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Juli 2023



Freikugeln und Zwänge: "Der Freischütz" auf der Felsenbühne Rathen

Haben Sie schon einmal den „Freischütz“ auf der Felsenbühne in Rathen gesehen? Falls nicht, haben Sie etwas verpasst. Hier die Rezension der Neuinszenierung von einer Bühne, die für dieses Stück wie geschaffen ist.

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Der Probeschuss | mit: Johannes Wollrab, Aljaž Vesel, Oliver Weidinger und
Ensemble, Foto: Martin Förster

Kennen Sie Rathen in der Sächsischen Schweiz? Dort gibt es eine Freilichtbühne in einem Talkessel. Der Zuschauer sitzt ganz unten, die Felsspitzen ragen hoch hinaus, Felsen und Baumbewuchs bilden die Kulisse und die einheimische Vogelwelt stellt den Chor. Zugegeben, die Anreise ist nicht ganz einfach: Mit dem Auto oder der S-Bahn von Dresden bis Rathen fahren, dann mit einer Fähre im Schneckentempo über die Elbe setzen und anschließend noch ein Fußmarsch mit deutlicher Steigung. Aber es lohnt sich.

Die Kulisse ist wie geschaffen für den „Freischütz“ mit der Wolfsschlucht. Man denkt imersten Moment, Carl Maria von Weber hätte die Oper 1821 eigens für diesen Ort komponiert. Dem ist zwar nicht so, denn erst seit 1956 wird „Der Freischütz“ auf der Felsenbühne in Rathen gezeigt, aber seitdem ist er dort ein Dauerbrenner. Im Juni 2023 fand die Premiere der mittlerweile neunten Inszenierung an diesem Ort statt.

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Paul Gukhoe Song als Kaspar, Foto: Martin Förster

Die Grundidee der Regie ist das Herausarbeiten von gesellschaftlichen Zwängen und Zukunftsängsten der handelnden Personen. Es wird gezeigt, dass das Tun und Lassen von Max und Agathe, aber auch von Kaspar, Kuno oder dem Fürsten strukturellen Einschränkungen unterliegt und dass vorgeblich freie Entscheidungen – überhaupt keine sind. Welchen Zwängen unterliegt eigentlich der heutige Mensch? Und welche Zwänge gesteht er sich ein? Der Regieansatz ist also zeitgemäß - zeitlos.

Das Bühnenbild unterstützt diese Sicht gekonnt: Alles, was von unten den schönen Schein der Oberfläche durchbricht, ist verrostet. So zum Beispiel große Versorgungsleitungen die aus der Erde ragen und sich durch das Bühnenbild ziehen. Auch die Kostüme sind gut getroffen. Einerseits wirken die meisten Figuren wie einem Shop für Outdoorkleidung entstiegen. Und andererseits zeigt die Figur des Samiels, als Spinne nur vollständig mit willfährigen Helfern (!) deutliche Anklänge an die Dämonen japanischer Mangas (Noragami, Pakt der Yokai uvm.).

Der sehr durchdachten Regie entgegen stand in der besuchten Aufführung die Leistung einiger Sänger. Der Max von Kay Frenzel wirkte stellenweise sehr phlegmatisch. Vereinzelt sah man Angst und Leid dargestellt, aber nie Liebe oder Freude. War dies beabsichtigt? Überhaupt schien es der ganzen Aufführung etwas an Schwung und Spielfreude zu mangeln. Nach der Pause stellte sich dieser Eindruck dann auch beim ordentlich gestarteten Orchester ein.

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Agathe mit den Brautjungfern | mit: Alexandra Chebotar, Shuang Zhang, Mareike
Schröter, Suji Kim (v. l.), Foto: Martin Förster

Lobenswert hervorzuheben ist der Kaspar von Paul Gukhoe Song. Ein ausdrucksstarker Bass vereint sich hier mit bewegtem Spiel. Gut gespielt wurde auch die Sprechrolle des Samiels von Andreas Petzoldt. Und ganz besonders schön und in jeder Silbe ausgestaltet war der Eremit von Do-Heon Kim. Agathe (Mareike Schröter) und Ännchen (Franziska Abram) harmonierten stimmlich und spielerisch sehr gut miteinander. Die Darsteller des Kilian (Reuben Scott) und des Fürsten (Johannes Wollrab) trafen beide in Stimme und Habitus den Bauern beziehungsweise den Fürsten punktgenau. Ein großes Lob verdient auch der Jägerchor: Soviel Spritzigkeit und Enthusiasmus hätte man sich überall gewünscht.

Auch bei hier nicht genannten Darstellern blitzten mitunter schöne Szenen auf. Insgesamt fehlt aber der Schwung, das Kugelgießen in der Wolfsschlucht kommt bei Licht betrachtet (17:00-Uhr-Vorstellung) zahm daher und zwischendrin gibt es einige Längen, die gekürzt werden könnten. An den Toneinstellungen ist eine weniger basslastige Verbesserung wünschenswert. Ganz vorn sitzend bemerkt man nämlich erstaunt, dass insbesondere die Sängerinnen in natura deutlich besser klingen als über die Lautsprecher.

Nun müssen sich neue Inszenierungen immer erst einspielen und die meisten Rollen sind doppelt besetzt. Die Wirkung zukünftiger Aufführungen kann also durchaus von dieser Rezension abweichen. Das nötige Potential ist vorhanden und allein die Kulisse der Felsenbühne für den Freischütz immer eine Reise Wert.

Eva Blaschke

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