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Juni 2022



Neuer "Jedermann" am Annaberger Kirchplatz

Hoffmannsthals „Jedermann, Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ in Annaberg. Die aktuelle Inszenierung des Eduard-von-Winterstein-Theaters begeistert das Publikum.

Hugo von Hoffmannsthals „Jedermann, Spiel vom Sterben des reichen Mannes“ war 1911 in Berlin uraufgeführt worden und wurde ein bleibender Erfolg auf den Theaterbühnen. Die Grundaussage: Jedermann  ist jederzeit sterblich, soll deshalb so leben, dass er jederzeit vor Gott mit seinen „Werken“ bestehen kann. Hoffmannsthal blieb kurz vor dem 1. Weltkrieg sowohl in der Wilhelminischen Diktion des Gottesgnadentums und dennoch gelang ihm scharfe Gesellschafts-Kritik mit „seinem Jedermann“ als gründerzeitlich reichem Genussmenschen.

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Jahrzehnte lang dominierten dann erfolgreiche Inszenierungen  am Domplatz in Salzburg, nicht nur diesbezüglich gut platziert, sondern auch noch aufgemöbelt durch die Besetzung der Rollen mit den jeweils aktuellen Schauspielstars, bekannt von Bühne Film und Fernsehen! Man erinnere sich noch an Curd Jürgens, Peter Simonicek oder zuletzt Tobias Moretti als Jedermann oder einer Senta Berger als Buhlschaft. Die Inszenierungen, so unterschiedlich sie auch gewesen sein mögen, änderten indes kaum etwas am geforderten Rollenprofil der Darsteller. Das hatte wohl seinen Grund...! Auch in den acht Jahren der Regiefassung von Dr. Ingolf Huhn war das in Annaberg so, dazu schön bunt und theologisch angestaubt.

Anders in der Neuinszenierung, die am 26.Juni 2022 am Unteren Kirchplatz an der St. Annenkirche Premiere hatte. Durch den umtriebigen und erfahrenen Salzburger Regisseur Marcus Steinwender erfolgte gleichzeitig eine textliche Neufassung, ohne Hoffmannthals Kunstsprache zu beschädigen, die das 15. Jahrhundert in Farbe setzte. Er stellt die Aussage „Jedermann ist jedermann“ in den Mittelpunkt seiner Inszenierung und individualisiert somit die ursprüngliche Gesellschaftskritik zur Existenzangst des Einzelnen. Immanuel Kants „Kategorischer“ Imperativ“ - lebe so, dass Dein Handeln zur Maxime der Gesellschaft tauge- mag dahinter stehen. Die Inszenierung (Ausstattung: Stefan A.Schulz) steckte alle Darsteller in rote Kleider mit dunklen brokatenen Mänteln darüber. 

Die Schauspieler umhüllen an manchen Texstellen ihr Haupt mit einem Tuch, halten sich Todes-oder Lachmasken vors Gesicht und bewegen sich  rhythmisch um den rot verhüllten Luther, unterlegt vom Schlagzeug - wie Herztöne zuweilen meißelnd. Alle sehen gleich aus. Aber damit verliert sich durch die Gleichmacherei der Figuren die Sicht auf die Superreichen der Gesellschaft und ihrer Verantwortung für diese. Die Rollentexte, egal ob männliche oder weibliche oder teuflische, -wer weiß, was der für ein gegenderter ist?- werden wechselnd übernommen.

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Die Schauspieler (Michaela Finkbeiner, Marie-Louise von Gottberg, Christian A. Hoelzke, Nick Körber, Nadja Schimanowsy, Vladislav Weis, Tim Taucher, Marvin Thiede und Nenad Zanic) sprechen Texte, exzessiv gespielt auf einem Tableau um die rot verhüllte Luther-Statue herum. Selten war so gute Artikulation und Mimik zu erleben. Texstellen erhielten somit Bedeutungsschwere: Marvin Thiedes Bass und Körperlichkeit oder Nenad Zanics Eindringlichkeit, Marie-Louise von Gottbergs Rauheit und singende Leichtigkeit, Nadja Schimanowskys fordernder Blickkontakt, Michaela Finkbeiner deklamierte eindringlich und natürlich Nick Körbers teuflische Perfidie und Exzentrik. Seine letzte Rolle im Ensemble und so intensiv wie alle vorherigen dargeboten. Unter Luthers „rotem Rock“ dampfte es dann auch gewaltig.

Mit den deutlich hervor gearbeiteten Texten kam endlich wieder soziale Kritik über die Rampe wie - übermäßiger Luxus, keine Zeit für die Mutter , oder die Armen, Abwertung der „Pfaffen“, der Glaube sei in Not, Mangel an Empathie, Angst vor dem Tod, am Ende sei jeder allein, rechtzeitige Reue und gute Werke brauche die Welt.

Die Vorstellung dauerte eine Stunde, zwanzig Minuten. Man hatte in der Neufassung auf Texte theologischer Überziehung, der Figur des Glaubens, der Stimme aus dem Himmel, verzichtet. So standen die Inhalte und Konsequenz realen Verhaltens mehr im Mittelpunkt. Zuschauer-und -hörer-Qualitäten waren gefragt. Karl Friedrich Winter an der Walker-Orgel der St. Annenkirche mit Bachs d-moll-Toccata brachte dann die heilige Ergriffenheit am Ende auch ohne Harnisch des Glaubens und Engelsflügeln zustande.

Allerdings: Mit dem Weglassen der differenzierten Ausstattung der Figuren der schön anzusehenden Premiere, schwandt aber auch die bei Hoffmannsthal gewollte soziale Differenzierung zwischen den Personen. Die sichtbaren Gegensätze machen deutlicher, dass die Traurigkeit der Armut Verzweiflung ist, die der Reichen höchstens Melancholie. Vom Übermut der Superreichen, die heute die Welt in Not, Hunger und Krieg stürzen, ganz zu schweigen. Und auch davon, woher und durch wen sie ihre Milliarden haben.

Eveline Figura

Nächste Vorstellungen: 17.7., 7.8., 23.8.2022, jeweils 20 Uhr
Servicebüro des Theaters: Markt 8, 09456 Annaberg-Buchholz, Tel.: 03733 1407-131