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THEATER ABC

 

 

April 2021



„Oh, Freude über Freude...!“ - Neuer Spielplan Theater Annaberg-Buchholz

Das Theater in Annaberg und seine alte wie neue Leitung sind wild entschlossen, zunächst ab Juni auf der Freilichtbühne Greifensteine, ab September auch wieder im Haus, Leben, Spiel und Musik auf die Bühne, in den Zuschauerraum, in Refugien im Erzgebirge und in die Klassenzimmer zu bringen.

Alle, die das Theater als Herz der Kultur lieben, warten darauf und hoffen inständig, dass es gelänge auch noch neue, vereinsamte und dem Metier ferne Schichten zu erreichen.
Ein neuer Spielplan für 2021/22 liegt vor, in dem die ernannte neue Leitung mit Intendant, Generalmusikdirektor und Oberspielleiterin Schauspiel ihre Konzeption vorlegen.

theater programm 1 (Andere)


Am 11. Mai 2021, im Wonnemonat, der keiner war, fand die Pressekonferenz statt, in der der frisch nominierte Intendant Moritz Gogg, sich, seine neue Leitung und die Fülle von Projekten temperamentvoll vorstellte. Das wurde auch so nicht anders erwartet, kann an der Spitze einer
so traditionsreichen Spielstätte in der 129. Spielzeit schließlich nur eine an und im Theater gewandte Persönlichkeit das Heft wirklich in die Hand nehmen und behalten. Man weiß inzwischen, dass Herr Gogg ein Theaterpraktiker auf und hinter der Bühne ist. Genannt seien hier nur sein langjähriges erfolgreiches Wirken als Bariton an der Hamburgischen Staatsoper - auf der Bühne- und als Manager am renommierten Konzerthaus in Linz.

Wechsel bei Intendanz und am Pult

Wie üblich stand am Beginn der Arbeit „des Neuen“ der Dank an den Vorgänger, Dr. Ingolf Huhn, für die kollegial abgelaufene Übergabe und sicher auch für viele Insiderinfos über Haus und Protagonisten. Auch am Ende einer Ära kann so jemand nochmal zur Hochform auflaufen, zu der es während der Jahre und Fülle an Arbeit -und auch zum Willen an Kommunikation- manchmal nicht immer reichte.

Aber es sei hier wenigstens erwähnt, wie tragisch, und dieser Begriff ist hier bewusst gewählt, es für ein erfülltes Intendanten- und Regisseurleben sich anfühlen musste, gerade am Ende der Karriere in das pandemische Loch zu fallen: Fertige Inszenierungen wurden bis zur Generalprobe gebracht und dann abgesagt oder wenige Vorstellungen nur erfreuten das Publikum und dann Schluss damit in 2019/20. Ingolf Huhn war ein Institution in Sachen verlässlichen Gespürs für unser Publikum, für Ausgrabungen von vergessenen Werken Lortzings oder Peter Gasts z. B., und mit zunehmendem Gespür für Bezüge zu unserer Region. Als unterhaltsamer Moderator von Konzerten und Literatur wird er gerne in Erinnerung bleiben, als Garant der Tradition. Er darf mit verdientem Dank für sein Wirken scheiden..

Mit der Tradition ist das aber manchmal so eine zweischneidige Sache: Das Positive ist das Erhalten, Schützen, Erinnern an Progressives in der Geschichte, große Leistungen der Region und auch das Mahnen an schlimme Zeiten und Verhaltensweisen. Das Negative ist, gerade auch im Erzgebirge, dabri an eine sentimentale, verniedlichende Heimattümelei, an allzu gefällige Inszenierungen, zu viel Tand und Zuckerguss und -in Krisenzeiten wie der Pandemie- an Aufleben gefährlicher deutsch-nationalem Denkens und Missbrauch von Demokratie gerade auch bei uns zu denken.

Es gibt viel zu tun, damit die Bühne wieder mehr zum Ort von aufregenden Anstößen werden kann. Und sogar auch solche als gefällig geltenden Genres,wie z.B. die klassische Operette mit Satire als Gestaltungsmoment a la E.T.A. Hoffmann oder Jacques Offenbach, erneuern helfen kann.

Das neue Heft der Spielzeit 2021/22 stellt ein anspruchsvolles Programm vor, was all das und mehr bieten kann, natürlich in Abhängigkeit von den Regisseuren und deren Konzeptionen. Dabei sollten aber auch die Dramaturgen Vorlagen mit Biss liefern. Welchen Anspruch spiegelt die Publikation wider und wie wirkt sie?

Das neue Format A5 passt schon mal schlechter in die Abendtasche. Ein aggressives Pink als durchgängige Grundfarbe passt zum Erzgebirge wie Sachertorte unter unseren Weihnachtsbaum. Das vom Intendanten selbst gelobte Grafikdesign des Spielplanheftes von Vincent Stefan, der Klasse von Prof. Mike Wolff an der FH Dresden, mag sein Publikum finden; es entscheidet ob es gut ist! Uns treten hier verspielte Foto-Collagen als Titel-, Kapitel- oder Werkillustration entgegen, die mal zielführend, mal verführend oder selbstbespiegelnd wirken.

Unverzichtbar sind die kurzen Inhaltsangaben zu den Premieren, vor allem zu Werken die Ur-oder Erstaufführungen vorstellen oder die unbekannte Stücke erklären. Dass im Titelbild und den Einführungstexten (mit Ausnahme des Textes des Landrats) auch gleich der Eigenname des Theaters, der Begriff „Theater“ als solcher und der Standort Annaberg wegrationalisiert wurde, geht gar nicht. Das hat noch kein neuer Intendant bisher gewagt!

Dafür steht das neue Kürzel „ETO“, das keiner kennt, im Unterschied zur Stiftung „ETOS“, was ernst gemeint war! Theater fernere, aber zu gewinnende Bürger, werden die Buchstaben nicht als Einladung, eher als Fragezeichen verstehen.

Eduard von Winterstein, der einst mit Bedacht gewählte Name des Theaters (nachdem es Grenzlandtheater, Kreistheater Annaberg u.a. hieß), war übrigens ein mit Hochachtung auf deutschen Bühnen und im Film ausgesprochener Charakter-Schauspieler, an denen es heute immer mehr mangelt. Der spielt unter Max Reinhard (-der wenigstens dürfte dem aus Österreich stammenden Intendanten als Begründer der Salzburger Festspiele bekannt sein!-) in Berlin bedeutende Rollen verkörperte, der in Annaberg seine ersten Erfolge feierte und dessen Familie aktive Künstler gegen den Faschismus hervorgebracht hat.

Dass die in Aue ansässige Erzgebirgische Philharmonie mit diesen drei Buchstaben auf dem Titel ihr eigenständiges Erscheinungsbild sicher nicht aufpoliert, ist gewiss. Für die Theaterbesucher aus Überzeugung bleibt die Philharmonie - der Titel ist ständiger Anspruch an Qualität! - das Theaterorchester.

Der attraktive Konzertbetrieb unter dem neuen Generalmusikdirektor Jens Georg Bachmann, konzertiert ein- bis zweimal im Monat im Annaberger Theater und auch im Kulturhaus Aue und auch mit vielen Aktivitäten in der Region. Warum nicht auch mit einem gut ausgesteuerten Sommerkonzert auf den Greifensteinen, wo alle Musikvorstellungen seit Jahr und Tag nur noch aus der eigenen Konserve kommen, außer bei hochwertigen Live-Band begleiteten Musical Produktionen.

Die Vorstellung des Ensembles mit Portraitfotos ist unvollständig, man hätte ältere Aufnahmen einsetzen können. So wirkt es, als ob die nicht abgebildeten demnächst mit der Kündigung rechnen dürften. Anstatt die verschiedenen Sparten und Bereiche im Seiten-Kopf konkret zu benennen, wie Solisten, Chor,Schauspiel, Technik, Requisite oder sonstige hat man  a l l e gleichmacherisch zum TEAM erklärt, obwohl jeder Theaterkenner weiß, wieweit und wie schwierig es mit dem „Team“ her ist. Aber „die Hoffnung...“.

Die Solisten des Musiktheaters heißen „Musiktheater“, obwohl es für Theaterfachleute und Journalisten, die uns besuchen, hilfreich wäre, könnten sie unter den Sängerfotos die Stimmgattung oder das Rollenfach lesen: Sopran,Tenor, Bass oder Soubrette.

Zum Spielplan mit Anspruch und Begriffsverwirrungen: Gewinner sind Kinder, Jugendliche/Schüler. Vielfältige Angebote zu brennenden gesellschaftlichen Problemen werden angeboten. Das Theater geht in die Schule, in die Klassenzimmer. Hier wird eine gute Tradition fortgesetzt. Zu wünschen wären zudem die verrücktesten Ideen der Öffentlichkeitsarbeit, die Jugendlichen individuell oder in Gruppen ins Theater oder Konzert selbst zu locken, damit zwischen den schönen grauen Frisuren der Stammbesucher mehr Jugend mit pinken Strähnchen oder grüner Punkfrisur zu sehen seien. Einer der Höhepunkte des Jahres: Das Weihnachtsmärchen „König Drosselbart“, wirkliches Familientheater.

Musiktheater: Die Hierarchie der Gattungen scheint durcheinander geraten zu sein:
Die Oper „Leonce und Lena“ firmiert unter Musiktheater, die Operette „Der reichste Mann der Welt“ ebenso, die Oper „Hänsel und Gretel“,-auch als Märchenoper vertraut- ist plötzlich „Familientheater“, als ob nicht auch alleinstehende Damen oder romantische Männer da hinein gehen würden. Die Oper Dorian Greay (EA), steht unter „Moderne“, entweder als Abschreckung für Konservative oder als Aufforderung für Operngegner? Die Opernfreunde jedenfalls suchen vergeblich nach den berühmten Titeln und Komponisten, noch finden sie den satten Musik- und Spielspaß wie z.B. bei „Ritter Blaubart“ von Offenbach, der 30 Jahre volles Haus in der Komischen Oper Berlin garantierte. Und seit wann gehört das Musical nicht zum Musiktheater, sondern wird als Extragenre ausgegliedert?

Schauspiel, auch Sprechtheater genannt, mit provozierenden Titeln: Das könnte locken und endlich wieder auf mehr gesellschaftliche Relevanz hoffen lassen, denn das gesprochene und dargestellte Wort ist direkt und wird nicht von Musik „überspielt“ oder „zugedeckt“. „Kabale und Liebe“ zuförderst bringt Schiller auf den Thron in hoffentlich heutigem Niveau. Die Schauspieler wird’s freuen. „Orson Welles probt Moby Dick“ klingt nach Weltuntergangsstimmung mit Spaß, „Hexenjagd“ nach Donald Trump im Capitol oder Mord und Totschlag. Das Schauspiel „Nipplejesus“ erscheint wieder als „Moderne“-ohne Musik- als Monolog und der „Jedermann“ an der Annenkirche in endlich (nach 8 Jahren) neuer Inszenierung.

Musical, das wirkliche Familien-Genre, trotz Strapsen! „Sarg niemals nie“, skurril zum Totlachen, sagt das Theaterheft. Aber wann ich lache, bestimme ich selbst. Mal seh´n, was das Theater vermag?! „Liebensbrief nach Ladenschluss“ geht auf das 1963 uraufgeführte „Parfümerie“ von Miklós László zurück und firmiert unter der Kategorie „Unterhaltung“, als ob wir uns bei Oper, Schauspiel u.a. nicht unterhalten dürften. Da wird wohl das Vorurteil „ernste Kunst“ heimlich für Oper und Konzert  mitgeschleppt ...!

Konzertprogramm mit Themen: Welch einfache, aber gute Idee, den Konzertabenden Themen im Wort voran zu stellen, die ohnehin durch die Werkauswahl da sind. Dirigent: der
neue GMD Jens Georg Bachmann: „Neubeginn mit Beethoven“, der es verdient hat, doch noch seinen 250. Geburtstag zu feiern mit der Sopranistin Bettina Grothkopf und der Eroica, am 25./27.9., 19.30 Uhr, Aue/Annaberg. „Auf Reisen mit Mendelssohn Bartholdy“, im Oktober, “Deutsche Romantik“ im November.

Das geliebte „Weihnachtskonzert“ an zwei Abenden in Annaberg unter dem 1. Kapellmeister Dieter Klug, 20./21.12., 26.12. in Aue „Winterserenaden“ im Januar, „Trost und Freude“, mit unterschiedlichen Solisten und Programmen in Aue und Annaberg im Februar. Das Publikum darf sich gegenseitig besuchen. „Böhmische Tänze“ im März, „Meister und Meisterwerke“, ein etwas allgemeines Thema mit Tschaikowski, Liszt und Brahms und zwei Instrumentalsolisten im April.
„Durch Nacht zum Licht“, Beethoven mit Klavierkonzert Nr.IV, 5. Sinfonie im Mai.7

Und der Tradition folgen im 10. Konzert „Talentschmiede“ des Dirigierseminars der HS für Musik Dresden im Juni 2022. Dazu das Erzgebirgische Sängerfest mit vielen Gesangsensemblen, Kantoreien, Schulchören unter Prof. Hans-Christoph Rademann im Erz-Stadion Aue-Schlema, mit Carmina burana. Dazu Gastspielchöre, Adventskonzerte, Kinderkonzerte überall in der Montanregion Erzgebirge.

Die Konzerte werden künftig weiter ohne Pause gespielt und beginnen im Unterschied zu früher um 19.30 Uhr. In vielen Werken, die zum großen Bestand des Konzertgeschehens gehören, werden die Besucher sich wiederfinden und den neuen Dirigierstil sowie die Klangentfaltung unter neuer Hand genießen können.

Vorfreude ist die schönste Freude!

Aber Achtung: Auch die Email- und Web-Adresse haben sich verändert:
service@erzgebirgische.theater www.erzgebirgische.theater

Neue Besen kehren gut? Viel Glück dabei!

Eveline Figura