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Heimat aus dem Karton

Vom stillen Glanz der Puppenstube in der Weihnachtszeit

Wird es adventlich in der Welt und noch adventlicher bei uns im Erzgebirge, zieht es mich in die Bodenkammer, um nach verstaubten Kartons zu suchen, die, wie ich, schon ein paar Jahrzehnte auf dem sorglich durch Haltung getarnten Buckel haben. Im Pappkarton aus einer erzgebirgischen Kartonagenfabrik der Jahrhundertwende befindet sich Gerettetes aus einer längst vergangenen Welt: eine Puppenküche nämlich, die Großvater noch selbst gebaut hat. Ein gelb gebeizter Küchenschrank mit neun Türen und Kästen, grünen Scheibengardinen an den Glasfenstern, ein Abwaschschrank, die Ofenbank mit Klappsitz, Tisch mit Schublade, Stühlen und Tausenderlei an Kleinigkeiten wie Geschirr, Waschgarnitur, Besteck - und am Schluss kommen dann endlich die Puppen zum Vorschein. Etwas vorwurfsvoll hängen sie auf den Stühlen herum, weil Frisuren und Kleider längst altmodisch sind und auch noch zerknautscht und etwas angestaubt. Aber ein bisschen Patina muss sein...

Diese alte Frische steht meinen Erzgebirgern aus den Kartons übrigens vorzüglich. Hör ich doch sogleich Geflüster aus den Fächern und Gegenständen. “Paß ner e weng auf! De Puppenstub is doch noch vu dr Ohm!” Und noch heute habe ich die Freude des kleinen Mädchens in mir, die mit diesen winzigen Herrlichkeiten umräumen, abwaschen, Kaffeetisch decken, ja, sogar kochen durfte. Längst sind die feinsten Gegenstände von ihnen in einen auch schon wieder aus der Mode gekommenen Setzkasten gelandet, denn mittlerweile ist manches vom Gebrauchs- zum Wertgegenstand mutiert, und der alte Kasten aus einer noch älteren Druckerei ist in der Hutznstub so etwas wie die Puppenstube fürs ganze Jahr geworden.

Warum stand meine eigentlich immer nur Weihnachten in der Wohnung? Nicht so, wie die heutigen High-Society-Puppen-Villen, die das ganze Jahr über im Kinderzimmer verstreut sind. Vielleicht weil früher nur wenige Kinder ein eigenes Zimmer hatten und die Wohnungen klein waren. Nur wenn der kalte Winter mit viel Schnee und Kälte und zeitiger Dunkelheit die Menschen im Zimmer hielt, war diese Spielwiese als Dopplung heimischer Gemütlichkeit so recht nach dem Sinn von uns Kindern. Manchmal wurde die Puppenstube auch erst wieder unter dem Tannenbaum sichtbar, mit neuen Vorhängen oder - wie bei mir zu Hause - mit neuer blau-weiß gestickter Tischwäsche, passend zu dem winzigen aus Holz gedrechseltem Kaffeeservice, - blau mit weißen Punkten und Eierbechern mit braunen Eiern aus dem Spielzeugdorf Seiffen.

Und noch eine Wirkung hatte die alljährliche Wiedererweckung: Jedesmal war die alte Pracht wieder wie neu und doch auch wie der zärtliche Gruß, den man aus jener Zeit bekam, als die Oma noch lebte. Als sie mit der gestärkten Schürze und dem frischen Duft von Bohnerwachs und Bohnenkaffee oder Butterbrötchen zum Kakao durch das Weihnachtszimmer schwebte.
Etwas stiller wurde es dann in den puppigen vier Wänden stets nach den Feiertagen, wenn im Schnee die neuen Schneeschuhe, der Schlitten oder die Schlittschuhe ausprobiert werden mussten. Denn selbstverständlich waren alle Weihnachten früher weiß. Wenn ich heute - und nicht etwa meine Tochter - jedes Jahr im Advent meine Puppenstube auspacke, stelle ich alles so wie immer an seinen angestammten Platz.

Die Töpfchen, Schälchen und Kleider dürfen ihren Staub behalten. Denn Spülen, Waschen oder Bügeln würden den Weihrauchzauberduft mit fort nehmen, der über der Erinnerung liegt. Aus demselben Grunde wird auch der alte Karton immer vorsichtig behandelt, behütet er doch jenes Stück Heimat lebenslänglich...

 Eveline Figura