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Grande Dame des Annaberger Theaters
Fremde und persönliche Erinnerungen an die wandlungsfähige Sängerin Lotte Buschan, die am 23. Januar 100 Jahre alt geworden wäre und das hiesige Theaterpublikum über 20 Jahre begeisterte.
Als die „Sächsischen Neuesten Nachrichten“ am 25.10.1953, nach der Annaberger Premiere des „Paganini” von Lehar, vermelden konnten: „In Lotte Buschan besitzt das Kreistheater wieder eine Sängerin von Format, deren Anna Elisa durch lebensvolles Spiel und eine ebenso kultivierte wie tragfähige Stimme begeisterte...”, setzte sich die Sängerinnen-Karriere einer Frau, die das Annaberger Theaterleben zwanzig Jahre lang nachhaltig mit geprägt und als seine „grande dame” in die Annalen des Hauses Eingang gefunden hat, in wunderbarer Weise fort.
Lotte Buschan wurde am 23.1.1917 in Heidenau bei Dresden geboren. Während sich die Mutter, Rosa Buschan, um die Erziehung der Tochter kümmerte und in ihr frühzeitig die Liebe zur Kunst weckte, kletterte ihr Vater, Robert Buschan, über die Dächer des Städtchens, um den Ruß aus den Schornsteinen zu fegen und damit vielleicht auch das Glück ins Haus zu bringen. Das Schornsteinfeger-Geschäft der Buschans in Heidenau besteht nunmehr schon in der vierten Generation. Nach Abschluß der Kaufmännischen Volksschule beginnt sie ihre Lehrzeit beim Kaufmann Thedor Maaz in Pirna. Dies war auch die Zeit, in der ihr musikalisches Talent und besonders ihre wunderschöne Sopranstimme entdeckt wurden. Sie bewarbt sich an der Opernschule des Dresdener Konservatoriums, begann 1937 das Gesangstudium und erhielt dort im Mai 1941 ihren Abschluß als Sängerin. Die Kriegswirren, die auch um den sächsischen Raum keinen Bogen machten, verhinderten zunächst die weitere künstlerische Entwicklung von Lotte Buschan. Abgesehen von einigen konzertanten Auftritten sowie wenigen Gastspielen in der näheren Umgebung, wurde die Stimme der jungen Sängerin in dieser Zeit kaum gebraucht. An ein festes Engagement war sowieso nicht zu denken, da so gut wie alle Theater geschlossen waren. Noch kurz vor Kriegsende wurde sie ab Dezember 1944 in die Heidenauer Damenhutfabrik dienstverpflichtet. Kann sein, daß aus dieser Zeit ihre Vorliebe für Florentiner-Hüte herrührte, die sie dann später auf der Annaberger Bühne immer wieder gerne und mit viel Charme trug.
Endlich! Im Oktober 1945 wurde auf Befehl der sowjetischen Militäradministration das Theater in Heidenau wieder geöffnet und Lotte Buschan hielt ihren ersten richtigen Theatervertrag als Sängerin/Soubrette in den Händen. Von nun an begann ein rastloses, aufregendes und erfolgreiches Künstlerleben. Die einzelnen Stationen ihrer Laufbahn waren oftmals nicht länger als ein Jahr, aber gekennzeichnet von ungeheurer Intensität, voller Fleiß und unbezahlbaren Erfahrungen. Wahrscheinlich war es von jeher eines der Geheimnisse großer Darstellerpersönlichkeiten, dass sie sich in ihrer jungen Jahren nicht an ein großes Haus und ein Ensemble für viele Jahre binden, um lediglich zuschauen zu dürfen, wie ihnen die angestammten Künstler ihre Partien weg singen und -spielen. Viel eher war es möglich, sich an den kleinen Häusern in großen Rollen die Bühnenerfahrungen anzueignen, die später in künstlerische Meisterschaft münden. So treffen wir Lotte Buschan bereits 1947 am Stadttheater Bautzen, 1948 am Gerhard Hauptmann Theater in Görlitz und von 1949 bis 1952 verweilte sie etwas länger am Theater der Altmark Stendal. Hier in Stendal konnte sie bereits ihre ersten große Erfolge feiern. So schreibt der „Der neue Weg” am 23.5.1951 über die Premiere von „Hoffmanns Erzählungen”: „Der unvergleichlich leuchtende Schimmer, der dem Sopran Lotte Buschans eigen ist, befähigte die Sängerin im besonderen Maße, die Vorzüge ihrer Stimme für die beiden Frauengestalten ’Giulietta’ und ’Antonia’ voll einzusetzen. Der Erfolg war außerordentlich und rief die Mitwirkenden, auch den Intendanten, ungezählte Male vor den Vorhang”. Jener Intendant, der da nicht zuletzt wegen der Buschan so häufig vor den Vorhang mußte, bedankte sich bereits im Dezember 1950 bei der Sängerin für die großartige und menschlich wertvolle Zusammenarbeit. Üblich war es damals auch noch, daß der 1. Bürgermeister der Stadt sowie der Theaterdezernent Frau Buschan u.a. zur Premiere von „La Bohém” von Puccini „...in dankbarer Verbundenheit, mit den Wünschen für eine Reihe weiterer Erfolge“ gratulierten und selbstverständlich zur Premiere anwesend waren. Nachdem sie noch eine großartige „Aida” in einem Opernabend anläßlich des 50. Todestages von Giuseppe Verdi gab und beim Publikum mit der Verkörperung der Cho-Cho-San in „Madame Butterfly” von Puccini „...mit ihrem klangvollen Sopran und durch ihr natürliches Spiel einen tiefen, erschütternden und nachhaltigen Eindruck hinterließ”, wie der Kritiker schrieb, verließ sie Stendal, um ab September 1953 für eine Spielzeit am Stadttheater Cottbus hauptsächlich als Operettensängerin zu wirken. Dass sie auch dieses Metier meisterlich beherrschte, wurde ihr am 25.2.1954 von den „Brandenburger Neuesten Nachrichten” bestätigt: „Die launische 'Gräfin Mariza' gab Lotte Buschan mit stimmlicher Bravour und bemerkenswertem Temperament”.
Bis zum Jahre 1956 ist sie neben ihren Verpflichtungen am Cottbuser Theater in einer Vielzahl konzertanter Veranstaltungen in der dortigen Region zu erleben. In Zwickau, wo sie in der Spielzeit 1956/57 in „Paganini” von Lehar „stimmlich überragend und charmant in Gestalt und Spiel die Rolle der Fürstin Maria Anna Elisa sang...” (Union, 18.11.57), hat sie der damalige Intendant des Annaberger Theaters, Walter Siebenschuh, erlebt und ihr für die darauffolgende Spielzeit einen Vertrag als Sängerin an seinem Theater angeboten. Mit dem Engagement in Annaberg begannen ihre vielleicht produktivsten und schönsten Jahre. Hier wird sie nach all den vielen Theater-Stationen ihre künstlerische und auch private Heimat finden. „Die Buschan singt!” - Diese Mitteilung über die Besetzung einer Partie in Opern- oder Operettenaufführungen mit Lotte Buschan ging von Mund zu Mund und war in jener Zeit so etwas wie ein Qualitätssiegel für das Theater und für die Gunst des Publikums gegenüber dieser Frau und ihren nachhaltigen künstlerischen Leistungen hier in Annaberg.
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Und wieder war es die Fürstin in „Paganini”, mit der sie im Sturm die Herzen der Annaberger Musiktheaterfreunde eroberte: „Sie besitzt neben vorteilhafter Bühnenerscheinung die Vorzüge eines gut geführten, leuchtenden Soprans und verfügt auch über Charme und das nötige Temperament” - meinte der Kritiker der „Union” am 26.10.57 über „den neuen, glänzenden Stern am Annaberger Operettenhimmel” (Sächs.Tageblatt, 28.10.57). Tatsächlich entwickelt sich Lotte Buschan, neben ihrer weiteren Liebe zur großen Oper, hier in Annaberg auch zu einer gefeierten Operettensängerin, die den von ihr gestalteten Partien eine besondere Qualität verlieh, wie sie sonst in diesem Fach nicht immer anzutreffen ist. So begegnen wir ihr nun als „Die keusche Susanne” oder als Wirtin „Im weißen Röß'l” auf der Greifenstein-Freilichtbühne, wo sie die komischen Seiten ihrer vielfältigen Gestaltungsmöglichkeiten voll ausspielte. Auch hier, wie in den vielen anderen Rollen, die sie in dieser Annaberger Zeit verkörperte „überzeugt Lotte Buschan durch charmantes Aussehen und sauberen Gesang...” wie der langjährige Musikkritiker, Chorleiter und mein Klavier- und Gesangslehrer Oberstudienrat Werner Naumann am 4.1.1958 in der Annaberger „Volksstimme” schreibt. Die Buschan war sich auch nicht zu fein, die Strapazen der vielen Abstecher quer durch das Erzgebirge und besonders hinauf zu den Greifensteinen mitzumachen. Und so konnte man sie eben auch in den sogenannten „Wandelkonzerten im festlich illuminierten Waldschlößchenpark” in Buchholz, unter der Stabführung des unvergessenen MD Erich Vietze, den Csárdas aus der „Fledermaus” singen hören. Zu ihren größten Erfolgen am Annaberger Theater gehören wohl aber u.a. die Gräfin in „Figaros Hochzeit”, die Oberin des Klosters in „Mam'zelle Nitouche” und selbstverständlich die Frau Zirkusdirektorin Induna im überaus erfolgreichen „Feuerwerk” in der Spielzeit 1965/66. Bei den Kindern wird sie wahrscheinlich die größten Eindrücke mit ihrer komisch-skurrilen Darstellung der Hexe in Humperdincks Märchenoper „Hänsel und Gretel” hinterlassen haben. Die heute erwachsenen Kinder von damals werden sich noch daran erinnern können, wie brechend voll zu jener Zeit der Saal gerade bei diesem Weihnachtsmärchen immer war, obwohl es wegen Bauarbeiten am Theater interimsmäßig im Filmtheater „Glückauf” in der Ernst-Thälmann-Straße gegeben wurde. Werner Naumann schrieb zur Premiere am 19.12 1962 in der „Freien Presse”: „Ganz hervorragend in Maske, Kostüm und Spiel erschien Lotte Buschan. Sie stellte eine Knusperhexe auf zwei steckendürre Beine, wie man sie sich nicht köstlicher wünschen konnte. Auch gesanglich schöpfte sie ihre Partie völlig aus”. Ebenso gestaltete sie die kleineren Rollen, die in den Jahren danach folgten, mit der ihr eigenen Qualität - und überall schaute noch die Große Dame von ehemals leidenschaftlich hervor. Wer das Glück hatte, mit Lotte Buschan auf der Bühne zu stehen, wie mir dies kurzzeitig vergönnt war, oder wer sie in ihren großen und kleinen Partien bewundern durfte, wird bestätigen, welch großen Verlust das Annaberger Theater hinnehmen mußte als sie am 31.12.1976 ihren geliebten Annaberger Brettern - die auch ihr die ganze Welt bedeuteten – „Adieu” sagte und in den Ruhestand ging. Ab April 1992 verbrachte Frau Buschan ihren Lebensabend dann gut umsorgt - sowohl vom dortigen Personal als auch von der Familie Arnold aus Geyer - im Altenpflegeheim an der Waldschlößchenstraße. Dort bekam sie sicherlich noch einen kleinen Teil der „Streicheleinheiten” zurück, die sie uns jahrzehntelang von der Bühne herab mit ihrer wundervollen Stimme gab, bevor die großartige und sehr beliebte Sängerin im Januar 1994 in Annaberg für immer ihre Augen schloß.
Gotthard B. Schicker
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