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Erzgebirgische Weihnachtspyramiden
Zur Geschichte einer alten Tradition, die in dieser Region entstand und sie prägte sowie Bemerkungen zur neuen Markt-Pyramide, die 2014 ihren 20 Geburtstag feiern kann.
Die bergbaulichen und christlichen Traditionen der Erzgebirgsregion werden am Beispiel der Pyramide ganz besonders deutlich. Die ersten Pyramiden wurden dem Pferdegöpel nachempfunden, einer bergbaulichen Anlage, mit der man einst das Erz ans Tageslicht förderte. Innerhalb eines Gestells, das meist aus vier tragenden Balken errichtet war, trieben Pferde eine senkrecht stehende Welle an. Über eine komplizierte Mechanik wurde die Kraft auf die eigentliche Fördereinrichtung, das Seil mit dem Erzkübel, übertragen. Die erzgebirgischen Bergleute, die in ihrer knapp bemessenen Freizeit oft holzgestalterische Arbeiten ausführten, wählten gern dieses Motiv für die Gestaltung ihres weihnachtlichen Schmuckes.
In der Anfangszeit war die Pyramide ein einfaches Gestell, das aus vier, mit Zweigen umwickelten Hölzern bestand. Mit Kerzen bestückt - früher mit Rüböllämpchen - ist sie seit etwa 1800 nachweisbar. In der Folge entwickelten erzgebirgische Schnitzer und Drechsler aus dieser Urform die Drehpyramide. Einflüsse des Zeitgeschmacks, verschiedene Stilrichtungen und der Einfallsreichtum der Schöpfer sorgten dafür, dass sich aus der Grundform eine breite Vielfalt von Pyramiden entwickelte. Sakrale und orientalische Motive, Waldszenen sowie bergmännische Darstellungen wurden dabei am häufigsten gewählt.
Der Glaube der Bergleute wurde durch die Aufstellung von Figuren, die mit der Christgeburt im Zusammenhang standen, auf den Drehtellern dokumentiert. Maria und Joseph, Hirten und Engel fanden und finden sich auf den meisten Pyramiden wieder. In Frohnau, dem heutigen Ortsteil von Annaberg-Buchholz, wurde 1933 die erste Freiland-Weihnachtspyramide des Erzgebirges aufgestellt. Diesem Beispiel folgten viele erzgebirgische Orte und schmückten ihre Märkte und Zentren mit diesem attraktiven Weihnachtsschmuck. Ein Nachbau der ersten Weihnachts-Freilandpyramide der Welt ist in diesem Jahr im Annaberger Rathaus zu besichtigen.
Annaberger Pyramidenanschieben
Jedes Jahr lädt am Freitag vor dem 1. Advent um 17.00 Uhr ein einmaliges Ereignis nach Annaberg-Buchholz ein, das man in dieser Form nur in der Erzgebirgsstadt erleben kann. Die große 10,5 Meter hohe Marktpyramide wird „lebendig". Symbolisch steigen die geschnitzten Figuren von ihrem Sockel herunter und stellen sich den Besuchern vor. Gleichzeitig eröffnet Oberbürgermeisterin Barbara Klepsch den Annaberger Weihnachtsmarkt. 2012 feiert Annaberg-Buchholz ein kleines Jubiläum: Seit 20 Jahren gibt es die neue Annaberger Marktpyramide. Am 4. Dezember 1992 wurde das Wahrzeichen des Annaberger Weihnachtsmarktes offiziell seiner Bestimmung übergeben. Das Auftragswerk der Stadt Annaberg-Buchholz ist eine Gemeinschaftsarbeit ortsansässiger Künstler, Handwerker und der Kommune. Die Grundidee für die Pyramide kam von Holzbildhauer Volker Gräfensteiner. Die Metallbauarbeiten übernahm die Firma Maschinenbau Leibelt aus Annaberg-Buchholz. Sie fertigte auch den Antrieb. Um Beplankung und Dach kümmerte sich die Annaberger Holzkunst GmbH. Die Beleuchtung installierte die Elektrofirma Dieter Schulze aus Annaberg-Buchholz. Koordiniert wurden die Arbeiten damals von Kommunalamtsleiter Günter Hofmann sowie Marktmeister Peter Fischer. Die Pyramide, die im Sommer 1992 von der damaligen Stadtverordnetenversammlung beauftragt wurde, ist der Nachfolger einer Freilandpyramide, die im Volksmund auch „Bohrturm“ genannt wurde. Mit ihren gedrechselten Figuren, die spiralförmig um die Welle angebracht waren, erinnerte sie an die Geschichte von Stadt, Bergbau und Erzgebirge.
Die Schöpfer der neuen, etwa 10,5 Meter hohen Annaberger Marktpyramide mit ihren meisterhaft geschnitzten Figuren verbanden die Historie von Stadt und Region mit erzgebirgischen und christlichen Traditionen. Bezüge zum Bergbau finden sich ebenso wie christliche Motive, die auf die Advents- und Weihnachtszeit hinweisen. Am Sockel der Marktpyramide schuf Holzbildhauer Klaus Giese einen geschnitzten Adventskalender. Vier große Holzreliefs zeigen Szenen der biblischen Weihnachtsgeschichte. Bildlich dargestellt sind die Verkündigung der Engel auf dem Hirtenfeld, die Ankunft der Weisen aus dem Morgenland und die Geburt Jesu Christi im Stall von Bethlehem. Die meisterhaft gestalteten Figuren auf den Drehtellern schuf Volker Gräfensteiner, ein äußerst begabter Annaberger Künstler. Sein Anliegen war es, mit der Pyramide auf historische Persönlichkeiten sowie erzgebirgische Traditionen hinzuweisen. Kunstmaler Günter Kreher aus Wiesa gestaltete die Figuren farblich.
Auf der Annaberger Marktpyramide finden sich der wettinische Herzog Georg der Bärtige, der am 21. September 1496 die „Neue Stadt am Schreckenberg", das spätere Annaberg, gründen ließ, in trauter Gemeinschaft mit dem deutschen Rechenmeister und Bergbaugelehrten Adam Ries, der von 1522/23 bis zu seinem Tod im Jahr 1559 in der Erzgebirgsstadt wirkte. Eine Reverenz erweist man der ersten deutschen Montanunternehmerin und Bortenverlegerin Barbara Uthmann, die im 16. Jahrhundert von Annaberg aus maßgeblich zur Entwicklung des Montanwesens und zur Verbreitung des Bortenwirkens beitrug. Mit der Darstellung Daniel Knappes -alias Caspar Nietzelt- wird des großen Silberfundes am 28. Oktober 1491 gedacht, der zur verstärkten Besiedlung der Region und zur Stadtgründung von Annaberg führte. Darüber hinaus findet sich mit der heiligen Anna, die Namensgeberin der Stadt, auf der großen Marktpyramide. Mit Georgius Agricola ehrt man einen Bergbaugelehrten, der mit dem berühmten Buch „De re metallica“ im 16. Jahrhundert ein Grundwerk für das gesamte Montanwesen schrieb. Außerdem sind typische Handwerker, wie z. B. Bergmann, Posamentierer und Klöpplerin auf der Annaberger Marktpyramide dargestellt. Beide Holzbildhauer, Klaus Giese und Volker Gräfensteiner sind inzwischen verstorben.
Matthias Förster
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