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Buchholz – die Kulturvolle von einst
Noch immer fristet Buchholz ihr Dasein als Stief-Schwester-Stadt im schattenreichen Weichbild Annabergs. Durch jene zwanghafte Lebensgemeinschaft, die sich späterhin in der Bindestrichstadt Annaberg-Buchholz noch stärker in sozialer und demographischer Hinsicht ausprägen wird, ist die einst schöne Terrassenstadt offenbar nicht mehr in der Lage, an die kulturellen Leistungen und künstlerischen Äußerungen anzuknüpfen, wie sie dort vor über 170 Jahren u. a. im Vereinswesen existierten. Damit sollen diesbezügliche Aktivitäten der jüngsten Vergangenheit keineswegs geschmälert oder gar gegenwärtige negiert werden, obwohl sich auch pessimistische Äußerungen bemerkbar machen, wie sie am Ende dieses Beitrages zu Wort kommen.
Das geistige Leben jener Jahre, und damit die wesentlichsten kulturellen Äußerungen der Buchholzer Bürgerschaft, vollzog sich hauptsächlich über Vereine, die sich mit den Künsten, dem Sport, der Wissenschaft sowie der Geschichte befassten. Als Voraussetzung dafür war, neben einer intakten Infrastruktur, die Anwesenheit von Industrie, Handwerk und Handel unabdingbar. Sie brachten eine gebildete oder an Bildung interessierte gutbetuchte Bürgerschaft hervor, ohne die z.B. die kulturellen Leistungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts nicht denkbar gewesen wären. Wie sehr ihre Abwesenheit oder Vernichtung einem derart funktionierendem Gemeinwesen Schaden zufügen kann, belegen u.a. die Jahre nach 1918, aber auch nach 1945 und noch einmal nach 1989 in anschaulicher Weise, worauf hier aber nicht umfänglich eingegangen werden soll.
Die Buchholzer – insbesondere ihr männlicher Teil – müssen einstens ein überaus sangesfreudiges Völkchen gewesen sein, denn in alten Schriften jener Zeit wird den zahlreichen Gesangsvereinen ein markanter Platz eingeräumt. Diese weitverbreitete Sangeslust erreichte ihren Höhepunkt im Jahre 1850 als „...auf dem schönen Buchholzer Marktplatze, vor der Kulisse der schönen alten Häuser und angesichts des Stadtgründers Friedrich des Weisen...” ein großes Sängerfest stattfand, welches den damals bekannten Lithographen C. A. Müller aus Freiberg zu jener künstlerischen Wiedergabe anregte, wie wir sie heute noch im Erzgebirgs-Museum in Annaberg betrachten können. Ein anderes Erinnerungsblatt vom 4. Obererzgebirgischen Männergesangsfest in Buchholz, das in seinem Kopf-Medaillon den misshandelten Orpheus zeigt, ist damals kurzerhand von der Zensur verboten worden.
Zu den älteren Vereinen ist sicherlich die „Liedertafel” zu rechnen. Jener Männerchor, der am 17. April 1837 gegründet und u.a. von Kurt Mitte und Kantor (Emil) Richard Wagner (nicht mit dem Opernkomponisten zu verwechseln) aus Buchholz geleitet worden ist. Nur wenige Jahre später (1839) gründete sich der „Liederkranz”, und im Jahre 1847 der Kirchengesangsverein „Euterpe”. Weitere sangesfreudige Buchholzer Männer und Knaben vereinigten sich dann 1864 in der „Harmonie”. Auch über zwei Militärgesangsvereine verfügte die Stadt. So gab es den von 1871, der sich „Militär-Gesangsverein I” nannte und jenen, der 1883 als „Kameradschaft” gegründet wurde. Ob die beiden Musikkapellen, die in Buchholz ansässig waren, auch gemeinsam mit den Chören musizierten, geht nur im Bezug auf die Sängerfeste aus der Literatur hervor. Sowohl die „Stadtkapelle” unter der Leitung von Ernst Schluttig, als auch das „Steinigerische Musikcorps” hatten ihren künstlerischen Höhepunkt bei der Umrahmung der Feierlichkeiten zum 400jährigen Stadtjubiläum. Nicht unerwähnt darf der immer wieder mit Stolz angekündigte Zitterclub bleiben, der sich in der Erzgebirgsstadt den Namen „Alpenrose” gab, und der ab 1887 die Umgebung bespielte. Einen besonderen Stellenwert im kulturellen Leben von Buchholz nahm die 1845 gegründete Konzert- und Ballgesellschaft „ODEON“ ein. Diese gemeinnützige Konzertagentur, die um 1900 über 200 Mitglieder zählte, verpflichtete zahlreiche in- und ausländische Künstler für Konzerte nach Buchholz und organisierte überaus gefragte Bälle für ihre Mitglieder und deren Gäste. Da Buchholz über kein eigenes Theater verfügte, traten wandernde Schauspieltruppen und fahrende Musikanten u.a. in den Sälen der Hotels „Deutscher Kaiser” und „Deutsche Haus” auf. Wer sich allerdings exquisiteren Kunstgenüssen hingeben wollte, der besuchte ab 1893 das Annaberger Theater und konnte dort vielleicht sogar den großen Eduard von Winterstein in der Titelrolle von Goethes „Egmont“ erleben.
Zum kulturvollen Buchholz der damaligen Zeit gehörten auch zwei Turnvereine. Der Verein „Frisch und Frei“ mit seinen etwa 400 Mitgliedern und der größere „Männerturnverein“ mit über 500 aktiven Sportlern. Ab 1892 waren dann auch in diesem Verein Damen zugelassen, während der kleinere zunächst ein reiner Männerverein blieb und erst 1895 Damen zuließ. Eigens zur Aufnahme der holden Weiblichkeit wurde eine „Damenabteilung“ mit 84 Turnerinnen gebildet und sogar eine „Jungfrauenabteilung“ geschaffen, die es – damals – immerhin auf 96 Buchholzer Jungfrauen brachte. Viele kulturelle Aktivitäten und insbesondere laienkünstlerische Impulse gingen auch von der „Alten Schule“, der Fröbel-Schule (1837), aus. Besonders die Lehrerschaft war es, die ihr Wissen in die pädagogische und wissenschaftliche Vereinsarbeit einbrachte und so das geistige Klima in der Stadt wesentlich mit gestalten half. Erwähnung verdient hier u.a. der pädagogische Verein „Freie Vereinigung“ (1892) und die Gesellschaft „Lautane“, die bereits 1842 mit dem Ziel gebildet wurde, die Verbreitung und Durchsetzung einer allgemeinen Volksbildung - insbesondere auch für die Arbeiterschaft - zu organisieren. Ähnlichem Anliegen diente auch der „Kaufmännische Verein“, dessen wissenschaftliche Vorträge sowie seine Vielzahl und Qualität, eine beachtliche Konkurrenz zu ähnlichen Bestrebungen in Annaberg darstellte. Auch der 1894 gegründete „Geschichtsverein“ hat im Zusammenwirken mit der wissenschaftlichen Bibliothek in der Bürgerschule, der Volksbibliothek im Rathaus und der später eingerichteten Stadtbibliothek zur Anhebung des allgemeinen kulturellen Niveaus der Bürger von Buchholz beigetragen.
Begleitet und unterstützt wurde diese günstige Atmosphäre von dem am 8.9.1854 erstmals erschienen Amtsblatt „Obererzgebirgische Zeitung“ mit einem speziellen „Generalanzeiger für Buchholz“. Viel gelesen wurde auch in Buchholz das „Annaberger Wochenblatt“, das sich regelmäßig auch Buchholzer Themen annahm. Eine Umfrage aus jener Zeit kommt zu dem Ergebnis, dass in Buchholz 60 Zeitschriften politischen und etwa 150 Zeitungen allgemeinen Inhalts gelesen wurden. Eine Zahl, die im Vergleich mit anderen Städten des erzgebirgischen Raumes relativ hoch ausfällt. Nicht näher eingegangen werden kann hier auf die Kultur des ausgeprägten Hotel- und Gaststättenwesens, des Handels, den zunehmenden Fremdenverkehr und der ihn begleitende Service für die Stadt und ihre Besucher. Ebenso müssen die kräftigen Impulse, die von den Kirchen und Religionsgemeinschaften, dem Handwerk und durch die zunehmende Industrialisierung in die Stadt kamen, in dieser Darstellung zunächst vernachlässigt werden. Die soziale Differenzierung im Buchholz des 19. Jahrhunderts brachte auch Formen der politischen Kultur hervor, die sich im stärker werdenden Interesse am politischen Geschehen der Stadt und des Landes bzw. im individuellen politischen Verhalten ausdrückte. Rückblickend wird dazu 1901 in der “Obererzgebirgischen Zeitung” festgestellt: “Die Mehrzahl der Bürger gehören dem Nationalliberalismus an, ein Teil dem Konservatismus zu. Die Arbeiterschaft hat sozialdemokratisch gewählt.“ Diese kurze Rückschau sollte nicht nur der Konservierung von Gewesenem dienen, sondern auch als Anregung für die Einwohner von Buchholz verstanden werden sowie den heutigen Verantwortungsträgern Mut machen, über Verschüttetes, Untergegangenes, Vergessenes, Unterdrücktes oder auch nur Schlummerndes nachzudenken und vielleicht an einer Wiedererweckung der einen oder anderen kulturellen Aktivität mitzuwirken, wie es optimistische Szenarien erhoffen. So lange aber Buchholz im Schatten von Annaberg agieren muss, wird es vermutlich immer als eine Art Adoptivkind behandelt werden. Aber vielleicht kommt ja einstmals der Tag an dem unser dann möglicherweise wieder unabhängiges altes Buchholz noch einmal in jener inneren und äußeren Schönheit erstrahlt, von der es in der Festschrift zum 400jährigen Gründungsjubiläum heißt: „Du bist schön, bestrahlt von der Sonne am Morgen, am Abend bestrahlt von dem Glanz des Mondes zur Nacht. Du bist schön, wenn am Abend in tausend Lichtern du leuchtest, dreifach schön am Abend der Weihnacht..., denn Du bist ein Stück Poesie, das zur Wahrheit geworden. Daher ist es begreiflich, daß wir , die Deinen, Dich lieben, daß der Wanderer, der Dich erschaut, erstaunt rastet, daß jährlich immer mehr kommen, sich Deiner freuen, bei Dir einige Wochen zu weilen...!“ Und im „Glück auf“-Heftchen vom Juli 1898 schwärmt der Verfasser geradezu davon, „...daß die Stadt Buchholz im Erzgebirge vor allen anderen landschaftlichen Beziehungen große Vorzüge hat, ist allgemein bekannt, und durch ihre Terrassenklage vom Sehmatale die Anhöhen hinan, sowie durch ihre enge Umrahmung mit Gärten und Laubwäldchen, endlich durch ihre äußere Umgrenzung der Waldschlösschenumgebung und des Stadtwaldes im einzelnen bewiesen.“ Sowohl in dieser Beschreibung als auch in nachfolgenden Reiseführern, Kalendern oder Erzgebirgsheften stehen immer wieder die gärtnerischen Anlagen des Waldschlösschenparkes, sein freundliches Villenhaus, sein Denkmal, der Weiher und die Teichschänke im Mittelpunkt der Betrachtungen und Besuchsempfehlungen. Wie sehr die Sauberkeit der Stadt und ihres Umfeldes für den Tourismus ausschlaggebend ist, wurde schon damals bemerkt. Mit besonderer Bewunderung ist der Fleiß der Buchholzer registriert worden, wie dies z.B. bei den Aufräumungsarbeiten nach dem „gewaltigen Märzorkane“ im Jahre 1897 im Stadtwald der Fall war. Dabei hat sich offenbar der „Buchholzer Verschönerungsverein“ – ein Zweig des hiesigen Erzgebirgsvereines - besonders hinsichtlich des Anlegens von 16 km Wegen sowie der Schaffung „prächtiger Aussichtspunkte im Stadtwäldchen“ hervorgetan. Im Wanderbuch des Obererzgebirges von 1922 wird Buchholz immerhin noch auf zwei Seiten recht ausführlich und charmant beschrieben. Ein „Kenner im Sächsischen Heimatschutz“ wird dort mit folgenden Worten zitiert: „Das Städtebild in seinem vorderen Teil vom Waldschlösschen bis zur Kirche gehört augenblicklich zu den schönsten unseres Heimatlandes, der anmutige Wechsel von großen und kleinen Einzelbauten und die Einheitlichkeit der Baugruppen und Bedachungsart verleihen dem Bilde einen außerordentlichen Reiz.“ Auch durch die aus ökonomischen und verwaltungstechnischen Zwängen veranlasste „Lebensgemeinschaft“ mit dem erdrückenden Annaberg hat dieses St. Katharienberg im Buchhenholze von seinem alten Glanze noch nicht gänzlich alles eingebüßt. Freilich bezieht sich diese Aussage zuerst auf die noch vorhandene und teilweise zweckentfremdet genutzte Architektur, aber insbesondere auf die Einmaligkeit seiner städtischen Gestalt. Dabei wird der gesellschaftlich bedingte – aber nicht selten auch selbstverschuldete - kulturelle Verfall auf vielen Gebieten, wie er auch hier seine Spuren in den zurückliegenden Jahrzehnten hinterlassen hat, nicht ignoriert werden können.
In der einschlägigen Literatur nach 1945 findet man dann auch mit verblüffender Konsequenz nur noch äußerst spärliche Auskünfte über die ehemals hochgelobte und geschichtsträchtige Stadt, die noch immer über fast alle öffentlichen Bauten verfügt, die ein Gemeinwesen benötigt, um zum Wohle seiner dort lebenden Bürger zu funktionieren. Das „Brockhaus Reisehandbuch für das Erzgebirge und Vogtland“ (1976) erwähnt Buchholz mit ganzen sechs Zeilen, und im so genannten „Historischen Führer“ der Bezirke Leipzig/Karl-Marx-Stadt (1980) endet die gesamte Geschichte von Buchholz bereits nach 49 Jahren, denn „...B. blieb nach dem Niedergang des Silberbergbaues um 1550 wirtschaftlich hinter Annaberg zurück.“
Kein Wunder also, wenn über unser Buchholz außerhalb des Erzgebirges kaum etwas gewusst wird. Um so mehr scheint es an der Zeit zu sein, dass sich die Buchholzer selbstbewusst und weniger fremdbestimmt mit der wechselvollen Geschichte, ihren kulturellen Traditionen, und ihren „vermarktungsfähigen“ Eigenheiten befassen, um auch darüber zu einer noch stärkeren Identifikation mit diesen Werten zu kommen und dem Fremden ihre Stadt als besuchens- und l(i)ebenswert zu empfehlen - Optimisten hierfür gibt es inzwischen sogar in organisierter Form, die auf etliche kleine Erfolge verweisen können!
Außerdem haben sich die Buchholzer schon vor Jahren so was wie eine eigen „Nationalhymne“ gegeben, das „Buchholzer Nationallied“: Es ist bekannt, dass der Buchholzer Polizeier Bräcklein den strophenreichen (vergleichbar mit dem “Heiligohmd-Lied“) Bänkelgesang verfasst hat. Vermutungen gingen auch mal in Richtung Felix Kube, der um 1920 auch Buchholzer Originale gezeichnet hat. Das “Buchholzer Nationallied“ darf nicht mit dem „Buchholzer Hymnus“ verwechselt werden, der bekanntlich vom Buchholzer Kantor Richard Wagner (so hieß der Mann wirklich) stammt und der ihn nach einen Text von Paul Schulze in klassischer Form komponiert hat. Das „Buchholzer Nationallied“ wird nach der Melodie von „Jetzt kommt das Militär, mit Säbel und Gewehr...“ gesungen. Die im Text vorkommenden Originale sollen tatsächlich alle gelebt haben. Bei den mit * bezeichneten könnte es sich z.B. um folgende Buchholzer Dicknischl, Sperr- und Gutguschn und Saufköppe handeln: Um den Polizeier Richter („Richter Pui” oder “Poi“), dem Vorsitzenden des Buchholzer Schützenvereins Kaden („Kaden Schütz“), den Fritz Hübner (der gerne Enten fütterte – „Antel Fritz“), das trinkfeste Original Otto Fröhner. „Dr Aff“ soll ein etwas verhutzelter Kohlenträger gewesen sein, den man wegen seiner Nachäfferei von anderen Originalen so nannte. Die anderen Figuren konnten noch nicht identifiziert werden, alte Buchholzer werden vermutlich bei der weiteren Erhellung behilflich sein können. Die Vermutung, dass einige Texte – es soll noch weitere geben – auch von Arthur Schramm stammen könnten, hat sich nicht bestätigt. Vielmehr soll unser „Klaanes Getu“ in einem der Verse vorkommen und im „Annaberger Nationallied“ eine ganze Strophe erhalten haben.
Rainer Eckel, ein echtes Buchholzer Urgestein und seit vielen Jahren Nachtwächter seiner Heimatstadt, hat einige Ergänzungen zu den Buchholzer Originalen beigesteuert, die überwiegend auf die Ergebnisse des Heimatforschers Joachim Reim zurück gehen: "Der Verfasser des ´Buchholzer Nationalliedes´ ist nachgewiesenermaßen Paul Bräcklein, Polizei-Obermeister, Bergstraße 29 (geb.: 26.Sept. 1882; gest.: 06.Sept. 1972). Er dichtete die Strophen vermutlich im Jahre 1910. Nach bisherigem Stand fehlen lediglich zu ´De Schleich´ und ´De Kokosnuß´ nähere Informationen. Beim ´Richter Bui´ erhebt sich die Frage, ob es die Person überhaupt gegeben hat. Felix Kube hat den ´Richter Bui´ als Karikatur gezeichnet. Nach Überlieferungen alter Buchholzer sollen es aber zwei Personen, nämlich der ´Wicht´ und der ´Bui´ gewesen sein. Über beide Personen ist etwas bekannt. Ein ´Hübner Thet´ ist auch mir nicht geläufig. Sicherlich ist damit ´Dr Hühnchen Thed´, August Theodor Hühnchen, Silberstraße 12, gemeint. ´Dr Müller-Topp´ ist Müller Hermann, geb. 1882, wohnte in der Langen Gasse 4, später Karlsbader Straße 100, und war Kaufmann. Als er im Lied mit beniemt wurde, war vor allem seine Frau dagegen und sie hatte sich verbeten, ihn weiterhin mit zu benennen. So sang man eine Zeit lang ´Dr Schneider- Helm´ . Später setzte sich aber ´Dr Müller-Topp´ wieder durch. Weitere Buchholzer Originale waren: ´Dr Flöten-Preuß´, ´Dr Leßig-Franz´, ´Dr Fischer-Martin´ und ´Dr Schmiedel-Walter´".
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Buchholzer Nationallied
In Buchholz da is es schie, do ka mer Booden gieh. Denn gleich nabn Stangewald, do is de Boodanstalt. Un war net schwimme kah, hält an der Stang sich ah. Un drübn im weißen Sand Sitzt allerhand: De Wätätä! (Dieser Buchholzer Schlachtruf ist immer vor dem Refrain auszustoßen!) Refrain: Dr Astel Paul, dr Augustin, de Kokusnuß, dr Zacherlin, dr Wicht, dr Pui*, dr Kaden Schütz*, de Baumel un dr Andelfritz*, dr Hübner Thet, de Schmidel Pfeif, dr Wolf Max un dr Schneider Helm, de Schleich, dr Aff, dr Fröhner Otto – die warn a mit do! Vor mehrern Gahrn konnt mer hie Ins Waldtheater gieh. Do fraat sich Gruß un Klaa, ne Tell sich ahzesah. Dos war ä schienes Stück, doch hatten se kä Glück, denn als Statisten konnten se dort sah: Refrain: Hot mer´s Theater satt, giehts in de öbre Stadt. Mer fährt dann mit dr Bahn vom Bayrschen Bahnhuf an. Nu giehts de Kühwad hie, dr Zug blebt plötzlich stieh. Beim Engert Gustav nei, do rammelt glei: Refrain: Un nu zu guter letzt giehts off´n Kirchhof jetzt, do muß ne Hochzich sei, Sperrguschn stelln sich ei. Es fängt zu Lauten ah, un an denn Brautzug dann, do schließt sich an:
Refrain: In Annaberg zur Kath, do giehts vu früh bis spat, do zieht sich alles hie, es wird gesumpft bis früh. Na, kommen sie mal ran, hier sit ne Riesendam un drübn im Hypodrom da reiten schon: Refrain: Druhm rümm in Wiesenthol, da sei de Leit wie toll. Un of dann Fichtelbarg, do is ä gruß Gewarg, do fahrn de Sportzüg nauf, vu Chamtz do unten rauf, denn heit gibt’s uhm ze sah gar Vielerla: Refrain: Dr Astel Paul, dr Augustin, de Kokusnuß, dr Zacherlin, dr Wicht, dr Pui*, dr Kaden Schütz*, de Baumel un dr Andelfritz*, dr Hübner Thet, de Schmidel Pfeif, dr Wolf Max un dr Schneider Helm, de Schleich, dr Aff, dr Fröhner Otto – die warn a mit do! Und wo wurde das „Buchholzer Nationallied“ vermutlich aus der Taufe gehoben, am meisten gesungen, und wo erklang es noch vor nicht all zu langer Zeit in feucht-fröhlicher Runde? Natürlich in der Gaststätte zur „Dummen Sau“ (auch „Gute Quelle“ genannt). Die aber leider noch immer geschlossen ist und eine neue „Dumme Sau“ als Wirt sucht.
Zur Zukunft von Buchholz (Foto: gegr. 1501 von Friedrich dem Weisen) gibt es zwei Auffassungen, die sich zwar diametral gegenüberstehen, aber weder die eine noch die andere gänzlich von der Hand zu weisen ist. Daher sollen beide hier angesprochen werden:
Zunächst die optimistische Variante: In den nächsten 20 Jahren wird sich Buchholz zu einer richtigen, funktionierenden – vielleicht sogar wieder – eigenständigen Stadt entwickeln. Mit der Errichtung und Erweiterung des Finanzamtes in Annaberg sollen an die 400 Beschäftige zusätzlich hier ihre Tätigkeit aufnehmen, von denen eine große Zahl auch in Buchholz Quartier nehmen dürfte. Wenn dann noch die erste Hochschule mit zahlreichen Studenten – meist weiblichen Geschlechts - in Annaberg ihre Pforten öffnet, werden die preiswerten Wohnungen in Buchholz bestimmt gefragt sein. Möglicherweise wird durch Kontakte zischen gutsituierten Finanzbeamten mit zunächst noch mittellosen Studentinnen der demographische Wandel aufgehalten, gar umgekehrt. Familien werden gegründet, leerstehende Wohnungen werden mit kommunalen Zuschüssen saniert, Einfamilienhäuser entstehen auf Brachflächen. Das wiederum füllt die vorhandenen Kindereinrichtungen und Schulen, macht sogar neue erforderlich, zumal viele Frauen und Mütter in unmittelbarer Wohnnähe einen Arbeitsplatz haben werden. Die bereits vorhandene Infrastruktur wie Rathaus, Kneipen und Hotels, die derzeit noch zweckentfremdet genutzt werden, erleben eine Wiederbelebung. Die Löhne und die Steuereinnahmen werden auch durch nunmehr in Buchholz ansässigen mittelständigen Unternehmen wieder steigen und zu Investitionen für die aufblühende Terrassenstadt mit enormen Erholungsfaktoren insbesondere in der sich stark entwickelnde Tourismusbranche Verwendung finden. Die Bürgerinitiative „Pro Buchholz“ koordiniert die wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Interessen der Buchholzer Bürgerschaft. Sie setzt sich dafür ein, dass nach 70jähriger Zwangsehe mit Annaberg ein eigenständiger Stadtrat für Buchholz gewählt wird, der sich hauptsächlich aus den Stadträten zusammensetzt, die heute die Interessen der Stief-Schwester-Stadt im Gemeinschaftsrat von Annaberg-Buchholz vertreten. Aus ihren Reihen sollte dann auch der Bürgermeister hervorgehen, der nicht nur von Geburt an mit der Stadt verwurzelt, sondern auch durch zahlreiche Aktivitäten pro Buchholz hervorgetreten ist: Dazu gehört u.v.a. das Spielen mehrerer Instrumente, das Beherrschen zahlreicher erzgebirgischer Mundartlieder – darunter das Buchholzer Nationallied auswendig und mit allen Strophen - ,die aktive Mitwirkung bei der Freiwilligen Feuerwehr, im Posaunenchor und bei den Bergmusikanten oder im Karnevalsverein - mindestens als Prinz. Wenn dann dies oben beschriebene Vereinsleben wie einst zu etwa 50% wieder funktionieren wird und die einst vorgesehene Straßenbahn zwischen Annaberger Markt und der Karlsbader Straße in Buchholz mit vielen Zwischenstationen an den ehemaligen und nunmehr wiederbelebten Kneipen pendelt, lebt auch Buchholz als eigenständig Stadt in fruchtbarer Konkurrenz zum dahin dümpelnden Annaberg wieder auf, - wie besagte Optimisten meinen, die fast allesamt derzeit in Buchholz leben...
Andere – und nicht nur Annaberger - vertreten dagegen eine eher pessimistische Variante und sehen die Zukunft der Stadt in einem Nirwana versinken. Sie meinen, dass die 400 Finanzbeamten in der Mehrzahl weder in Annaberg noch in Buchholz Quartier nehmen werden, da es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um jung-dynamische Pendler handelt, die ihre angestammten Pfründe in anderen Orten nicht aufgeben und sich schon gar nicht mit Studentinnen aus einer Annaberger Pflege-Hochschule paaren werden. Somit unterliegt Buchholz auch weiterhin einem demographischen Verfallsprozess, der letztlich durch nichts aufgehalten werden kann. Diese gar nicht so kleine Pessimisten-Gruppe beruft sich bei ihrer negativen Analyse auf wissenschaftliche Betrachtungen, die nachweisen, dass es meist demographische Entwicklungen und deren ökonomischen, politischen und kulturellen Folgeerscheinungen waren, die in der frühen, aber auch in der Geschichte der Neuzeit, Siedlungen, Dörfer, Städte, mitunter ganze Regionen zur Aufgabe gezwungen haben. Auch im Erzgebirge sind solche Entwicklung z.B. am Pöhlberg bekannt, wo ehemalige Dörfer u.a. auch aus diesen Gründen gänzlich verschwunden sind. Die pessimistische Prognose für Buchholz lautet also: Die wenigen Investitionen in diese sich immer mehr entsiedelnde Stadt (1910: fast 10.000, 1946: über 8.000, Juni 2011: noch ca. 3.500 Menschen leben hier) werden den sukzessiven Wegzug junger Leute in größere Städte mit echten Perspektiven für langfristige Lebensentwürfe nicht aufhalten können, so dass ein potentes Bürgertum nicht in Sicht ist. Eine Ansiedlung von produzierenden Betrieben oder gewinnbringendem Handwerk ist nur marginal möglich und wird - falls derzeit noch vorhanden – die übernächste Generation nicht überdauern. Dadurch ist eine Wiederbelebung von derzeit zweckentfremdet genutzter Infrastruktur (wie z.B. das Rathaus, ehemalige Post oder geschlossene Restaurants) nicht zu erwarten. Buchholz zu einer reinen Schlafstadt mit Erholungsfaktor und attraktivem touristischen Umfeld zu entwickeln dürfte auch fehlschlagen, da die infrastrukturellen und kulturellen Anforderungen selbst an diese möglichen Investoren oder Einwohner langfristig nicht erfüllt werden können. Somit ist also der Verfall dieser Stadt – Pessimisten rechnen von 75 bis 100 Jahren – nicht mehr aufzuhalten. Durch weitere Investitionen in diese in Agonie dahindämmernde und letztlich absterbende sowie einst im Nirwana versinkende Stadt kann dieser Exitus zwar verzögert, aber nicht verhindert werden. Und die verschwindend wenigen Bewohner, die in irgend einer Form den Abriss ihrer einstigen Stadt im Buchhenholze überlebt haben sollten, werden dann - nach Auffassung radikalisierter Hobby-Soziologen - in die leer stehenden Wohnungen nach Annaberg übergesiedelt...
g.b.s.
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