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August 2021



Tirol auf den Greifensteinen: "Der Vogelhändler" in Annaberg

Die Premiere „Der Vogelhändler“ auf der „schönsten Felsenbühne Europas“ war ein emotionaler Erfolg für Künstler und Publikum nach langer Zwangspause. Die vorläufig letzte Inszenierung des scheidenden Intendanten Dr. Ingolf Huhn war eng am Textbuch gehalten und gab den profilierten Sängern und Komödianten Raum für deren eigenes Profil, zuviel?

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Szenenfotos “Der Vogelhändler”. Alle Fotos: Dirk Rückschloß

Am Sonntag, dem 8.August 2021, war schönes trockenes Wetter angesagt, in diesem August nicht immer verlässlich, und so tröpfelte es kurz vor Vorstellungsbeginn auch diesmal. Jedoch pünktlich 15 Uhr kam die Sonne als „Clärchen“ als letzter Gast ins vollbesetzte Amphietheater und wurde mit herzlichem Applaus begrüßt.

Eigentlich sollte „Der Vogelhändler“ die dritte Zeller-Operette sein, die das Ensemble somit zum Spezialisten für diesen leichtfüßigen Komponisten küren würde. Nach dem großen Erfolg von „Der Obersteiger“, den Huhn mit Bergmannkapelle, Pyramide auf der Bühne und Klöppelmädel jahrelang ans Erzgebirge anlehnte,hatte der geprobte „Kellermeister“, der es wie andere Stücke nur bis an die Generalprobe im vergangenen Corona-Jahr schaffte, weniger Glück.

Nun die bekannteste Operette von Carl Zeller, „Der Vogelhändler“, fiel in die offene Arme des Publikum. Ingolf Huhn, der stets seine Regie-„Ästhetik mit dem Publikum“ entwickeln wollte und will, hat wohl Recht damit, aber d.h. nicht, dass man vor dem Letzten im Publikum einen Kniefall machen sollte. Diese Operette ist wie viele andere dieser Stoffe in die Jahre gekommen, genau 130 Jahre alt, und bedarf sorgsamer Striche im Libretto (Moritz West und Ludwig Held) und in der vorhandenen zahmen Gesellschaftskritik seinerzeit, ruhig ein paar deftige Aktualisierungen, die sich bei „Me too“-Größen, korrupten Beamten, trotteligen Professoren geradezu aufdrängten.

Somit hatte die Inszenierung manch gähnende Länge in den Dialogen, viel Eklektizismus in den Kostümen (Erika Lust) und ein etwas klappriges Barockschlösschen, bestehend aus dem besungenen Pavillon auf der Hauptspielfläche (Bühne:Tilo Staudte). Der Spaß kam jedoch mit den beliebten komödiantischen Darstellern und durchweg guten Sängern des Ensembles und Timo Rößner a.G. in der Titelrolle. Der offensichtlich „freischaffende“ Tiroler Bua Adam platzt arm, aber in seine Postchristel (Madelaine Vogt) verliebt in eine intrigante fürstliche Hofgesellschaft.

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An der Spitze der Baron Weps (Leander de Marel) will sich finanziell mit Kautionen sanieren, seinen Neffen reich verheiraten und sich mit Tricks in die Gunst des (immer auf der Jagd abwesenden Fürsten) setzen. Die Postchristel wird angeblich bei ihm vorstellig, um ihren Adam als Menageriedirektor zu promoten, muss aber erfahren, dass der angebliche Fürst im Pavillon, der Neffe Webs, der Schürzenjäger und Bankrotteur Graf Stanislaus war. Der selbtbewusste Tiroler Adam entbrennt in Eifersucht und wendet sich der charmanten Marie zu (Bettina Grothkopf als verkleidet Fürstin), die am Ende wieder alles ins Lot bringt.

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Der Adam des Timo Rößner (gebürtiger Berliner mit Hamburger Hochschulausbildung, Teilnehmer an Meisterkursen berühmter Sänger, selbt schon Preisträger) ist in dieser Rolle als Opernbuffo eine Idealbesetzung. Der hübsche Kerl spielt frech drauflos,schließlich sind die Tiroler Aufständige! Er singt mit warmem sicheren Timbre die berühmten „Schlager“: Sein Auftrittslied, schenkt man sich Rosen in Tirol, No amol, no amol u.a. mit sicherer unforcierter Höhe,  und überzeugendem Körpereinsatz. Die Liebe zur Postchristel, quicklebendig dargestellt und meistens mit schöner Leichtigkeit intoniert von Frau Vogt, hätte ein wenig mehr Innigkeit vonseiten Adams nicht geschadet. Schließlich darf man sich ja wieder anfassen.

Besonders schön gesungen die Lieder der Marie/Fürstin von Bettina Grothkopf. Ihre modulationsfähige Stimme hat viel weiche Überzeugung und jugendliche Ausstrahlung, der man die dramatischen Fähigkeiten (ihrer Tosca z.B.) in dieser Rolle nicht anmerkt. Ihr Auftritt am Ende in einer superelganten Robe auf dem schwarzen Pferd (Reitanlage Kahl, Thum) war wirklich fürstlich. Daneben Anna Bineta Diouf als reiche Baronin Adelaide in exorbitanten Kostümen, -bis auf die historisch unbrauchbaren Brautkleider, eine witzige Persiflage auf alternde Hofschranze. Baron Webs will sie mit seinem Pleite-Neffen (Jason Lee) verheiraten, bleibt aber am Ende selbst im Ehejoch hängen. Jason Lee singt wieder mit tenoraler Engelsstimme diese etwas undankbare Partie. Als intriganter adliger Offizier fehlt ihm einfach die Bösartigkeit. Zu Höhepunkten Annaberger Komödiantentums kommt wieder Leander de Marel. Der Publikumsliebling sächselt sich von einer Text-Pointe zur nächsten, er ist unverschämt und dreist. Keiner nimmt es ihm übel und alle machen mit. Gekonnt umschifft er die gesanglichen Klippen seiner Partie und gewinnt am Schluss die reiche Baronin.

Gesanglich auf der Höhe die zwei berühmten „Prodekane“. Matthias Stephan Hildebrandt (Tenor) und László Varga (Bass) sind mit ihren halbmeterhohen Perücken in Spiel und Ton gutes Musiktheater und längst in solchem Doppelpack geübt: Man erinnere sich noch mit Lust an die zwei Gauner Mönch-Räuber aus „Fra Diavolo“ vor gut zehn Jahren und weiteres?! Auch sei die dritte Reihe der Darsteller lobend erwähnt: Dorfschulze Schneck (Michael Junge)- eine sichere Bank für große Klamotte mit hörbaren Tönen aus seiner Sängerbiographie; feine Gesten und Gestalt -der Kammerherr des Olaf Kaden; sauberes Spiel der appetitlichen Kellnerin Jette (Stephanie Ritter). Die Nebel-Wirtin der Juliane Prucha ist hingegen das gleiche Rammel-Urviech wie im „Weißen Rößl“. Sie traut sich Überzeichnung von Figuren zu und zieht das durch. Aber warum der alte Theaterhase Huhn gleich zweimal hintereinander bis in die Frisur hinein den gleichen Witz erzählt, ist nicht zu erklären.

Das bewegende Element war der Chor (Leiter: Jens-Olaf Buhrow, der nichts für die alten Einspielungen kann.) mit Choreographien über die ganze Freilichtbühne von Sigrun Kressmann. Die Bandeinspielungen früherer Aufnahmen , neue waren wegen Corona-Auflagen nicht möglich, hörten sich stellenweise wie aus schlechter UFA-Konserve an. Kapellmeister Dieter Klug, der mit z.T. großer Dirigier-Gestik das Ensemble lenkte, hatte viel zu tun. Das Ensemble übte sich um Stimmigkeit und Synchronität. Gewonnen hat das gut aufgelegte Publikum, das sein Ensemble endlich wieder mit Beifall überschütten durfte.

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 11.8., 17 Uhr, 15./18./25./29.8., 15 Uhr
https://www.winterstein-theater.de/