermordung, zusammen mit Sinti und Roma, Homosexuellen und Zigtausenden Behinderten, Kindern und Erwachsenen.

Wir wissen es, haben es in der Schule gelehrt bekommen. Sind in Jugendstunden ins KZ gefahren, um das Unvorstellbare glauben zu können. In der DDR war der Antifaschismus der größte gemeinsame Nenner für den Sozialismus. Heute heißt das „verordneter Antifaschismus“ und soll deswegen weniger wert gewesen sein. Es war trotz größter Anstrengungen offenbar noch zu wenig, denn in zu wenigen Familien wurde das thematisiert, die Väter und Großväter konfrontiert mit ihren Taten oder auch nur mit dem mörderischen Gedanken.

Heute kommt das wieder hoch, weil viele, die sich nicht entwickeln konnten oder wollten oder sich im Um-Wenden zu wenig gefördert fanden, wieder einen Schuldigen außerhalb Ihrerselbst suchen. Alles ist schon wieder da, Schreie nach „Weg mit der Regierung“, „Ausländer raus“, deren Ermordung, Antisemitismus und Bluttaten. Und die Stimme der Demokraten, wohl noch in der Dreiviertelmehrheit, ist meist wiedermal zu leise dagegen. Überhaupt sind die, die was im Kopf haben und nachdenken, immer zu leise.

Vornehme Zurückhaltung?! Und die, die die Greuel damals selbst er- und überlebt haben,  sind alt oder schon gestorben. Viele von ihnen sind in Schulen gegangen oder in den Bundestags zu den Feierstunden, haben Bücher geschrieben, die auch in unserer Bibliothek stehen. Nach ihnen sind wir nur mit unserem Wissen und unserer Erinnerungskultur präsent. Aber schauen wir in unser schönes Annaberg-Buchholz.

erinnerung abg 2 (Andere)Denkmale haben wir genug: Auf dem Alten Friedhof ist ein Betondenkmal mit gut erhaltenen Reliefs über den Widerstand; das waren Diejenigen, die aktiv etwas gegen den Faschismus getan und mit dem Leben bezahlt haben.- es ist besprayt und von Kronkorken umlagert. Der sowjetische Ehrenhain mit ca. 400 Gräbern, ebenda, liegt sehr verlassen da. Er ist unser Gedenken für 27 Millionen der sogenannten „Russen“, die sich selbst und dann halb Europa befreiten, bevor endlich 1944 die Westalliierten mittaten, um sich eine Option auf das Nachkriegsdeutschland zu sichern. Immerhin ein Blumenstöckechen am 8. Mai ist dafür gut.

Dann gibt es einen Erinnerungsstein am Feldschlösschen, zum Gedenken an den Todesmarsch von KZ-Insassen, zu denen Franzosen und Bürger anderer Länder gehörten. Meine unpolitische Großmutter hat mir mit Entsetzen davon erzählt wie dieses Menschen aussahen, verzweifelt und ausgehungert. Brot wurde ihnen zugeworfen - vor dem 8.Mai 1945. Tujas und graue Sträucher sind dort zu sehen.

Gegenüber dem Erzgebirgsklinikum ist auf einem Hügel vor den Neubauten ein Stein zum Gedenken an den durch die Nazis zerstörten jüdischen Friedhof. Ja, in Annaberg-Buchholz gab es jüdische Bürger, die sich als Kaufleute, Intelligenz, als Ärzte, für die Nichtjuden verdient gemacht haben. Ein verwelktes Gesteck lag Mitte April noch immer da. Der Ehrenhain verbliebener jüdischer Grabmäler auf dem Neuen Friedhof kündet von der selbstverständlichen Anwesenheit Deutscher jüdischen Glaubens.

erinnerung abg 3 (Andere)Aber auch der ganze Alte Friedhof, heute ein Stadtpark, gilt eigentlich der Erinnerungskultur. Was ist das eigentlich - Kultur? Es ist gestaltetes Leben, aber nur dann, wenn immer wieder Erinnerung es wach küsst und der Leistungen der Menschen in der Geschichte Beachtung finden. Eigentlich wäre das ganze Jahr doch Zeit genug, hin und wieder ein paar Blumen auf die Denkmale zu legen, damit Farbe ins graue Dasein kommt, die Kultur der Erinnerung lebt. Und im Alten Stadtpark könnten Kinderstimmen unter den schönen alten Bäumen zu hören sein, nährten die Hoffnung auf das „Nie wieder!“.

Gedenken braucht kein Strammstehen, aber Ideen. Voraussetzung ist aber, dass der Alte Friedhof begehbar bleibt, gesäubert, ohne Glas und Kronkorken auf den Wegen und die Denkmale gesäubert von Schmierereien. In den Schulen wird nach Corona auch wieder Zeit sein, solche Orte aufzusuchen oder gar mit zu reinigen. Es braucht Pädagogen, die das initiieren. In Berlin immerhin ist der 8. Mai, 75 Jahre nach Kriegsende wieder als Feiertag eingesetzt. Warum wohl? Unsere Stadtverwaltung wird in Corona-Zeiten sicher ein Blumengesteck abstellen, ganz ohne Defilée. Was hält uns davon ab, dort an frischer Luft zu spazieren und mit ein paar eigenen Blüten Leben in die Erinnerung zu bringen?

E. Figura (Text und Fotos)