|
|
|
|
Gegründet 1807
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
|
September 2022
Falstaff: Der ewige Verführer - Im Theater Annaberg
Das Konzept der Intendanz des Eduard von Winterstein-Theaters bei der deutschen Erstaufführung von Michael William Balfe Opern-Zweiakter von 1832 ging auch diesmal auf.
Entdeckung eines zu Unrecht vergessenen Opernkomponisten und seines wunderbaren Werks, dazu ein fulminant aufspielendes Orchester und bestens besetzte Rollen in einer verrückten Regie. Was will man mehr? Ein Publikum das noch mehr ins Theater strömt und das Live-Theater feiert!
v.l.n.r.: Bettina Grothkopf (Mrs. Ford), Maria Rüssel (Annetta), László Varga (Falstaff), Nadja Schimonsky (Il bello Will) und Heain Youn (Mrs. Page), Fotos: Dirk Rückschloß / Pixore Photography
Ja, der Falstaff hat´s in sich. Mehr noch als der Don Juan/Don Giovanni, der Legionen verheulter Frauen zurücklässt, so manche die seinen Fall wunderschön singend betrauert, ist der alte Schwerenöter Falstaff deren Opfer, ins Wasser getaucht, verlacht und ohne Trost. Immerhin haben sich g r o ß e Komponisten seiner erbarmt. Michael William Balfe (1808-1870) ist an der Seite von Salieri, Verdi, Nikolai, ein ebenbürtiger und hat deshalb umso mehr die zweite Inszenierung seines Werkes nach der Uraufführung 1838 in London endlichen seine deutschen Erstaufführung bei uns verdient. Welch eine Entdeckung!
Warum wurde das Theater-Genie Balfe wohl so gründlich vergessen, schließlich wirkte er in ganz Europa als Komponist mit 28 Opern, selbst Geiger und Dirigent und sang sogar den Jago an der Mailänder Scala! Man denkt gleich an solche Tausendsasa wie Offenbach und Lortzing, Theatermacher von Rang, die bekannt geblieben sind. Es lag wohl weniger daran, dass er Ire war. Schließlich war er in London und Italien ausgebildet und orientierte sich an Vorbildern wie Gioachino Rossini, was unüberhörbar ist. Und obwohl er Originalität und eigenen Klangreichtum hat, waren die Vorbilder und die Übermacht der folgenden Größen wie Verdi (55 Jahre später) mit dessen modern durchkomponiertem Falstaff zu übermächtig. Egal, Balfe ist wiederentdeckt und birgt vielleicht noch andere, weitere Überraschungen.
Am Samstag, dem 17. September 2022 war Premiere im Annaberger Eduard-von Winterstein-Theater – und was für eine! In Anwesenheit von Mrs. Valerie Lengsfield aus Manchester, die Herausgeberin des einzigen Klavierauszugs der Oper und einer CD mit einer konzertanten Aufnahme, hatte das Ensemble einen autorisierten Gast. Durch sie konnten bei uns die Orchesterstimmenvorlagen erarbeitet werden. Dank an die Mitarbeiter im Hintergrunde.
Die Regie lag in den bewährten Händen Christian von Götzes, der bereits die prämierte Inszenierung von „Der reichste Mann der Welt“ geleitet hatte. Er setzte wieder auf das Zirkusmillieu: Bunt, verrückt, divers. Im Stil war es fast eine Dopplung zu seiner vorigen Inszenierung, die in der Form Comédia del arte spielte, was einige Zeitungsleser wegen der erneuten Maskierung irritiert haben dürfte.
Die Herangehensweise ging auf: Ein Entertainer, Il bello Will (Nadja Schimonsky) sprudelte, spielte, sprach wunderbar Texte nach William Shakespeare und führte so durch die Handlung der Oper, die ansonsten italienisch (im Original) gesungen wurde. Eine nicht einfache Extraleistung des Solistenensembles, das sich in dieser schönen Sprache regelrecht badete. Inhalte auf Deutsch wurden den Zuschauern auf dem Laufband vermittelt. Die Titelrolle des Falstaff sang und spielte gewandt und mit schlankem Bass László Varga, der allerdings im Kostüm des Clowns eine schwere Aufgabe hatte. Dominantes Auftreten (wie der Il Capitano in der Comédia del arte) ersetzte nicht den erwarteten Charme eines lustvollen Frauenliebhabers, der seine Offerten hier auch noch nur in Form von Briefen transportierte.
Die drei zu verführenden Damen, Mrs. Ford (Bettina Grothkopf), trat in Kostüm und Gestus einer Domina auf; Mrs. Page (Heain Youn) war als locker agierende Zirze angelegt und nur die sehr junge Anetta (neu im Ensemble: Mezzosopranistin Maria Rüssel) war die reizende Unschuld a la Colombina. Grothkopf sang die komplizierten Arien mit Kraft und Können und auch die Coloraturen gelangen technisch versiert. Ford (Jason-Nandor Tomory), der eifersüchtige Ehemann, interpretierte mit schönem, kraftvollem Bariton und meist guten Höhen. Einige verschwanden am Ende im allgemeinen Tumult, zu dem Tomory stets aktiv beiträgt. Seine Figur, nicht wie bei Varga Opfer der Kostümierung, sondern der Darstellung der von ihm beargwöhnten Weiblichkeit. Seiner Frau als Domina nimmt man also die bürgerliche Anständigkeit nicht ab: Worauf ist er dann wohl eifersüchtig?
Die Sensation war die Besetzung des jugendlichen Liebespaares Anetta und Fenton (Wjatscheslaw Sobolev). Sie hübsch und grazil, Aussehen wie Stimme, und er eine junges, bereits preisgekröntes russisches Tenor-Stimmwunder an Höhe und Sicherheit. Seine Partie erfordert enorme Geschmeidigkeit in den Über-Hohen-C-Bereichen. Er hat sicher eine große Karriere vor sich und wäre für den Tonio in Donizettis „Regimentstochter“, in späterem Alter als König Bobèche in „Ritter Blaubart“ von J.Offenbach a la Felsenstein geeignet.
In Schwebe-Choreographien (Choreographie: Leszek Kuligowski) mit Partnerin sangen die beiden die herrlichen Melodien des Liebespaares. Ihre Kostüme auch besonders und abgestimmt. Jinsei Park als Mr. Park (neben seiner o.g. Gattin) war der kräftigste und originell aufspielende Bass. Beide das Buffopaar des Abends.
|
All diese Solisten agierten mit überzeugenden Stimmeinsatz hatten sich nun gegen die wuselnden Regieideen für das Ensembles zu wehren. Da der Regisseur die englische Dialekt-Vielfalt in den secco-Rezitativen des Originals nicht parat hatte, kam er auf die Idee, den Chor „umzupolen“: Damen in Männerkostüme, Männer in Damenkleidern. Ersteres ist kein Problem, welche Frau läuft heute nicht in Hosen rum? So erschien die Dienerschaft als Charlie Chaplins, durchchoreographiert.
Die Männer allerdings sahen nicht aus wie Dragqueens, sie waren es und als solche dominierten sie die Szene. Zu guter Letzt tänzelte dann noch ein Fischer-Pferd von der Komischen Oper über die Bühne und machte das Kraut fett. Das Publikum hatte seinen Spaß und viel zu gucken. Alles konnte man gar nicht erfassen in seiner absichtvollen Charakteristik. Doch (etwas) weniger wäre manchmal mehr gewesen. Das Bühnenbild wechselte zwischen einer opulent Eingangs-Bar, einer gekippten Ebene mit Sesselchen und einer Art Arena.
Da blieb Platz für´s doch tragische Ende eines gescheiterten Lovers. Falstaff demaskiert sich und „is nur e Mensch, ka wedder nischt sei!“ (wie auf der Studiobühne beim Anton-Günther-Programm am Sonntag gesungen wurde.)
In den Armen hält der die tote Liebe in Gestalt des „schönen Will“. Welch ein überzeugendes Finale eines fulminanten Abends mit „Pravi“ rufendem Publikum. Und doch: Im Trubel des Geschehens, in den Zirkusmasken, dem Clown-Image und dem Überangebot der Regie verringerte sich die dramatische Fallhöhe eines Falstaff.
„Die lustigen Weiber von Windsor“ gefielen sich doch darin, von einem Sir John Falstaff hofiert zu werden, worin auch Fords Eifersucht begründet ist. Umso größer der inszenierte Spaß, den Ritter mit schmutziger Wäsche ins Wasser zu werfen und die weibliche List, sich mit Schönheit und Treue zu krönen.
Das größte Erlebnis war die wunderbare, noch nicht vorher gehörte Musik und die gekonnte Interpretation von der Erzgebirgischen Philharmonie Aue im vollen Orchestergraben. Unter der Leitung durch GMD Jens Georg Bachmann/ Dieter Klug entstand die Vielfalt herrlicher Klangbilder schon in der temperamentvollen Ouvertüre. Mit viel Rücksicht und Gestaltung entfalteten sich Arien und Duette und immer wieder und am Ende auch die Chöre (Jens Olaf Buhrow/ Daniele Pilato), ob auf der Szene oder vom Schnürboden. Wohl dem, der zu hören versteht, wenn die Welt ringsherum dröhnt!
Eveline Figura
Weitere Vorstellungen und vollständige Besetzung
|
|
|
|
|