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Gegründet 1807
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Juli 2023
Versteckte Schätze aus Annaberger Kirchenbibliothek
Die Universitätsbibliothek Leipzig macht bis dato verborgene Kostbarkeiten aus Annaberg zugänglich - Ausstellung, Erforschung und Digitalisierung
Teile der Annaberger Kirchenbibliothek an ihrem eigentlichen Standort. Alle Fotos: Universitätsbibliothek Leipzig
Die aktuelle Ausstellung in der Universitätsbibliothek Leipzig: „Buch auf! Zu Tage geförderte Schätze der Annaberger Kirchenbibliothek“ bringt es an den Tag: Kirchen- und Klosterbibliotheken waren und sind fast versteckte, aber reichhaltige Sammlungen alter Schriften in eifersüchtig gehüteten Archiven, zu denen nur wenige Zugang hatten und haben. Forscher der der Universitätsbibliothek Leipzig erbringen nun die wissenschaftliche wie gesellschaftliche Leistung, sich der Annaberger Kirchenbibliothek anzunehmen, sie zu sich zu holen, zu sichten, zu finden, zu entziffern, was Jahrhunderte schlummerte. Es folgen Aufbereitung und Digitalisierung, um endlich der Allgemeinheit zugänglich zu machen, was ihr eigentlich immer gehörte. Es ist das geistige Kulturerbe im Weltkulturerbe Montanregion Erzgebirge.
Ein Schatz aus 3.500 Titeln
Luthers Reformationsidee bedurften einst des Mediums Buchdruck, um auf die Menschen seiner Epoche zu wirken. Aber nicht dafür, diese und viel ältere Dokumente heute einzusperren und zu versiegeln. So heißt es im Katalog o.g. Ausstellung: "Kirchenbibliotheken sind bedeutende Überlieferungsorte unseres schriftlichen Kulturerbes. Unter den Kirchenbibliotheken in der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens ragt die Kirchenbibliothek von St. Annen in Annaberg-Buchholz hervor. Mit ihren rund 3.500 Titeln an Druck- und Handschriften gehört sie zu den großen evangelischen Kirchenbibliotheken.“
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Die bedeutendsten Werke sind nun im Ausstellungssaal der Universitätsbibliothek bestaunbar: in dunkles, schützendes Licht gehüllt, erklärend beschriftet und mit Beschreibung der historischen Hintergründe versehen. Selbst Annaberger, die mit solcher „schweren“ Materie umzugehen verstünden, sahen das noch nie. Wertvolle, ungefähr 450 Bücher, meist von der eigenen Werkstatt des Klosters in Leder gebunden, stammen aus dem Franziskanerkloster Annaberg (1501/02-1540), der vorletzten Klostergründung in Sachsen. Weitere Klosterbestände wurden indes von den Franziskanern mitgenommen, die das Kloster 1539/40 nach Einführung der Reformation verlassen mussten. Ein Großteil der Kirchenbibliothek stammt aus der Bibliothek der St. Annen-Kirche, aus ihrer vorreformatorischen Zeit, dann aus der Hospitalkirche, der Lateinschule Annaberg und der ab 1540 entstehenden evangelischen Bibliothek.
Cranachs Papst-Esel, Reliquienverzeichnis, Anfänge deutscher Literatur
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Zu diesem Gesamtbestand gehören seltene 389 Wiegendrucke, was mehr als der Besitz der meisten anderen Kirchenbibliotheken Deutschlands sein dürfte. Viele bisher unbekannte, erstmals belegbare Druckwerke des 16.-18. Jahrhunderts wurden offen gelegt, darin enthalten und zusammengefasst eine große Anzahl unbekannter Hochzeitsanzeigen und Leichenpredigten. Abgesehen vom hohen musealen Wert der Artefakte und ihrer Eigenästhetik sind die Aufarbeitung der Inhalte bedeutsam, weil heute immer weniger auch Fachleute über fließende Lateinkenntnisse verfügen. Die Ausstellung wirft mit ihren deutschsprachige Fragmentes in den Büchern „ein neues Licht auf die Anfangszeit der deutschen Literatur“ um 1200, Predigten um 1230, eine Reihe von Kuriosa wurden gefunden wie ein alter Blockdruck um 1500 über ein „angeblich im Tiber gefundene Monstrosität“ (Missgeburt), die Cranach für die Kritik am Papsttum nutzte (Cranach-Esel) und vielfältige Kommentare von einstigen Professoren, Studenten aller Zeiten,die auf die Nutzungsgeschichte dieser Literatur und der Entwicklung deren Weltbilder verweisen.
Ebenfalls ist aus dem Ende der Gründungszeit von Stadt Annaberg und St. Annenkirche ein handschriftliches Register der Reliquiensammlung ausgestellt. Das ist deshalb bedeutsam, weil Stadtgründer Georg der Bärtige auf den Ankauf dieser Anbetungsgegenstände großen Wert legte mit dem Ziel, die St. Annenkirche als Wallfahrtsort zu etablieren, was seiner „liebsten“ Stadt Geld und Berühmtheit zutragen sollte. Davon profitierten sowohl Kirchgemeinde (damals etwa 8.000 Einwohner) als auch die Bettelmönche der Franziskaner, die Ablass einnahmen, aber den nicht für die Peterskirche in Rom weitergaben wie Johann Tetzel. Der Verbleib der Reliquien und deren kostbare Gefäße liegen im Dunklen.
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Die Universitätsbibliothek schloss mit der Evangelisch-Lutherischen Kirchgemeinde Annaberg einen Projektvertrag ab, so dass nach Abschluss der Digitalisierung die Bestände wieder nach Annaberg zurückgeführt werden sollen. Vielleicht lässt sich erwirken, die wunderbare erhellende Ausstellung auch in Annaberg zu zeigen, um neben den vielen montan-historischen Objekten des Weltkulturerbes auch die geistes-/geistlich-geschichtliche Entsprechung der Bevölkerung näher zu bringen.
Sternstunde aus der Frühzeit deutschsprachiger Literatur von 1200
Eine der beiden sensationellen Entdeckungen früh-deutschsprachiger religiöser Literatur aus dem Thüringischen, eine bisher unbekannte „Exempelerzählung“ (1200), handelt von der Kirchengründung eines reichen Adligen, der mit Macht seinen Bau vorantreiben wollte und die Bauleute beauftragte, am Portal sein Portrait anzubringen. Während der Bauzeit kam ein einfaches Mütterchen vorbei und spendierte aus ihrem schmalen Budget für die Leute 30 Silberlinge, dass sie doch die Kirche für den lieben Gott recht schön machen sollten. Als der reiche Kirchengründer vorbei kam, war anstelle seines Bildnisses, jedoch immer das der alten Frau an der Wand zu sehen. Zähneknirschend musste er schließlich einsehen, dass der liebe Gott, den geringen Beitrag der Armen höher bewertete als seinen Reichtum.
Die Entdeckung solcher Fragmente, ihre Entschlüsselung und Bewertung als bedeutsam für die Literaturgeschichte, sind Sternstunden. Oft sind es handschriftliche Papierstücke aus alten Büchern in lateinischer oder, wie oben genannt, deutscher Frühsprache, die zur Bindungsstabilisierung der oft umfangreichen Bücher eingesetzt wurden oder einst teure alte Pergamentseiten konnten als Schutz von wertvollen gestalteten Deckblättern mehrfach genutzt werden. Eine Vielzahl von Kommentaren der Leser aus den Jahrhunderten, die die Entwicklung der Denk-, ja, Glaubensentwicklung belegen, befinden sich an den Seitenrändern oder an vakanten Stellen. Einige Bände enthalten Eintragungen zu den aber oft nicht mehr zu identifizierbaren Stiftern der Bücher. Die Provenienz der Bände ist oft ungeklärt. Viele, damals sehr teure Anschaffungen wurden sicher im Auftrag des Herzogs von Sachsen für seine neue Stadt- und Kirchengründung getätigt.
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Solche Entdeckungen zeigen wie wichtig die Forschung an den Objekten, in einem solchen Kompetenzzentrum wie der Universitätsbibliothek Leipzig ist, die sowohl Handschriften, alte Drucke und lateinische Texte mit ihrer personellen wie infrastruktuellen Ausstattung zu entschlüsseln vermag. Finanziert wird das umfangreiche Projekt von der Deutschen Forschungsgemeinschaft, die Digitalisierung erfolgt mit Mitteln des Freistaates Sachsen, Restaurierungen mit Mitteln der Koordinierungsstelle für die Erhaltung schriftlichen Kulturgutes Berlin und der Landesstelle für Bestandserhaltung Dresden.
Die Ausstellung der Annaberger Kirchenbibliothek ist begleitet von drei Vorträgen der leitenden Wissenschaftler: Prof. Dr.Thomas Tibault Döring und Dr. Katrin Sturm sprachen zu Forschungsergebnisse, der Entdeckung von Fragmenten und ihrer Bedeutung. Prof. Dr. Enno Bünz referierte über das Franziskanerkloster in Annaberg. Beeindruckend dargestellt das im 13.-15. Jahrhundert entstandene dichte Netz der „Bettelorden auch in Mitteldeutschland“, die als Reformergebnis in der katholischen Ordenslandschaft entstanden waren und die neben der lithurgischen Betätigung, viele seelsorgerische und caritative Aufgaben in der schnell wachsenden Stadtgründung Annabergs übernahmen.
Am 18. Juli, 19-20 Uhr findet eine Gesprächsrunde mit Kirchenvertretern und Leitern von Kirchenbibliotheken Sachsens zur Erhaltung und besseren Sichtbarmachung dieses wichtigen Kulturerbes statt. Die Ausstellung endet am 27.8.2023 15-16 Uhr mit einer Finissage und Sonderführung. Universitätsbibliothek Leipzig, Beethovenstr. 6, Tel.: 0341 9730 577. Weitere Infos auf der Webseite der Universitätsibliothek.
Eveline Figura Fotos: Universitätsbibliothek Leipzig
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