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Wenn´s drinnen wieder tümelt...

Ästhetische Umweltverschmutzung im Erzgebirge - nicht nur zur Weihnachtszeit, aber da besonders.
Eine noch immer aktuelle Betrachtung zum Umgang mit unserer heimischen Folklore nach über 20 Jahren.

"Das kann doch wohl nicht wahr sein, jetzt spieln die schon das Feierohmd-Lied auf der Elektronenorgel!" - so empörte sich neulich - leider wieder nur halblaut - ein alter Heimatfreund auf einer der zahlreichen Erzgebirgsveranstaltungen in Annaberg. Meine Versuche, ihn mit dem Hinweis auf die vielfältigsten Formen von Adaptionen und mehrfachen Veränderung des Originals in der Geschichte der Volksmusik zu beruhigen, führten zu keinem Erfolg. Letztendlich hat der Mann jedoch mit seiner Empörung völlig recht. Immer häufiger treten Erzgebirgs-Gruppen vor einheimischen Publikum oder vor Touristen auf, die, entweder aus Unvermögen oder aus Unkenntnis, unsere erzgebirgische Volksmusik in unverantwortlicher Weise "vertümeln". Diese Art von Tümelei hat oftmals ihre historischen und aktuellen Wurzeln in der geschäftsmäßigen Anpassung an den tatsächlichen oder vermeintlichen musikalischen Zeitgeschmack unkritischer Massen.Musik Erezgebirge 3 (Andere)

Das, was in den kleinen, oftmals intimen Veranstaltungen - wofür sich unsere Erzgebirgsfolklore zu großen Teilen besonders eignet - vereinzelt in vertümelter Form angetroffen wird, setzt sich in den großen "Volksmusik-Paraden", wo "Alles singt" wenn "Die Musik kommt", in aufdringlicher Weise fort und hat auch schon versucht, sich in TV-Sendungen und Life-Veranstaltungen wie ins großmütterlich umsorgte “So klingt´s bei uns im Arzgebirg” einzuschleichen.
Immer seltener trifft man in solchen Medien-Spektakeln das echte, in Mundart original gesungene erzgebirgische Volkslied an. Viel häufiger handelt es sich bei dem dort Dargebrachten um Surrogate mit stark volkstümelndem Charakter, die sich den Schlager-Hörgewohnheiten in vermarktungsgerechter Weise anpassen und diese erbarmungslos bedienen. Allerdings gibt es auch eine Reihe von Gruppen, und es wird wahrscheinlich noch die Mehrzahl sein, die sich bis jetzt einem solchen Gebaren erfolgreich widersetzen konnten. Sie bewahren und pflegen eine Musik, die tatsächlich meistenteils im Volke selbst entstanden ist, von Musikern, Sängern und Musikfreunden aus dem Erzgebirge so und nicht anders empfunden und aufgeschrieben wurde. Eine Musik, die ihre Wurzeln in unserer Heimat hat und nur so die Befindlichkeiten ihrer Bewohner in ihrer spezifischen Klangwelt, mit einem tradierten Instrumentarium, zum Ausdruck bringt. Ihre geniale Einfachheit, manchmal auch Einfältigkeit, ermöglichen ihr jene vielfältigen und durchschaubaren Strukturen in Harmonie, Melodie, Rhythmus und Text.
Dazu kommt eine anderwärts immer seltener werdende Besonderheit - nämlich der fast durchgängige Gebrauch der erzgebirgischen Mundart. Dies zusammen als wertvolle Nähe zum Volk begriffen und in den Veranstaltungen praktiziert, kann unsere Volksmusik lebendig erhalten und sie vor einer volkstümelnden Vermarktung, wie dies leider in unseren Nachbargebirgen zunehmend der Fall ist, zu schützen. Dabei ist das Vogtland derzeit einer der größten Schauplätze jener doppelten Tümelei.
Stefanie Hertel heißt die junge, durchaus begabte Dame, die, aus Oelsnitz/i.V. kommend, 1992 den "Grand Prix der Volksmusik" nicht etwa mit einem Lied aus ihrer Heimat gewinnen konnte, sonder vielmehr mit der unbewiesenen bayuvarischen Behauptung: "Über jedes Bacher'l geht a Brücker'l" recht deutlich den eigentlichen Ernst der Situation besungen hat.Musik Erzgebirge 1 (Andere)

Schon in den 50er Jahren haben sich beherzte und engagierte Verfechter der echten Volksmusik im Thüringer Wald gegen den millionenschweren Nationalpreisträger der Deutschen Demokratischen Republik, den Volkstümler Herbert Roth, zusammengetan. Es bestand dort die Gefahr - und sie ist keineswegs gebannt - daß die noch vorhandene, echte Thüringer Volksmusik (selbstverständlich auch in Mundart) von einer mediengerechten Tümel-Welle platt gemacht wird.
Neuerliche Versuche, jene Altlast aus DDR-seligen Zeiten, mit einem "Herbert-Roth-Festival" wiederzubeleben, haben nicht den gewünschten Erfolg hinsichtlich der ästhetischen Festschreibung eines falsch verstandenen Konservatismus gebracht.
Man kann es bedauern, aber es ist nun mal Tatsache, daß deutsche Volksmusik und Folklore in der Welt hauptsächlich mit der aus bayerischen Landen identifiziert wird. Eine regionale Differenzierung kommt dabei nur äußerst selten vor.
Unser vogtländisches "Wunderkind" wird deshalb auch nicht etwa von seinen mitträllernden Vater angehalten, für das vogtländische Heimatlied im internationalen Maßstab eine Lanze zu brechen - nein, vielmehr läßt man ihr von den Autoren eines schon reichlich vermarkteten anderen Kinderstars, merkantile bayerische Schmarrn (die ihrerseits auch nicht der dortigen Folklore unbedingt zuzuordnen sind) auf ihr noch zartes vogtländisches Gemüt schmieden.

Selbstverständlich hat die Vermarktung von talentierten Kindern durch geschäftstüchtige Erwachsene eine lange, teilweise unrühmliche Tradition. Sie beginnt nicht etwa erst mit der frühzeitigen Ausstellung der musikalischen Fähigkeiten des kleinen Wolfgang'l durch dessen Vater Leopold Mozart. Nur war das Ausmaß auf die damit einhergehende Zurückdrängung und Vernichtung tradierter musikalischer Werte zu keiner Zeit so groß wie heute. Und die künstlerischen Ergebnisse waren damals auch andere, wie die Weltmusikgeschichte bewiesen hat...

Die Ursachen für unsere Folklore-Beschädigung (nicht nur in der Musik!) sind vielfältig: An erster Stelle aber scheint auch hier das schnelle Geld zu stehen, selbst um den Großen Preis, der echten Volksmusik wissentlich irreparable Schäden zuzufügen. Die rücksichtslose Durchdringung der kleinen lokalen Räume - in denen noch echte Volksmusik als wesentlicher Bestandteil eines wertvollen und bewahrenswerten Brauchtums gepflegt wird - mit scheinbar attraktiven Wohlstands-Segnungen sowie die verzerrte Widerspieglung der wirklichen Erzgebirgs-Welt in den elektronischen Medien, sind vermutlich ein weiterer Grund für eine zunehmende Hinwendung zur Künstlichkeit und "Tümelei", zum krampfhaften Anschluß an die große (Schein)Welt in unseren Breiten. Und schließlich wird es die viel zu stille, die häufig nur private Empörung sein, jene auch in anderen Bereichen derart unkritische Verkonsumierung durch zu viele Erzgebirger - sowie ein gewisser Geschmacks-Bildungsnotstand -, die dieses Tun und Treiben vor unser aller Augen und besonders Ohren zuläßt.

Was mag wohl in einem zukünftigen Touristen vorgehen, der unser schönes Erzgebirge bereist und neben der Vielzahl bayerischen Bieres nun auch noch Lieder aus dem weiß-blauen Land als erzgebirgs-typisch vorgesetzt bekommt, oder Anton-Günter-Lieder vom Keyboard begleitet hören muß?
Nichts etwa gegen das Volk der Bayern und noch viel weniger gegen ein musikalisch gut beherrschte elektronische Orgel. Und am allerwenigsten etwas gegen die geschäftstüchtige Stephanie Hertel und ihre unbedarften Fans.
Aber alles gegen die rücksichtslose Vermarktung=Vernichtung traditioneller Werte durch volkstümelnde Lobbyisten, wie sie sich mal schrill-dynamisch, dann wieder diabolisch-lockend, - und nicht selten sogar im ehrwürdigen Bergmannshabit - auch durch unsere Erzgebirgsheimat tümeln.

Ehrliche, kritische und aktive Heimatliebe scheint ein wirksamer Schutz zu sein, um diesen ästhetischen Umweltverschmutzern den weiteren Weg in unser Gebirge zu verrammeln, - und das nicht nur zur Weihnachtszeit!

g.b.s. (1995)

 

 

 

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