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September 2022



Mit dem 9-Euro-Ticket zum kleinen Glück: Ein Nachruf

Drei Monate währte das mobile Sorglos-Programm für alle, um (fast) überall hin zu kommen. Bequem war es in Sachen Umsteigen in alle mögliche Anschlüsse des ÖPNV, weniger in Sachen Sitzplätze im Berufsverkehr oder am Wochenende. Und gebracht hat es viel in Sachen großstädtischer Umweltentlastung durch Autos und Besuch von Kulturorten, wo man immer schon mal hin wollte und auf die Sicht, wie belastbar sind Verkehrskapazitäten.

Nikater dessau mulde (Andere)
Residenzschloss Dessau und Marienkirche an der Mulde. Nikater/WikiCommons.

Die begeisterten Nutzer des 9-EURO-Tickets waren Rentner, Studenten und Normalbürger, die mit ihrem Salair so gerade über den Monat kommen und bei denen Reisekosten oder häufiges Umsteigen von Straßenbahn in Bus und S-,/U-Bahn schnell höhere Summen generieren. Die Autofahrer unter ihnen konnten ihr für ihre Flexibilität unverzichtbares Vehikel häufig in der Garage lassen und unbekümmert von Parkplatzsuche Natur und Sehenswürdigkeiten ebenfalls genießen. Bewegung zu Fuß tat zusätzlich gut, auch ohne Schrittzähler, denn zwischen den Verkehrsmittel waren Strecken zu überwinden. Soweit so wunderbar.

Aber alles hatte ein jähes Ende. Was zurück kam war das teure Monatsticket in Großstädten und ein nicht verifizierbares Versprechen, dass ein Folgemodell angedacht sei, dass mindestens mehr als das Fünffache kosten wird. Das dann zusätzlich zu Spritpreisen, die sich beim Diesel gen 2,50 Euro nähern werden, bei ständig steigenden Lebensmittel- preisen und astronomisch anmutenden Gas- und Stromkosten. Am 9-Euro-Ticket merkte man zwar den guten Willen der Politik, etwas Entlastung zu bringen genauso wie , nun endlich ab Dezember,  die 300 Euro Energiepauschale auch für Rentner zu zahlen. Das nimmt etwas ´Druck vom Kessel`, aber zeigt eigentlich nur wie hilflos überfordert die Politik gegenüber der Erpressung durch die Großkonzerne  der Energie und es Weltmarktes ist. Die arabischen Ölmächte drosseln demnächst ihre Fördermengen und treiben die Preise ins Unvorstellbare, inklusive Putin. Die Börsen sind nicht Regulatoren, sondern Vollzugsgehilfen der Spekulanten. Und der Steuerzahler, darunter Rentner, die ihr schon einmal versteuertes Einkommen, ein zweites Mal beim Fiskus abgeben müssen, finanzieren mit , dass Energiekonzernen und Stadtwerken  damit unter die Arme gegriffen werden muss.
Die Oberen Zehntausend brauchen keine Billigticket!

Die Reichen und die Armen! Wir wissen was los ist. Da sind so kleine Gaben wie unser 9-Euro-Ticket Peanuts im Getriebe. Aber doch hilft es solchen, die sich sonst alles mühsam absparen müssen, zur Kultur zu kommen. Der Kultur hilft es, ein paar mehr Eintrittskarten zu verkaufen. Es ist nämlich nicht zu leugnen, dass in Rezessionszeit zuerst am sogenannten Überflüssigen gespart wird. Das ist der Theater- oder Konzertbesuch und das ZOO-Jahresticket und gar der entspannende Gang ins Restaurant. Die Folgeprobleme der Verarmung treffen immer die zuerst, die schon in der Corona-Krise abbauen oder schließen mussten. Ein wenig wäre schon geholfen, wenn die Politik mehr differenzieren würde bei den Extra-Zuwendungen. Nicht alle Rentner brauchen nämlich die 300 Euro Energiezulage: Die, welche hohe Renten haben, Beamtenpensionen, Abgeordnetendiäten beziehen oder Fonds und Bankeinlagen horten für ihre verwöhnte Nachkommenschaft. Das Heranziehen von Extraprofiten, heute Übergewinnraten genannt, ist schon ein erster Schritt. Der zweite, endlich den Steuerflüchtlingen das Handwerk zu legen, ihren im Land durch Ausbeutung eingenommenen Mehrwert wenigstens im Lande wieder durch den Staat verwerten zu lassen.

Die Kulturchance

mosigkau (Andere)
Mein 9-Euro-Ticket hat mich seit zwei Jahren in Leipzig wohnend, zu Weltkulturerbe-Stätten geführt. Mit der Leipziger S-Bahn in die Händel-Stadt Halle, in die Luther-Städte Wittenberg und Torgau, nach Dessau mit seinem Schlösserkranz: Luisium, Georgium, dem Stadtschloss, Mosigkau und Oranienbaum, den Wörlitzer Park, die vielen Bauhaus-Museen, dazu Stadt-Museen, geschichtlicher und kunstvoller Reichtum unschätzbaren Ausmaßes. Und soll ich Ihnen was sagen? In vielen war ich a l l e i n  unterwegs. Ich bekam kompetente Einzelführungen mit Blick hinter Geheimtüren und in Kabinettchen. Ich hab´s genossen. Und werde das auch weiter tun mit meiner mittelprächtigen Rente Welterbe bewundern.

Schloss Mosigkau, Foto: E. Figura

Man glaube aber nicht, das das Ticket alleine, die kleineren Museen unterstützt hätte oder Minijobs der Museumsführer finanziert. KULTURINTERESSE fängt in den Schulen an zu entstehen, Schwellenängste müssen früh beseitigt werden von Lehrern, die für Musik brennen und von Bildermalern schwärmen. Und das Fach Geschichte lernt sich in Schlössern im Vorbeigehen über den europäsch verwandten Adel, die wandernden Künstler, Italiener wie Niederländer, Musiker wie Händel und Haydn  in London, Rubens-Gemälde in Bad Mosigkau oder  den Stolz, dass das erste Schloss des europäischen Klassizismus in Wörlitzer Park steht, zusammen mit einem Vulkan und Tempelchen in einem Englischen Garten. Auch ein Gotisches Haus gibt’s beim Fürsten Franz von Anhalt. Stilmix aus Phantasie- und Geldüberfluss, den nun endlich das Volk besuchen kann ohne Etikette. Krass im Gegensatz dazu Dessaus Innenstadt mit unzähligen Neubauten, die zum Bauhaus-Museum zu passen scheinen. Keine hohen  Klötzer, sondern eher luftige 5-6-Geschosser in hellen Farben. Die innerstädtischen Restaurants- und -gärten sind zu dem mit wundervollen, mediteranen Blumenarragements geschmückt gewesen.

Die Geschichts-Chance

Geschichte pur: Wegen des Standortes der Junkers-Flugzeug-und Motoren-Werke in Dessau-Roßlau haben die alliierten Bomber 1944/45 85 Prozent der Stadt in Schutt und Asche gelegt. Der Krieg ist auch hier wie in Hamburg, Köln, Dresden u.a. zu seinen Verursachern zurück gekehrt. Im schönen Stadtresidenzschloss im noblen Renaissance-Stil, von dem ¼ noch steht,- manchem sein Ganzes!, kann man erfahren (-auch dort war ich  a l l e i n  unterwegs-) wie die Nazis noch vor dem Krieg dem genialen Flugzeug- und Maschinenkonstrukteur Hugo Junkers wegen „politischer Unzuverlässigkeit“ übel mitspielten, schließlich enteigneten. Ein Kriegsgegner wie sich herausstellte. Viele interessante Fotodokumente zur Werksgeschichte und zur Würdigung des Namensgebers.

Im  Untergeschoss des Stadtschlosses kann man Fundstücke aus dem zerbombten Barockteil des Schlosses bewundern. In Dessau-Roßlau wurde im Technik-Museum eine reichhaltige Ausstellung zu den Junkers-Werken erschaffen, die die Technik- Interessierten gefangen nehmen dürften, die sich für Schlösser und deren damaligen durchaus emanzipierten BesitzerInnen weniger begeistern.

Die Kontakt-Chance

Ja, tatsächlich, meine Freundinnen aus dem Erzgebirge haben sich als Gruppe oder auch einzeln aufgemacht und mich in Leipzig besucht. Mit der Erzgebirgsbahn bis Chemnitz, Umstieg in die alten Wagons mit unbequem hohen Stufen. Dann paar Stunden durch die Stadt und gutem Mittagessen im Brauhaus Leipzig, z.B.  Das gesparte Reisegeld ist also gut in die Erhaltung von Körper und Geist investiert worden und zur Freude der Gastronomen. Dann zwei Stationen mit der S-Bahn vom Markt zu mir, noch 200m zu Fuß und endlich Kaffee bei Evi. Die Großstadt ist schon trubelig, weswegen selbst Autofahrerinnen hier lieber mit den „Öffys“ fahren. Sicherheit geht vor. Zum Hauptbahnhof hab ich uns und ihnen dann doch lieber mein Auto bemüht nach der Devise: „Hab mein Wage voll gelade...“

Schön war´s und Dank an die Ideengeber für´s 9-Euro-Ticket an eine gut gemischtes Klientel. Es fehlt uns jetzt schon.

Eveline Figura