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März 2024



Die „Dreigroschenoper“ am Theater Annaberg

Der Blick in die Unterwelt - ein Blick in unsere Gesellschaft: Die Antipoer von Brecht/Weill ist so aktuell wie bei der Uraufführung vor fast 100 Jahren.

Die Premiere am 16. März 2024 in Annaberg war nicht nur gut besucht, sondern auch Erfolg, auch Dankt eines konzentrierten, am Ende euphorisierten Publikums. Rollen und Besetzung waren in seltenem Einklang mit der Aufgabe, Ausstattung und Regie führten kongenial auf ein Gesamtkunstwerk hin. Die Songs wurden nicht nur wirkungsvoll interpretierte, sondern dicht am Zeitgeschehen zelebriert und eindringlich mit der Figuren-Choreographie der Regisseurin Jasmin Sarah Zamani untermauert.

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Foto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography

Fast hundert Jahre nach der begeistert reflektierten Uraufführung 1928 im Theater am Schiffbauerdamm in Berlin, dem späteren Haus des Berliner Ensembles, war die im Eduard-von Winterstein-Theater Annaberg Buchholz gezeigte Inszenierung von Jasmin Sarah Zamani, auch Chefdramaturgin des Hauses, eines jener dramatischen Beispiele für Allgemeingültigkeit und Aktualität. Der junge, aufstrebende Bertolt Brecht provozierte von Anfang an das bürgerliche Publikum, aus dem er selbst stammte, holte es von der konsumierenden in eine aktiv mitdenkende Positition, auch wenn das oft in tumultige Widersprüche ausartetete.

Der dreißigjährige Dramatiker, Lyriker und Theaterwissenschaftler war in den historischen Ereignissen des ersten Weltkriegs, der revolutionären Nachkriegsunordnung und der Weltwirtschaftskrise zum Gegner der bestehenden Ordnung und Anhänger der marxistischen Theorie geworden, was damals nicht zwangsläufig feststehende politische Doktrinen bedeutete, sondern die Zuwendung zu den unterdrückten und marginalisierten Schichten der Gesellschaft. Gleichzeitig gelangte er durch seine philosophisch-theaterwissenschaftlichen Arbeiten zur Abkehr von den antiken Grundsätzen des Aristotelischen Theaters, letztlich zu seinem epischen Theater. Zeigen wie die Welt funktioniert. Das geschah am besten am Gesamtkunstwerk der Oper, die selbst in starren Formen elitär geworden war. „Die Dreigroschenoper“, eine Antioper, beruht auf der Vorlage der „Bettleroper“ von John Gay und der congenialen Musik von Kurt Weill, der mit der alternativen Jazzmusik den Bruch zur „großen Symphonik“ vollzog.

Die Band unter den Leitung von Markus Teichler war exzellent aufgelegt und am großen Erfolg des Abends ursächlich beteiligt. Man versetze sich in die Entstehungszeit des Werkes, mit dem alles über den künstlerischen Haufen geworfen wurde und 5 Jahre vor dem Sieg des Faschismus auch schon dessen sogenannte Kunst- und Kulturprinzipien von Deutschtum, überbordendem hymnischen Gestus, die Frau nur als Gebärmodell für Krieger, Kampf gegen die sogenannte entartete Kunst und Rassenverfolgung, zuerst jüdischer Künstler. Die Zusammenarbeit Brecht-Weill war ein historischer Glücksfall. Die Handlung des Stückes schildert das Konkurrenzverhalten von Kräften der großstädtischen Unterwelt von Soho mit und gegeneinander, die sich anlässlich der Krönung der Königin bereichern wollen, dabei werden Familienbande genutzt und korruptes Verhalten von Staatsbediensteten, wie dem obersten Polizeichef, vorgeführt.

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Foto: Dirk Rückschloß/Pixore Photography

Die Besetzung der Rollen war Frau Zamani, die die Inszenierung als Koproduktion mit dem Landestheater Coburg durchführte, hervorragend geglückt. Die Kontrahenten  Macheath, Mackie Messer genannt, verfügt über seine Hurentruppe, die ihm viel Geld und Verbindungen einbringt. Benedict Friedrich, spielt den  jugendlicher Zuhälter mit dicken Schulterpolstern (Ausstattung: Aylin Kaip) mit Spaß an der  Herrschaft und Untergang als Kiezgröße souverän mit Leichtigkeit, Arroganz, aber auch Liebe zu seiner stets betrogenen Polly (Nadja Schimonsky), des Bettlerkönigs  Peachums (Daniel Minetti) Tochter. Die blüht mit ihren Songs nicht nur auf, sondern outet sich zur Aufklärerin des Abends, unterstreichen doch die Songs nicht einfach die Handlung, sondern lassen die Zuschauer zu den Inhalten saftiger Kapitalismus- und Verflechtungspolitik aufschließen. Dabei emanzipiert sich Jung-Polly-Nadja gleich noch von ihrem vereinnahmenden Vater. Ihr „Schiff mit acht Segeln und fünfzig Kanonen...“ transportierte Naivität und Kenntnis von Zusammenhängen zugleich.

Alle Songs sind zudem choreographiert, körperlich nachvollziehbare Verflechtungen und Empfindungen. Peachum, Pollys Vater, gespielt von Daniel Minetti, gibt den Ehemann seiner versoffen-offenen Frau Cecilia (Marie- Louise  von Gottberg mit einer wieder ihr eigenen „Hausnummer“, Charme und Exaltiertheit). Mit einer entwaffnenden Selbstverständlichkeit als Bettlerkönig, ausnutzend, ja erpressend und organsierend - die Armut als Verdienstmodell. Die Zuschauer kamen gar nicht dazu, sich zu fragen, wann der Mackie-Messer-Song gebracht würde, schon kam er anfangs  laut aus dem Vorhang. Gisa Kümmerling trug ihn vor, sie- schon lange zur eigenwilligen, lauten, derben , aber auch einfühlsamen Charakterdarstellerin entwickelt, hatte des Heft der Handlung in der Hand. Die immanente Böswillig- oder gar Gefährlichkeit der Figuren wie einst mit einem Wolf Kaiser im BE ist nicht erreichbar, aber eine andere Art von Ganoven, -bei dem einen wie dem anderen- und wie in der Realität oft gesehen: harmlos scheinend, doch knüppeldick.

So auch Auftritt, Gesten, Stimme des Brown - oberster Polizeichef: Marvin Thiede in Schwarz, ausgerüstet mit langen Armen des Gesetzes, die er mit sanfter Stimme nur zum Einsatz bringt, wenn es ihm nützt, ist Peachums Freund und Kumpan. Eine Charakterstudie. Dazu die Ganoventruppe, Zuhälter, Diebe, Gauner mit übergroßen Hüten, die Tarnung und Blickverdeckung zugleich: „Horch und Guck!“ Mimik nicht zu erwarten, auch nicht zwingend, doch gefährlich. Die Huren, sind heute nicht mehr das Schockierende im Stück, halt Sexarbeiterinnen und ausgebeutet wie alle. Brechts Sujet machte die Ausgestoßenen der Gesellschaft zu den Hauptakteuren und ihre Bosse sind genauso skrupellos wie die Politiker und Wirtschaftsbosse, die das bis heute nicht nötig hätten. Das, - der eigentliche Skandal bei der Uraufführung und bis heute. Das Bühnenbild zeigt verwahrloste, verschlungene Slums mit gut nutzbaren Spielflächen, die eigene Welt des Milieus.

Diese Inszenierung hat Erinnerungspotential. Der Erfolg der Aufführung lag auch in den Händen der langjährigen Schauspiel-Dramaturgin Silvia Giese, deren Werk wir hier gedenken, ihr frühes Ableben betrauern.

Eveline Figura

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