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Unverwüstlich und doch verletzbar
Die „CARMEN“ singt und liebt nun auch auf den Greifensteinen, die einen wundervollen Rahmen für die meistgespielte Oper der Welt bieten, aber auch Klippen mit einem gar zu modernistischen Textverständnis offenbaren.
Vor sieben Jahren hatte Bizets Meisterwerk im Eduard von Winterstein-Theater seine letzte Präsenz und kam am Samstag, dem 29. Juli 2017 als erfolgreiches Comeback auf die wundervolle Felsenbühne der Greifensteine (Regie: Ingolf Huhn). Mit diesem Pfund lässt sich wuchern, sagte sich der erfahrene Theatermann, und das zahlte sich als stimmungsvolle Kulisse unter der Reihe “Oper unter Sternen“ schließlich aus. Letztere funkelten vom Himmel, assistiert vom Spiel der Fledermäuse.
In der sehr kurz bemessenen Probenzeit vor der Premiere sah es nicht so rosig aus, gleich mehrere Sängerinnen erkrankten, der Himmel vergoss darüber eimerweise Tränen in der Endprobenwoche. Aber das Ensemble stand! Am Samstag jedenfalls (vielleicht hätte das die Generalprobe sein sollen, bei der Pech das Glück in der Premiere verheißt!) hielt das Wetter, aber beim ersten Höhepunkt, dem Auftritt des Toreros Escamillo (Jason-Nandor Tomory) versagte die Microport-Technik. Seine Stimme konnte nicht so schnell den Naturton hochfahren und der Effekt war dahin. Später traf er immerhin den zu seinem lyrischen Bariton passenden Liebeston, ein Stierkämpfer war er allerdings nicht. Der Don José des Frank Unger hatte zu Beginn allzu viele verhauchte Töne oder sie blieben im gar nicht strahlenden Bereich verborgen, so dass die Verliebtheit der Carmen sich wenig begründete. Zum Glück hatte Tatjana Conrad (a.G.) in der Titelpartie, die sie bereits vor sieben Jahren im Annaberger Haus sang, ihre schönen satten Töne nicht nur im Griff, sondern ihre Stimme hatte sich angenehm weiterentwickelt. Die verruchte Seite dieser Figur blieb allerdings noch im allzu sanften Hüftschwung versteckte.
Der Auftritt der Micaela (Lydia Ackermann, a.G.), ihre sanfte Gegenspielerin, ließ bereits mit schönen Cantilenen und glockenklaren Höhen auch im Duett mit Frank Unger aufhorchen. Im zweiten Teil konnte sie sich im stimmlichen Ausdruck, in der spielerischen Aktivität, in der Dramatik so steigern, dass diese oft unterschätzte Rolle zu einer Hauptfigur wurde und sie die erkrankte Bettina Grothkopf durchaus wertig vertrat.
Die Musik, wohltönend intoniert von der Erzgebirgischen Philharmonie Aue und präzise und einfühlsam dirigiert vom 1. Kapellmeister Dieter Klug, breitete sich über Bühnen und Felsen. Vielleicht war sie in den Tanzszenen manchmal etwas betulich, was dem Extraballett entgegen kam. Die Choreographie war von Kirsten Hocke, darin gelang im Wald von Sevilla auch bei Carmen dann spanisches Flair, wenngleich man ihrer grazilen Figur ein paar originalere Flamenco-Schritte hätte abverlangen sollen.
In diesem populären Werk könne viele Opernfans ganze Passagen mitsingen, vordenken, die Einheit von Handlung, Text und Musik emotional miterleben. Aber nicht mit diesem Libretto (Dramaturgie: Annelen Hasselwander): Was für grauslige Texte (Übersetzung: Bettina Bartz), die scheinbar an heutiger Realität geschult sind, kamen über die Lippen der Sänger, die diese sprachlich flachen Entgleisungen auch noch neu lernen und singen mussten. Womöglich fielen dafür auch noch Tantiemen an... Nicht nur dass diesen Worten die poetische, an die Musik angepasste Relevanz fehlte, sondern auch das Gefühl für heutige notwendige Lyrik im Kontext von Liebe und Tod. Anglismen wie z.B. „Lover“ sind in diesem besten Opernwurf Bizets gegenüber der französischen Originalsprache geradezu seicht und lächerlich.
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Gottseidank hat das farbenfrohe Spiel der Inszenierung, der gut eingespielte Chorgesang (Uwe Hanke), die Kostüme (Erika Lust) und das Bühnenbild mit angestrahlten Grenzpfählen (Tilo Staudte) viel wettgemacht. Großen Anteil daran hatten die ausgelassen agierende und singende Zigeunerin Frasquita (Madelaine Vogt) sowie die schöne Altstimme der Mercédès (Uta Simone a.G.), besonders im Kartenlege-Terzett mit Tatjana Conrad, die leider zeitweise ohne Scheinwerfer-Spot auskommen musste.
Viele Schmuggler kletterten nächtens halsbrecherisch über die Felsen, befehligt von ihrem tenoralen Schmugglerchef (Matthias Stephan Hildebrandt) und empfangen vom laut tönenden Schankwirt Lillas Pastia (Michael Junge). Welcher Kneipenwirt wird eigentlich schöner gewürdigt, als dieser in den Arien der Carmen? Der Schmuggler Remendado (Marcus Sandmann) darf dann auch noch tenoral von schönen englischen Piraten schwärmen... Die Soldaten und Offiziere, letztere in ansehnlicheren Kostümen als vor sieben Jahren, agierten streng, aber wenig glaubhaft, eben mehr mit den Mädels aus der Zigarettenfabrik befasst. Ihr Leutnant Zuniga (László Varga) hatte immerhin seinen sonoren Bass respektvoll ins Feld zu führen, ehe er auf einer Bank gefesselt, von den Pascher-Zigeunern in der Pause so auf der Bühne vergessen wurde.
Dass vor der Pause auch noch die Beleuchtung im Zuschauer-Raum ausfiel, gehörte zu den Unwegbarkeiten des Abends, sorgte aber dafür, dass die Technik sich unter Beweis stellen konnte. So dampfte die Stierkampfarena denn auch in Grün, die Felsen in Gelb und Rot, ein Feuerwerk an Farben. Carmen und ihr José gelangen dann auch stimmlich und spielerisch überzeugende Dramatik. Frank Unger konnte heldische Verzweiflung singen, Tatjana Conrad gebar auch endlich dramatische Höhen und gestaltete die Carmen als eine um Freiheit kämpfende Frauengestalt. Allzu schnell brandeten dann nach Tod und Tragik in Handlung und Musik der Applaus auf. Auch das Publikum sollte lernen, Gefühle zuzulassen und einen Moment verharren zu können (insbesondere die Theater-Claque).
Die Leistungen der KünstlerInnen wurden zu Recht mit viel Beifall honoriert, und die zahlreichen Besucher genossen die berühmte, wundervolle und unsterbliche Musik des Musikdramas von Georg Bizet auf unserer zauberhaften Felsenbühne.
Eveline Figura
Nächste Vorstellungen: Fr., 11.8., 21.00 Uhr, Sa., 19.8., 20.00 Uhr, Sa., 26.8., 20.00 Uhr. Fotos: Dirk Rückschloss
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