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Euch rettet nur der eigne Fleiß

Über Deutschlands Weihnachtsland – das Erzgebirge

Seit dem 1. Advent flimmert es wieder aus allen Fenster in den Städten und Dörfern des sächsischen Mittelgebirges. Denn längst hat die Weihnachtstradition das ganze Vogtland mit erfaßt, die Lausitz kennt die schönen mit Lichtern bestückten Schwibbögen, deren Form den Eingang zum alten dunklen Silberbergbau adaptiert auch seit vielen Jahren. Die Zeit der Renaissance war wohl die glänzendste des “Silbernen Erzgebirges“, wo die Bergherren und der Dresdner Hof reich wurden und damit das spätere barocke Dresden und seine schlossreiche Umgebung an Pracht kaum zu übertreffen waren. Die armen Bergleute, aus allen Nachbarländern zuströmend, hatten indes die unsäglich schwere, gefährliche Arbeit, von der man heute weiß, dass nicht nur mehr als 16 Stunden am Tag geschuftet werden mußten, sondern dass viele Knappen die ganze Woche tief Untertage blieben. Sonst hätte sich der mühselige Abstieg zu den Stollen und der Aufstieg von den Flözen nicht gelohnt. Übrigens daher kommt auch der Name des heute in alle Welt verschickten Weihnachtsgebäcks, des Christ- oder Weihnachts-Stollens, wo man das ganze Jahr teure Zutaten aufsparte, um ihn besonders schwer und saftig zu bekommen.

Glück Auf! - der Gruß der Bergleute

Das Licht war für die Bergleute die Hoffnung, das Tageslicht gesund wiederzusehen und in der dunklen Jahreszeit die Kreutzer übrig zu haben, um sich genug Talglichter für den Heiligen Abend leisten zu können. Tiefe Frömmigkeit, sehr früh überwiegend schon protestantisch, hatte hier nichts zu tun mit Kirchenrutscherei, sondern gab ihnen ganz praktisch Hoffnung. Das Märchen vom Stern von Bethlehm erzählt davon. Ein kleines Kind, arm wie die Gebirger vielleicht überall, sollte sie später im Himmel in Empfang nehmen und für Entbehrungen endlich belohnen mit einem Leben ohne Mangel für die ganze Familie.

Der Mangel blieb Tischgast, wovon auch der später berühmt gewordene Erzgebirger Karl May aus Hohenstein-Ernstthal berichtet, der sich durch seine Phantasie aus dem Elend erheben konnte. Die oft hungernden, in extremer Knochenarbeit schindenden “Kumpel“, -ein Ausdruck aus der Zeit des späteren Uranbergbaus unter sowjetischer “Regie“ hatten oft mit den sich ändernden Wirtschaftsverhältnissen zu kämpfen, modern Strukturwandel genannt. Plötzlich endeten die Silbervorkommen.

Männeln, wohin man schaut

Die Menschen griffen zum Nächstliegenden: Den dichten Wald vor der Tür. Kreativ gestalteten die Bergmänner Bildwerke von sich selbst. Sie schnitzten oder drehten (drechselten) die Figuren zu Bergmann und Engel, die keine verklärten Barockfiguren mehr waren, sondern aussahen wie die Hausfrau, Lichter tragend, - ihr Hoffnungssymbol in den Händen. Andere Figuren kamen hinzu, denn Phantasie hat keine Grenzen: Der Nußknacker, dem schon Hans Christian Andersen mit dem Märchen “Nußknacker und Mausekönig“ ein Denkmal setzte. Der Nußknacker mit Holzkopf und großer “Gusche“ wurde gleich als Karikatur auf den preußischen Korporal in blauer Uniform gestaltet. Eine kleine Rache des Volkes auf die Preußen, die unterm alten Fritz Sachsen besetzten.

Weiter finden wir allerlei lustige Wichtel des Waldes, Schäfer oder gemütliche Handwerker, alle Pfeife rauchend. Dafür haben sie ein “Loch im Bauch“. Das haben ihnen diesmal nicht die Ehefrauen hineingeredet, sonder da kann man Weihrauchkerzchen hinein stellen, damit aus dem Mund richtiger Rauch kommt, - Räuchermänneln also! Manchmal auch deren Frauen, bei denen es dann aus der Kloßschüssel qualmt. Noch 1912 bekam man für ein Schock (60 Stück) kleiner Holzpferdchen für die Bauernhofausstattung reicher Kinder höchstens 50 Pfennige. Das alles kann man im Seiffener Spielzeugmuseum genau betrachten. Dazu staunt man über das bildliche Abstraktionsvermögen bei der rationellen Herstellung im Reifendrehverfahren. Es werden Profile in den Rohreifen geschabt, gedreht und danach wird der Reifen wie eine Torte in Scheiben geschnitten, die dann die Grundform von verschiedenen Tieren haben.

Seiffen gilt als Hauptstadt des Spielzeuglandes

Es boomt hier oben in dieser Ecke des Erzgebirges. Wie überall stehen die Männeln in den “Kunstgewersche“-Läden“, wie man hier dieses Gewerbe in der Mundart bezeichnet. Denn endlich kann jeder Betrieb so viel herstellen und verkaufen wie er will. Zu Ende ist die Zeit, als die Kostbarkeiten zu billig für Devisen nach “Plan“ in den Westen verhöckert wurden. Die damalige Vollbeschäftigung im Sozialismus hatte den Preis, dass von den Kostbarkeiten in den heimatlichen Läden kaum was zu bekommen war oder nur hintenherum gegen Trabi-Reifen als Tauschgut für die, die an der “Quelle“ saßen. Der Mangel förderte aber die Privatbastelei heraus, und wer nur halbwegs mit dem Schnitzmesser oder der Drehbank umgehen konnte, produzierte Männeln oder Schwibbögen zum Privatverkauf. Nicht alle waren schön oder haltbar, aber schöner als die heutigen Hong-Kong-Attrappen allemal. Seiffen zeigt, neben den unzähligen Werkstätten, Läden und Ausstellungen auch die Wohnstätten aus früherer Zeit in einem Freilichtmuseum mit Originalhäusern, deren bescheidener, aber mit schönen selbstgestalteten Details die Einrichtung wohnlich wurde.

Das Erzgebirge ist das deutsche Weihnachtsland. Durch Seiffen strömen Mensch, die mit Bussen anreisen; sie gönnen sich den Rummel mit den vielen Läden und Einkaufsmöglichkeit und “dem Gliehwein und der Brootwurscht“ danach. Fahren sie aber zurück nach Marienberg, Freiberg, Schwarzenberg oder Annaberg-Buchholz mit ihren kleinen Weihnachtsmärkten, staunen die Besucher über die großen spätgotischen Hallenkirchen, wo der erzgebirgische Engel und Bergmann gleich neben dem Taufbecken steht, wie in der St. Annen-Kirche zu Annaberg. Diese mächtigen Kirche sind auch Zeichen des damaligen Aufschwungs.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

Das Erzgebirge glänzt zur Weihnachtszeit. Dahinter kämpfen wieder Menschen um ihren Platz im Leben wie vor Jahrhunderten. “Harz IV“ bringt hier noch immer zu viele Leute in Bedrängnis. Aber auch sie werden wieder Wege aus der Beschränkung finden müssen, - auch wie in den Zeiten davor. Tun Sie sich und den Einheimischen etwas Gutes, wenn sie oben im Gebirge sind, und kaufen Sie diese originale, geschnitzte, gedrechselte oder geklöppelte Volkskultur aus Deutschland, - auch dann, wenn diese einen deutschen Preis hat. Dann bleiben Chancen zum Weiterkommen in einer Region. Tourismus wünscht man sich hier - wie zur Weihnachtszeit, wo schon seit Monaten kaum ein freies Zimmer in den neuen Hotels und Pensionen zu bekommen ist – aber eben das ganze Jahr über. Das wäre auch eine Lösung.
Und “Der alte Holzmichel“ der Musikgruppe “Randfichten“ lebt (oder nervt) dann auch in der nächsten Saison weiter...

 

Anna Berg

Weihnachten 2001 für die deutschsprachige Zeitung Ungarns PESTER LLOYD geschrieben.

 

 

 

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