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Annabergs „Neuer Mozart“
Am 7. April 2013 wird die Komische Oper „Der Löwe von Venedig“ vom Annaberger Komponisten PESTER GAST erstmals in dessen Heimatstadt eine anspruchsvolle, heitere und musikalisch überraschende Inszenierung erleben. An diesem Abend wird in einer kurzen Festveranstaltung auch an den 120. Jahrestag der Eröffnung des Annaberger Theaters am 2. April 1893 mit Eduard von Winterstein in der Rolle des Egmont erinnert werden. Am Ostermontag gaben in einem Premierenschaufenster Mitglieder des Ensembles einen unterhaltsamen Vorgeschmack auf die Fest-Premiere. Ein kleiner Film davon ist vom Kabeljournal hier zu sehen.
Premierenschaufenster zu “Der Löwe von Venedig” am Ostermontag: v.l.n.r.: Tamara Korber (Regie), Intendant Dr. Ingolf Huhn (Dramaturg), Prof. Gotthard B. Schicker, Bettina Grothkopf, Nandor-Janson Tomory, László Varga - Regisseurin Korber stellt Bühnenbild und Kostüme vor.
Hier einige Bemerkungen zum Hauptwerk des Annaberger Komponisten PETER GAST, “Der Löwe von Venedig”, sowie zum Leben und Schaffen des Schriftstellers und Adlatus des Philosophen Friedrich Nietzsche.
Heinrich Köselitz (10.1.1854 Annaberg – 15.8.1918 Annaberg), wie Peter Gast mit seinem Geburtsnamen hieß, stammt aus einem bürgerlichen Annaberger Elternhaus (Töpfermarkt, heute Köselitzplatz), wo er frühzeitig mit den Künsten in Berührung kam. Seine Mutter war eine Wienerin, die mit einer wunderbaren Stimme gesungen haben soll. Der Vater, Hermann Köselitz, war Unternehmer, Stadtrat, Freimaurer, Vizebürgermeister der Stadt Annaberg und ein den schönen Künsten gegenüber sehr aufgeschlossener Mäzen. Im Nebenhaus wohnte der Klavierlehrer, bei dem die beiden Söhne Heinrich und Rudolf (der spätere Maler und Illustrator) ihren ersten Unterricht erhielten. Heinrich Köselitz komponierte bereits im Knabenalter Lieder und kleine Klavierstücke und hatte immer den Wunsch, Künstler zu werden. Eine begonnen Kaufmannslehre brach er ab und betätigt sich zunächst als Konservator für alte Dokumente in Leipzig. Dabei begegnen ihm sowohl Richard Wagners Schriften und Werke als auch Friedrich Nietzsches Arbeit „Die Geburt der Tragödie aus dem Geist der Musik“, die er mit großem Eifer studiert. Er fasst den Entschluss, sich zunächst an der Leipziger und dann an der Baseler Universität, an der Nietzsche lehrte, immatrikulieren zu lassen. Dort verwandelte sich das Verhältnis von Lehrer und Student allmählich in eine Freundschaftsbeziehung, die bis zum Tode des Philosophen im Jahre 1900 anhalten sollte und in zahlreichen Briefen, durch die intensive Mitarbeit von Köselitz an fast allen Nietzsche-Werken sowie in der Zusammenarbeit auf musikalischem Gebiet dokumentiert ist. In Leipzig studierte Gast auch beim Thomaskantor E. F. Richter Kontrapunkt und Komposition und schuf einige Lieder.
Entstehungsgeschichte der Komischen Oper „Der Löwe von Venedig“
Hat der treue Jünger Nietzsches bisher als Wagnerianer gelten können und seine musikalischen Intentionen in tragischen Opernentwürfen münden lassen, so kam er im Jahre 1880, nach der Lektüre von Goethes Text „Scherz, List und Rache“, auf die Idee, dazu eine Musik zu schreiben, von der Nietzsche tief beeindruckt war. Aus Venedig kündigte Gast am 12. Oktober 1880 sein erstes größeres Werk bei Nietzsche an, von dem er auch erhoffte, seine finanzielle Situation (Unterstützung kam nur vom Vater aus Annaberg) damit verbessern zu können: „In den letzten Wochen habe ich eine Musik zu dem Goethischen Singspiel ´Scherz, List und Rache´ geschrieben; mit dieser Partitur will ich vor die Öffentlichkeit treten. (…) Die Partitur bringe ich vielleicht Ende dieses Jahres fertig; ich will sie dem Theater an der Wien schicken“. In seinem autobiographischen Werk „Ecce homo“ schreibt Nietzsche zu dieser Musik, die in Wien nie zur Aufführung kam: „In einem kleinen Gebirgsbade, unweit Vicenza, wo ich den Frühling des Jahres 1881 verbrachte, entdeckte ich zusammen mit meinem Maestro und Freunde Peter Gast, einem gleichfalls ´Wiedergeborenen´, dass der Phönix Musik mit leichterem und leuchtenderem Gefieder, als er je gezeigt, an uns vorüber flog.“ 1881 war dann auch das Jahr, in dem Nietzsche seinen Freund in Peter Gast bzw. Maestro Pietro Gasti „umtaufte“. Er begründetet das Pseudonym damit, dass der Name Köselitz slavischen Ursprungs sei und eigentlich „Ziegenhirte“ bedeute. Ein Komponist mit einem solchen Namen könne in der Musikwelt keine Furore machen.
Theater der Stadt Danzig, Uraufführungsstätte der Gast-Oper 1891
Nach der gemeinsamen Rückkehr aus Vicenza wird Peter Gast bei der Lektüre von Stendals Werken auf des Leben und Schaffen Cimarosas aufmerksam und entschließt sich, dessen Komische Oper „Il matrimonio segreto“ (Die heimliche Ehe) neu zu übersetzen, mit Musik zu versehen und zum Karneval in Venedig im Jahre 1883 aufführen zu lassen. Im März 1882 schreibt Gast an Nietzsche: „Ich habe das ´Matrimonio´ so total anders als Cimarosa, und auch ziemlich anders als bisherige und jetzige Opernmusik komponiert, daß ich mir etwas zu vergeben meinen würde, wenn ich noch anderes, als das Werk allein sprechen lassen wollte“. Erst Mitte 1884 dürfte die Arbeit an der Komischen Oper zunächst mit dem Titel „Die heimliche Ehe“ beendet gewesen sein. Ein Besuch Nietzsches Ende 1884 bei Gast in Venedig führte zur Veränderung des Titels in „Der Löwe von Venedig“, damit eine Verwechslung mit Cimarosas Werk ausgeschlossen werden kann „und die Attraktivität der Stadt auch dem Titel nützlich sei“.
Mehrere Bemühungen seitens Gasts, Nietzsches sowie zahlreicher Freunde der beiden, das Werk an einer deutschen Bühne zur Aufführung zu bringen, schlugen viele Jahre fehl. „Die Leute haben wirklich keine Zeit. Vielleicht verdanke ich die erstmalige Vorführung vor die Öffentlichkeit gar der gentilezza der Italiener! In diesem Factum würde dann manche Kritik enthalten sein. Graf v. Bülow hat keine Zeit, kein Interesse für deutsche Opernmusik und kein Urtheil – sagt er“ - so schrieb Gast bereits im Januar 1882 resigniert an Nietzsche, in dem er auch aus Bülows Brief zitierte, den er an den Dresdner Stardirigenten und Wagnerverehrer empört zurück sendete. Schließlich waren die Theater und Opernhäuser – nicht nur in Dresden - auf Richard Wagner eingeschworen. „Einstweilen ist es die Wagnerei, die Ihnen im Wege steht; auch die deutsche Vergröberung und Vertölpelung, die seit dem `Reiche´wächst und wächst“ - schrieb Nitzsche bereits 1886 aus Nizza an Gast. Da hatten es zwei der heftigsten Kritiker des Bayreuther Meisters schwer, einen Fuß in die Türen der Theater zu bekommen. Das gelang dann erst im Jahre 1891, als sich, durch Vermittlung der Dirigenten Mottl und Levi, der Intendant des Danziger Theaters, Dr. Karl Fuchs, für die dortige Uraufführung am 23. Januar 1891 einsetzte, die einen Achtungserfolg brachte. Nietzsche war bereits 1889 unheilbar erkrankt, so dass er der Aufführung nicht mehr beiwohnen konnte. Arthur Mendt, ein Freund von Peter Gast sowie Musikkritiker und Schriftsteller aus Dresden, erinnerte sich bei einem Besuch in Annaberg (1912) an die Bemühungen, das Werk danach zu weiteren Aufführungen zu bringen: „Wir saßen in blauer Sommernacht auf dem rückwärtig angebauten Balkon seines Vaterhauses bei einem Glas feurigem Burgunder. Hinter uns der schweigende Berg, schwarz am sternbesäten Himmel, um uns laue Gebirgsluft – das Gespräch kam in Fluß, jetzt unter vier Augen gab er endlich einmal mehr von dem, was der jüngere brennend gerne erfahren hätte: Wie stand es mit der Oper, wie weit war die beabsichtigte Umarbeitung gediehen, die in nächtlicher Arbeit immer wieder vorgenommen wurde, die er aber immer wegräumte, wenn Besuch kam... Heute endlich brach er das Schweigen und erzählte von den Freuden und Enttäuschungen beim Schaffen und beim Versuch, die Oper anzubringen. Es steht fast alles in den Briefen, die in den 80er Jahren der einzige erhielt, der begeistert an den jungen Freund glaubte und der zeitlebens die tiefsten Erquickungen aus dieser Musik heraushörte: Friedrich Nietzsche!“
Erstaufführung 1933 in Chemnitz
Außer der schwungvollen Ouvertüre, die u.a. auch in der Tonhalle in Zürich und im Leipziger Gewandthaus zur Aufführung kam, wurde die Oper bis 1933 nicht wieder inszeniert. Erst unter der musikalischen Leitung von Martin Egelkraut und in der Regie von Richard Meyer-Walden erlebte der „Löwe von Venedig“ am 11. Februar 1933 im Chemnitzer Opernhaus seine erfolgreiche Erstaufführung in Sachsen, zu der Intendant Hartmann die Schwester des Philosophen, Elisabeth Förster-Nietzsche, eingeladen hatte, die allerdings aus gesundheitlichen Gründen absagen musste, aber „einen Abgesandten aus dem Weimarer-Nietzsche-Archiv zum Ereignis, das mir so zu Herzen geht...“ geschickt hat. Leider war dann in Chemnitz die zweite Aufführung vom Pech verfolgt: „Im zweiten Bild des ersten Aktes erkrankte Frau Hannel Lichtenberg (sie sang die Carolina) plötzlich so schwer, dass sie sich nicht mehr aufrecht halten konnte und die Bühne mitten in der Szene verlassen musste... Der Versuch nach 20 minütiger Pause, das Stück dennoch weiter zu spielen, musste leider vor dem letzten Bilde aufgegeben werden...“. (Chemnitzer Tagblatt 15.2.1933)
Peter Gast mit Frau Luise und Tochter Carina 1908 beim Pöhlbergspaziergang
Im März 1940 kam es noch einmal zu 11 Vorstellungen des Werkes am Theater in Regensburg. Im Schreiben des Intendanten des Theaters der Bayerischen Ostmark, Egon Schmied, heißt es am 14. März 1940 an den Bruder Rudolf Köselitz: „Inzwischen ist die Oper, ´Der Löwe von Venedig´ mit gutem Publikumserfolg aufgeführt worden. Wir werden das Werk noch 3- 4 mal wiederholen. Es besteht übrigens die Hoffnung, dass das Neue Theater Rheydt das Werk bringt“, - was dann aber nicht der Fall war.
Seit nahezu 75 Jahren ist die Oper nicht mehr aufgeführt worden. In der Heimatstadt des Komponisten Peter Gast erklangen ab und an einzelne Werke aus seinem Schaffen. So u. a. am 3. und 10. März 1948 im 6. Sinfoniekonzert des Annaberger Theaterorchesters mit den Werken: „Manfred-Meditation“ von Friedrich Nietzsche in der Bearbeitung von Peter Gast, der 1. Satz aus „Helle Nächte“ sowie Chorlieder im Volkston unter der Leitung von KMD Franz Neumann. Die Ouvertüre zum „Löwen“ wurde 1996 anlässlich der 500-Jahr-Feier der Stadt im Theater zu Gehör gebracht.
„Frühlings-Musik“ gegen „Gefühls-Trunksuch“
„Ihre Musik ist weder trocken noch besoffen!“ - rief Nietzsche beim Hören des „Löwen von Venedig“ begeistert aus und meinte dabei die Klarheit der Tongebung, die Leichtigkeit sowie die ungekünstelte Heiterkeit der Melodien, „das durch und durch Italienische des ´Löwen´ und eine gewisse italienische Abneigung gegen die deutsche Gefühls-Trunksucht“ (Nietzsche an Gast, Leipzig, 16.9.1882). Die Komische Oper in drei Akten (fünf Bildern) ist durchkomponiert. Es findet sich kaum eine längere Arie darin, dafür zahlreiche Accompagnato-Rezitative, Duette, Ensembles und Chöre. „Ich habe aus den wenigen Winken, die mir die von mir besuchten deutschen Kapellmeister (Mottl, Schuch und Levi, d. A.), ungeheuer viel gelernt; ich habe mich sehr nach der äußerst picanten Instrumentationsweise Mozart´s gerichtet, und nicht nach jener dick aufgetragenen der Neuern. Vom Blech habe ich nur die Hörner in Anspruch genommen, die sich gut mit dem Holz und Saiten vermischen. Trompeten, Posaunen, Tuba sehr selten, nur an wichtigen dramatischen Punkten, und in bloßen Instrumentalsätzen (Ouvert. und Intermezzi). Jedes Instrument soll sich in seiner Eigenart zeigen, nicht in einem unausgesetzten Zusammenspiel verschwinden. Durchsichtig, reich an Abwechslung, alles Schwierige vermieden, damit die Instrumente ihre Schönheit entfalten können – so hoffe ich, kommt Alles gut zur Geltung“ - schreibt der „dankbare Schüler“ Peter Gast am 14. März 1884 aus Venedig an Friedrich Nietzsche nach Nizza.
Neben den zahlreichen euphorischen Aussagen Nietzsches zum Werk, sind wohl die Pressestimmen zur Chemnitzer Aufführung des „Löwen“ als realistisch zu betrachten (kleine Auswahl): „Die Musik war wirklich eine Überraschung!“ schreibt Otto Böhme in der Allgemeinen Musikzeitung am 3.3.1933. Und Eugen Püschl sprach am 13.2.1933 in den Chemnitzer Neuesten Nachrichten gar vom „Sieg der Melodie!“. „Jetzt versteht man, warum Nietzsche diese Musik ´Frühlingsmusik´genannt hat: ihr blühen will nicht enden“, schrieb der Rezensent weiter. „Es war ein großer Abend! Dass der `Löwe´ nach den `Neugierigen Frauen´ abfallen könnte, und dass er den Auftakt für die Wagnerwochen bildete, konnte mindestens dem Besuch gefährlich werden. Es kam anders: Ein gut besuchtes Haus, ein begeisterter Empfang sind Tatsache geworden. Wir sind nun gespannt, ob die deutschen Bühne die Lage erkennen und anerkennen. Dresden hat zunächst das Wort!“ - meinte der Rezensent, Dr. A. Mendt, in den Dresdener Neuesten Nachrichten vom 5.3.1933. Und der Berliner Börsenkurier schrieb am 14.2.1933: „Der starke und nachhaltige Erfolg, der im übrigen überraschend einheitlichen und gesanglich hochstehenden Chemnitzer unter Martin Ekelkrauts trefflicher musikalischer Leitung rechtfertigt die Hoffnung, dass dieses prachtvolle Werk endlich den ihm gebührenden Platz im deutschen Opernspielplan erhalten wird“. Kurz, die deutschsprachigen Stimmen der Kritik sparten in zahlreichen Medien - darunter auch in renommierten Fachzeitschriften - nicht mit Lob und übereinstimmender Anerkennung für diese heitere Oper des Annaberger Komponisten Peter Gast.
Und in der Tat, es handelt sich um eine beschwingte, leicht daher kommende, elegante und frische Musik, die durchaus Anleihen bei Mozart, Haydn und der italienischen Buffooper durchschimmern lässt, aber stets auch auf eine eigenständige Verlautbarung Wert legt. Obwohl Gast der Meinung war: „Diese Musik lügt gewiß sehr über mich, und hat fast Nichts mit mir zu thun“, wie er am 16. Juli 1882 aus Venedig an Nietzsche über diese „Gefälligkeitsmusik“ (A. Mendt, 1920) schrieb und wie er den „anderen Gast“ auch immer wieder in seinen sonstigen Kompositionen – insbesondere in seinen spätromantischen Liedern – zum persönlichen Ausdruck brachte, die nur in geringem Maße mit der Auffassung von Nietzsches „Frühlingsgefühlen beim Hören Ihrer Musik“ in Einklang zu bringen ist. Am 31. Mai 1888 schrieb Nietzsche dennoch wieder davon an Gast: „Wie sehr auch der Frühling mir geraten ist, er bringt mir gerade das Beste nicht, das, was auch die schlimmsten Frühlinge mir bisher brachten – Ihre Musik! Dieselbe ist mit meinem Begriffe ´Frühling´ zusammengewachsen, ungefähr so, wie das sanfte Glockengeläut über der Lagunenstadt mit dem Begriff Ostern. So oft mir Ihre Melodien einfallen, bleibe ich mit einer langen Dankbarkeit an diesen Erinnerungen hängen; ich habe durch nichts so viel Wiedergeburt, Erhebung und Erleichterung erfahren wie durch Ihre Musik. Sie ist meine gute Musik par excellence...“.
Diese „italienische Musik der Deutschen“, wie sie Nietzsche an anderer Stelle sicherlich überbewertet, bleibt in weiten Passagen der Musiksprache der deutschen Romantik verhaftet. Musikwissenschaftler rückten sie zum Teil auch in die Nähe von Richard Strauss (Rosenkavalier), Franz Schubert oder Otto Nicolai. Das Italienische mag in der Sangbarkeit der Partien und in der kammermusikalischen Transparenz des Orchesters zu finden sein. Die Stilistik der Arien, Cavatinen, Menuette, Chöre und Rezitative, der gesamte Charakter dieser Musik ist letztendlich ein deutscher. Zumal all diese musikalischen Gattungen von Gast mit Erfolg in eine sinfonische Form eingepasst wurden, die der heiter-dramatischen Handlung und dem mitunter doch recht schwachen Libretto ein stabiles Korsett verleiht. „Die Ouvertüre ist später geschrieben und als bloße Instrumentalmusik sehr stark orchestriert: ich will mit der Tür ins Haus fallen. Es kommen darin die stärksten Forti des ganzen Werkes vor“, schrieb Gast am 20. Oktober 1884 aus Annaberg, wo er weitere Bearbeitungen an der Oper vornahm.
Am 18. Oktober 1884 erklang die „Löwen-Ouvertüre“ erstmals in Zürich. Nietzsche schrieb von diesem Konzert, das von GMD Friedrich Hegar dirigiert wurde: „Lieber Freund Gast, eben komme ich aus der Tonhalle (halb 12 Uhr): Heil dieser Stunde und Ihnen, der sie mir geschenkt hat! So ist denn Ihre Musik zum ersten Mal erklungen, und ich bin stolz darauf, daß dies durch mich und für mich geschehen ist. Mög diese Löwen-Ouvertüre ein Symbol Ihres Laufs durch die Welt sein – so kühn, männlich, witzig, wacker lief sie dahin, ganz und gar nach meinem Herzen, voll hellen Himmels und gewiß auch – voller Zukunft“. Knapp zwei Monate später – am 7. Dezember – dirigierte Peter Gast dann seine Ouvertüre – in einem Programm mit Werken von Brahms und Weber – in der Tonhalle in Zürich, die mit einer sehr positiven Kritik am 10. Dezember 1884 in der „Züricher Post“ bedacht wurde.
Wenn Nietzsche immer wieder die musikalischen Einfälle von Peter Gast (Foto rechts: 1910 in Annaberg), seinem „Süden in der Musik“, lobte und ihn zu weiteren Kompositionen animierte (insgesamt entstehen über 280 Werke) sowie dessen Arbeiten in Briefen, Zeitschriften und in Gesprächen bewarb, so soll nicht übersehen werden, dass auch Peter Gast auf die musikalische Bildung des Philosophen und dessen musikalische Äußerungen, insbesondere auf die „Manfred-Meditation“, „Hymnus an die Freundschaft“ oder das „Gebet an das Leben“, von dem Peter Gast 1887 eine Fassung für Chor und Orchester herstellte, sowie auf zahlreiche Nietzsche-Lieder, keinen geringen Einfluss hatte. Regelmäßig spielte er ihm auf dem Klavier eigene und fremde Werke vor, um ihm insbesondere in Venedig seine „trüben Gedanken zu verscheuchen“. Peter Gast machte ihn z.B. mit Bizets „Carmen“ und der Musik Chopins bekannt, wofür Nietzsche ihm lebenslang dankbar war, wie dies in zahlreichen Briefen zum Ausdruck kommt. Auch in der kritischen Auseinandersetzung Nietzsches mit der Musik Richard Wagners (etwa um 1874) war Peter Gast ihm zwar ein kongenialer, wenn auch nicht immer sinnesgleicher Partner. Beide blieben schließlich doch von der Musik Wagners fasziniert, wie der Aphorismus „Sternenfreundschaft“ in der „Fröhlichen Wissenschaft“ deutlich macht, ebenso wie seine bewundernden Ausdeutungen der Meistersinger-Ouvertüre in „Jenseits von Gut und Böse“. Auch Gast publizierte in dieser Zeit Aufsätze in musikwissenschaftlichen Zeitschriften oder verfasste Essays, allerdings unter dem Pseudonym „Ludwig Mürner“.
Nietzsches Einsatz für die Musik seines Adlatus Peter Gast geschah allerdings auch nicht ganz uneigennützig. Schließlich war dieser ihm zur Reinschrift, Korrektur und auch in erheblichem Umfange zur Redigierung nahzu all seiner Druckmanuskripte unersetzlich. Seine Schrift konnte außer Peter Gast niemand, nicht einmal seine Schwester Elisabeth Förster-Nietzsche (Foto), lesen. Was auch ein Grund dafür war, dass diese ihn nach einer Auseinandersetzung bezüglich des Nachlasses ihres Bruders, nach dessen Tod wieder ins Weimarer Archiv holte, um mit ihm gemeinsam die Gesamtausgabe der Nietzsche-Werke vorzubereiten.
Die Begeisterung für die Musik von Peter Gast war bei Nietzsche und dessen Umfeld aber bereits vorhanden, als sich dessen Löwen-Oper noch im Entstehen befand. Bis dahin lagen schon zahlreiche Lied- und Orchesterkompositionen, Bearbeitungen von Volksliedern aus dem 16. Jahrhundert, Chorwerke und Kammermusiken in verschiedenen Besetzungen vor, die allerdings erst allmählich ihren Stil vom spätromantischen Duktus zum „neuen Mozart“ fanden. Und so schrieb Nietzsche im Oktober 1882 aus Leipzig an den Theologen und Philosophen Franz Overbeck: „Was Köselitz (oder vielmehr ´Peter Gast´) betrifft, hier ist mein zweites Wunder dieses Jahres. (…) Hier ist ein neuer Mozart – ich habe keine andere Empfindung mehr: Schönheit, Herzlichkeit, Heiterkeit, Fülle, Erfindungs-Überfluß und die Leichtigkeit der kontrapunktischen Meisterschaft – das fand ich noch nie so zusammen, ich mag bereits gar keine andere Musik mehr hören. Wie arm, künstlich und schauspielerisch klingt mir jetzt die ganze Wagnerei.“ Die Euphorie Nietzsches für Gast fand ihren Höhepunkt in der letzten Postkarte (wahrscheinlich das letzte Schriftstück von ihm überhaupt) des bereits geistig umnachteten Philosophen, die er am 4.1.1889 um 4 Uhr morgens aus Turin an seinen Freund abschickte: „Meinem maëstro Pietro. - Singe mir ein neues Lied: die Welt ist verklärt und alle Himmel freuen sich. Der Gekreuzigte.“ (Foto: Der kranke Nietzsche)
Annabergs „Petrus Eremita“
„Endlich bin ich in meiner Heimat und genieße die ungeheure Stille nach all dem Gesaus und Gebraus der großen Städte und Eisenbahnfahrten als die merkwürdigste Neuigkeit...“ - schrieb Gast bereits am 10. Juli 1888 aus seiner Vaterstadt. Teile seiner Oper „Der Löwe von Venedig“ - und weitere Kompositionen - sind auch in Annaberg entstanden. Sowohl im Haus am Töpfermarkt (dem heutigen Köselitz-Platz) als auch im damaligen „Café Central“ in der Johannisgasse. Dort hielt er sich häufig auf, traf sich mit Annaberger Künstlern und Honoratioren, und man sah ihn dort auch komponieren oder Texte schreiben. Der größte Teil seines musikalischen Werkes ist aber unter südlicher Sonne, insbesondere in Venedig, komponiert worden. Seine zahlreichen Aufenthalte im Elternhause, insbesondere zur Weihnachtszeit, nutzt er für kleinere Kompositionen. So sind hier z.B. Lieder mit solchen Titeln wie „Abendwehmut“, „Vergangenheit“, „Nebel“, „Es war ein Tag, da war die Sonne blind“, aber auch die Chorlieder „Deutsches Schwert“ und „Reiterlied“ (1914) komponiert worden. Peter Gast lebte ab 1908 wieder ständig in seiner Heimatstadt. Hier widmete er sich neben weiteren Kompositionen verstärkt der erzgebirgischen Mundart. Er verfasste eigene Gedichte und Schnurren, gab Mundarttexte von verschiedenen erzgebirgischen Heimatdichtern heraus, setzte sich engagiert für die Reinhaltung der Mundart ein und veröffentlichte unter dem Pseudonym „Peter Schlemihl“ im Annaberger Wochenblatt u. a. den Essay „Die Häuerglocke“. Parallel dazu bearbeitete er seine früheren musikalische Werke wie u.a. die sinfonische Dichtung „Helle Nächte“ (ursprünglich eine „Sinfonia ungharese“), „Lethe“ für Bariton-Solo und Orchester, ein Septett in G-Dur, das Nietzsche als „Nachsommer-Musik“ bezeichnete, die Einleitungsmusik zum Harzfestspiel „Walpurgis“, einen Csárdás sowie zahlreiche Chorwerke, Pastoralen, Lieder (u.a. auf Lenau- und Goethe-Texten – über 40 bei Hofmeister in Leipzig verlegt, wo auch 1901 der Klavierauszug zum „Löwen“ erschien) und Kammermusiken. Viele Fragmente aus Jugendtagen blieben unbearbeitet. So die Opern „Williram und Siegheer“, „Nausikaa“, „Corsischer Carneval“ oder „König Wenzel“ (fast fertig gestellt). In dieser Zeit hoffte er noch immer, dass seine Komische Oper „Der Löwe von Venedig“ am Theater in seiner Heimatstadt zur Aufführung kommen würde, wie ein Briefwechsel zwischen ihm und dem damaligen Intendanten Georg Kurtscholz belegt. Dieser Wunsch wurde ihm zu Lebzeiten – abgesehen von Aufführungen einiger Lieder und etwas Kammermusik um 1900 - nicht mehr erfüllt. Am 20. Januar 1918 schrieb er an seinen Freund M. G. Conrad „Ich sehe fast nichts mehr. Entweder gehe ich dem Star oder der Erblindung entgegen. Die letzten Wochen nahm es rapid zu.“ Am 15. August des selben Jahres starb „Petrus Eremita“ - wie er sich häufig in Annaberg wegen seiner „Einsiedelei am Pöhlberghang“ nannte - während einer Darmoperation.
Nachfahren aus Zwickau von Theodor Köselitz, einem der beiden Brüder von Peter Gast (Foto: 2012 vor dem Köselitz-Haus in Annaberg-Buchholz)
Annaberg hat den wohl wichtigsten Komponisten des Erzgebirges fast vergessen oder verschwiegen. Zu seiner Zeit kamen seine Werke wegen des übergroßen Schattens und von ihm dazu noch kritisierten Richard Wagner nicht zur Aufführung. Aber auch die kleingeistige Haltung des damaligen Annaberger Stadtrates mißachtete die Leistung eine der großen Persönlichkeiten unserer Heimat über Jahrzehnte. Und zu DDR-Zeiten wurde ihm die Nähe zum bürgerlichen Philosophen Nietzsche angelastet. Aber dennoch sind Kompositionen von ihm u. a. 1954 im Museum, um 1968 im Erzhammer sowie 1948 und dann wieder 1992 im Annaberger Theater erklungen. Erst mit den musikalisch-literarischen Soireen und Ausstellungen zu den Brüdern Heinrich und Rudolf Köselitz in den Jahren 2011 und 2012 im Erzhammer wurde wieder intensiv auf das Leben und Werk dieser für Annaberg und weit darüber hinaus so wichtigen Familie hingewiesen. Diesen Veranstaltungen ist es auch zu verdanken, dass hier seine Lieder für Bass-Bariton erstmals in Deutschland erklangen und sich das Annaberger Theater nach nunmehr fast 75 Jahren seit der letzten Aufführung entschlossen hat, die Komische Oper „Der Löwe von Venedig“ vom Annaberger Komponisten Peter Gast auf der Bühne seiner Heimatstadt - zum 120. Geburtstag des Theaters - zu zeigen. Eine späte, aber sicherlich nicht zu späte Anerkennung für einen der bedeutendsten Söhne der Stadt, dessen gänzliche Rehabilitation und Bekanntmachung seines umfangreichen Werkes allerdings noch immer aussteht.
Gotthard B. Schicker / Fotos: Archiv AW
Weitere Links zum Theater und seiner 120jährigen Geschichte:
Annaberger Theater ABC
Theater Annaberg-Buchholz
Eduard von Winterstein in Annaberg
Lotte Buschan - Eine Annaberger Primadonna
Joseph Roth und das Annaberger Theater
Die Köselitze und Peter Gast
Der Löwe von Venedig Komische Oper in drei Akten von Peter Gast Libretto von Peter Gast in dessen Neu-Übersetzung des Operntextes „Il matremonio segreto“ (Die heimliche Ehe) von Giovanni Bertati
Handlung
Der reiche Kaufmann Geronimo (Bass) will seine beiden Töchter vornehm verheiraten. Carolina (Sopran), seine jüngste Tochter, lebt seit einem halben Jahr mit Paolino (Tenor), dem Buchhalter Geronimos, in heimlicher Ehe. Um Geronimo bei einer sehr wahrscheinlichen Entdeckung derselben günstig zu stimmen, veranlasst er seinen Freund, den Grafen Robinson aus Padua (Bariton), gegen eine Mitgift von 100.000 Talern um die ältere Schwester Elistta (Sopran) zu werben. Als ihm die beiden Schwestern mit ihrer Tante und Witwe Fidalma (Alt) präsentiert werden, meint er, dass Carolina seine vorbestimmt Braut sei und verliebt sich in sie. Die heimlich verheiratete Carolina wehrt dieses Ansinnen energisch ab. Auch der mit Geronimo vereinbarte Verzicht auf die Hälfte der Mitgift, wenn er statt Elisetta Carolina erhält, scheitert am Widerstand Carolinas. Elisetta aber will den Grafen unbedingt als Gatten gewinnen, obwohl er sich ihr gegenüber in ein abschreckendes, ungünstiges Licht bringt. Carolina soll ins Kloster. Elisetta entdeckt Paolio mit Carolina in deren Zimmer, damit wird die heimliche Ehe bekannt. Jetzt verzichtet der Graf als Kavalier und Freund Paolinos auf Carolina und heiratet dafür Elisetta. Nun werden beide Hochzeiten – auch die vorherige heimliche Ehe - gebührend gefeiert.
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