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Sternstunden
Über die Herkunft des Adventssterns
Dass es in Buchholz auch in diesem Jahr wieder einen kleinen Weihnachtsmarkt geben wird, kann mit großer Freude begrüßt werden. Versuche in den 30er und dann noch einmal in den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts, für ein paar Tage vor Weihnachten Buden um die Katharinenkirche – und später dann auf dem Platz unterhalb – zu gruppieren, waren nicht von langer Dauer. Die meisten Einwohner der Terrassenstadt gingen nach Annaberg hinüber, und die Buchholzer Händler machten kaum Umsatz. Höchstens mit ihren Faltsternen, die gab es damals schon sowohl dort als auch hier. Schließlich verbirgt sich hinter dem Aufhängen des weißen – später roten – Sternes in der Adventszeit eine über 160-jährige Tradition. Entstanden ist dieser Brauch zwar nicht im Erzgebirge, wegen der wunderbaren Lichtbesessenheit unseres Gebirgsvolkes, hat er aber hier wahre Sternstunden erlebt.
Herrnhuter Zöglinge basteln ihren Stern
Etwa um 1722 gründeten Nachfahren der so genannten Brüder-Unität (heute eine Evangelische Freikirchliche Vereinigung mit ausgeprägter Missionstätigkeit), die während der katholischen Gegenreformation ihre Heimat in Böhmen und Mähren verlassen mussten, auf dem Gut des Grafen von Zinsendorf in der Oberlausitz unter der „Hut des Herrn“ den Ort Herrenhut. Während sich die Mitglieder in ganz Deutschland, aber auch im Ausland ihrer Missionsarbeit widmeten, erhielten ihre Kinder in den Gemeinde-Internaten eine für die damalige Zeit beachtenswerte Schulbildung. Dabei stand das Fach Mathematik mit im Zentrum der Ausbildung, insbesondere aber Geometrie. Um das räumliche Denken in diesem Fach zu schulen, ließen die Lehrer aus weißer Pappe und Papier Kegel- und Pyramidenformen basteln, die dann auch zu Sternen zusammengefügt wurden.
Ein Lehrer kam anlässlich eines Schuljubiläums zu Beginn des 19. Jahrhunderts auf die Idee, solch einen Stern – ähnlich wie einen Lampion – von innen zu beleuchten. Im Jahre 1894 eröffnete dann Pieter Hendrik Verbeek in Herrenhut einen Laden, in dem er Bastelbögen für die Sterne mit ihren 25 Ecken verkaufte. Und so nahmen die Herrenhuter Missionare ihre Sterne auf allen Wegen mit, verbreiteten sie über die ganze Welt, und begründeten eine stabile Tradition in Deutschland, Sachsen und ganz besonders im lichthungrigen Erzgebirge. Allerdings erstrahlte der Herrenhuter Stern zunächst nicht zur Adventszeit, sondern leuchtete den Heiligen Drei Königen vom 25. Dezember bis 6. Januar (bzw. vom 4. bis 6.12., dem Dreikönigsfest) den Weg zur Krippe im Stall von Bethlehem. Erst mit der weiteren Ausprägung der Marktwirtschaft um 1920 begann man in sächsischen Warenhäusern den Stern – zunächst noch in weißer Farbe – bereits ab den 1. Advent als weihnachtliches Lockmittel zu installieren. Später dann tauchte er auch hier und da als roter Stern, oder rot mit gelben Spitzen, auf. Durchgesetzt hat sich aber der rote Stern.
Sternstunde
Vielleicht war das ein Grund mit, dass dieser selbst zu DDR-Zeiten produziert werden und zu Weihnachten erstrahlen durfte. Nach 1945 wurde der von Verbeek gemeinsam mit der Herrenhuter Brüder-Unität gegründete Betrieb enteignet und zunächst unter staatlicher Kontrolle gestellt. Die VEB Oberlausitzer Stern- und Lampenschirmfabrik produzierte nun ganzjährig diesen früheren Saisonartikel. Ungewöhnlich für die damalige Zeit war, dass eine Art Rückübertragung des staatlichen Betriebes am 1. Januar 1969 an die Brüder-Unität erfolgte. Der Herrenhuter Stern ist patentiert, deshalb hat man sich in anderen Gegenden Sachsens ab 1924 für den Faltstern entschieden, bei dem die Zacken nicht mehr in mühevoller Bastelarbeit eingesteckt werden müssen, sondern das Teil nur noch mit einem Handgriff zu einem Sterne-Lampinon aufgeklappt werden muss. Eine kleine elektrische Lampe im Inneren sorgt für das Erstrahlen des Sterns zur Adventszeit.
Die Buchbinderei Kraft (ehemals in Buchholz ansässig) hat solche Sterne auch zu DDR-Zeiten – wegen Mangel und großer Nachfrage - unterm Ladentisch angeboten. Hier gab es sogar ein Modell, das zum Zusammenstecken war und damit dem Herrenhuter Stern (mit weniger Zacken) entsprach. Erst später war sowohl der Bastel- als auch der Faltstern – mitunter – im Angebot. Die Firma Kraft blickt auf eine lange und traditionsreiche Geschichte mit einem großen handwerklichen Erfahrungsschatz zurück. Nach der politischen Wende sah man zunächst dort keine Sterne mehr leuchten. Seit 1996 hat die Buchbinderei Kraft die Herstellung der bekannten Faltsterne wieder aufgenommen. Für ab um die 20.- Euro kann man nun dort und auf vielen Weihnachtsmärkten des Erzgebirges ihre Adventssterne in verschiedenen Varianten kaufen: Rote, gelbe, rot-gelbe, gelb-rote…
Lassen wir uns von ihnen – nicht nur auf dem Buchholzer Weihnachtsmarkt – in der Dunkelheit den Weg zeigen, wie es einst der Stern von Bethlehem mit den Weisen aus dem Morgenlande getan haben soll. Es darf uns dieser besondere Stern auch daran erinnern, dass er einst von politisch Andersdenkenden, echten Protestanten, arbeitsamen Fremden – und heute auch von Behinderten – im Exulanten-Ort Herrenhut entwickelt wurde, auf dass er uns immer wieder angenehme und nachdenkliche Sternstunden bereiten und – nicht nur zur Weihnachtszeit – auch diesbezüglich erleuchten möge. Schließlich heißt eine der Losungen, die von der Brüdergemeinde täglich heraus gegeben werden: „Die Fremdlinge sollt ihr nicht unterdrücken; denn ihr wisst um der Fremdlinge Herz, weil ihr auch Fremdlinge in Ägyptenland gewesen seid.“ (2.Mose 23,9)
G.B.S.
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