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Lichtblicke & Schandflecken III

Lichtblicke & Schandflecken Teil 1
Lichtblicke & Schandflecken Teil 2

Lichtblick – St. Annen-Kirche

Gottes Zeigefinger der Erzgebirgs-Hauptstadt verweist auf etwas Großes, Schönes, Katholisches und Einmaliges, das mehr als nur einen Besuch wert ist

Reichlich 25 Jahre haben Baumeister und Handwerker gebraucht, um dieses bewunderungswürdige spätgotische Gebäude zu errichten, bevor der „Annabergsche Tempel“ 1525 vom Meißner Bischof von Schleinitz der Großmutter Jesus, der Hl. Anna, geweiht werden konnte. Noch heute sieht man an den Altären und dem sonstigen Zierrat, dass es sich um ein katholisches Gotteshaus gehandelt hat, in dem es einst nach Weihrauch roch und Reliquien der Namenspatronin sowie anderer Heiliger verehrt wurden. Mit dem Tod des erzkatholischen Stadtgründers und Gegner Luthers, Georg der Bärtige, im Jahre 1539, wurde auch diese Kirche reformiert.

Der Besucher von heute wird meist mit offenen Türen empfangen, und – wer möchte –  auch von gut ausgebildeten Mitarbeitern geführt. Der „Bergmanns-Dom“, wie die Kirche oftmals deswegen so genannt wird, weil hier auch Bergleute die Gottesdienste besuchten (die aber eine eigene Marien-Berg-Kirche am Markt haben), ist bautechnisch und denkmalpflegerisch gut im Schuss.

Man hat sich zu allen Zeiten, entsprechend den jeweiligen finanziellen Möglichkeiten, um den Erhalt dieses markanten Wahrzeichens der Stadt gekümmert. Sehenswert sind neben dem beeindruckenden hohen Innenraum (vielleicht sogar mit Walcker-Orgelklang) u.a. der fast 500 Jahre alte Taufstein, die Kanzel mit dem reichlichen Bildwerk (u.a. Mutter Anna Selbtritt), der Hauptaltar mit dem Stammbaum Jesu aus der Wurzel Jesse (u.a. mit Stadtgründer und dessen polnischer Frau), die Münz-, Pflocksche- und Bäckeraltäre und selbstverständlich der mittlerweile weltbekannte Bergaltar. Allerdings ist dabei kunstgeschichtlich immer die von Hans Hesse bemalte Rückseite gemeint, stellt er doch für die Zeit der Renaissance ziemlich einmalig die Arbeit im und auf dem Berg sowie arbeitende Frauen in den Mittelpunkt.

Aber auch die aus dem ehemaligen Franziskanerkloster hier eingebaute „Schöne Tür“ oder die Bilderbibel sowie all die anderen Emporenreliefs – darunter die „Lebensalter“ - sind mehr als nur sehenswert. Und wenn dann die wärmere Jahreszeit wieder beginnt, ist ein Aufstieg auf den Turm der Kirche mit einem wundervollen Ausblick über die Stadt und das Erzgebirge ein Erlebnis. Das kann nur noch mit einem Besuch bei der vermutlich einzigen Türmer-Familie Deutschlands und dem Klang der gewaltigen Glocken gesteigert werden. Die sind allerdings derzeit noch zur Reparatur in bayerischen Landen. Ab März sollen sie dann wieder von diesem einmaligen Annaberger Lichtblick weit ins Land hinein künden...

Schandfleck - oder bereits Kulturschande?

Die sehr seltene und in Sachsen vermutlich einmalige Außenkanzel an der Annaberger Trinitatis-Kirche wird weiter dem Verfall preis gegeben

Nahezu jede Kirche besitzt eine Kanzel von der das „Wort Gottes“ verkündet wird. In spätkatholischen Zeiten befand sie sich meist links oder rechts neben dem Altar. Nach der Reformation wurde die Wortverkündigung, also die Predigt, der Mittel- und Höhepunkt des evangelischen Gottesdienstes. Von daher sind die nachreformatorischen Kanzeln meist in der Mitte des Kirchenschiffes (siehe z.B. St. Annen-Kirche) angeordnet. Nur bei ganz wenigen Kirchen hat man sich dazu entschieden, neben der Innen-Kanzel, auch eine am äußeren Kirchenschiff anzubringen. Solche Außenkanzeln sind in Italien seit dem 12. Jahrhundert und in Deutschland und Frankreich seit dem 15. Jahrhundert bekannt. In Sachsen findet man solche Kanzeln, die entweder von innen oder durch eine Außentreppe erreicht werden konnten, um 1500 hauptsächlich an Wallfahrtskirchen. Sie stellen heute eine Seltenheit dar.

Solch eine Wallfahrtskirche war auch die Hospitalkirche St. Trinitatis in Annaberg-Buchholz am Wolkensteiner Tor. Die erste Kirche an dieser Stelle wurde vermutlich wenige nach Jahre der Stadtgründung von Annaberg im Jahre 1496 errichtet. Ab 1517 ist das Gebäude erstmals in Chroniken nachweisbar. Um 1519 wurde von hier regelmäßig am Dreifaltigkeitstag (Trinitatis) eine Wahlfahrt mit Markt - an einer vermutlich kleineren Kirche – abgehalten, aus dem sich das Volksfest KÄT entwickelte. Von 1526 bis 1529 ist eine neue Kirche erbaut worden, die beim großen Stadtbrand von 1604 zerstört wurde.

Der Wiederaufbau erfolgte dann zwischen 1684–86 noch im Stil der Renaissance, obwohl bereits der Barock „modern“ war. Im Jahre 1826 wurde die Kirche erneut durch einen Brand zerstört und anschließend im klassizistischen Stil sowie in größeren Ausmaßen wieder aufgebaut und mit einem Dachreiter geschmückt, der dem ehemaligen Turm der St.-Annen-Kirche sehr ähnlich sieht. An dem Bau von nach 1500 soll bereits eine Außenkanzel vorhanden gewesen sein, die man beim wiederholten Aufbau nach 1826 wieder dort angebracht hat, wo sie einst in Richtung Auferstehungslinde zeigte und unter der die Honoratioren der Stadt bei schönem Wetter auf eigenem Gestühl der Predigt des Pfarrers lauschten. Aber sie diente auch als Predigerkanzel für das gemeine Volk, das im Gotteshaus zu Wallfahrtszeiten keinen Platz finden konnte. Noch um 1950 soll dort manchmal eine Predigt im Freien gehalten worden sein, erinnern sich alte Annaberger.

      Es gibt nicht mehr viele dieser Außenkanzeln in Europa, in Deutschland und nur ganz wenige in Sachsen. Je nach ihrer Funktion nannte man sie auch Pilger-, Ablaß-, Frei-, Feld- oder Ratskanzel. Alle diese Bezeichnungen treffen auch auf die an unserer Trinitatiskirche zu, denn auch als Ratskanzel soll sie fungiert haben, wenn der Rat der Stadt dort mitunter (ähnlich wie im Garten der Frohnauer Mühle) seine Ratssitzungen im Freien abhielt und der Pfarrer ihm möglicherweise vorher oder danach per Predigt die Leviten las.

Die frühesten Beispiele solcher Außenkanzeln sind aus dem 12. Jahrhundert an den Kirchen von Bologna und Borgo zu besichtigen, aber auch am Dom zu Prato (von Donatello und Michelozzo, 1434-38), an der Kathedrale in Nantes und den Friedhofskirchen in Guerne und Guimilian, an der Michaelskapelle in Kiedrich oder am Stephansdom in Wien, die alle aus dem 15. Jahrhundert stammen und sorgfältig gepflegt werden. In jüngster Zeit hat der Bauhausarchitekt Le Corbusier 1955 an der Wallfahrtskirche in Ronchamp eine solche Außenkanzel angebracht. Auf deutschem Gebiet ist diese Art von Kanzel ebenfalls sehr spärlich gesät. Man findet sie noch in Gera (Trinitatiskirche, um 1500), Trennen in Brandenburg (St. Marien, um 1500), Augustinerkirche Erfurt (1276), Leonhardikirche in Frankfurt/Main (1519), Barby (Friedhofskapelle, 1591) Geisa/Thür. (Gangolfikapelle, um 1600) sowie an der Wallfahrtskirche auf der anderen Seite des Erzgebirges, an der St.-Marien-Kirche in Quinau bei Komotau.

In ganz Sachsen dürfte unsere Trinitatiskirche die einzige mit einer Außenkanzel sein (der Balkon an der Bärensteiner Erlöserkirche zählt nicht zu den Außenkanzeln, obwohl er auch zu Predigtzwecken genutzt wurde). Um so unverständlicher ist es, wie man dieses überaus seltene Kulturgut seitens der Landes- und Stadtregierung, aber auch seitens der Kirchenverwaltung, derart verkommen lässt. Versuchte man in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts das Gebäude noch als Jugendkirche zu nutzen, so ist – auch in Folge der zunehmenden Kirchenaustritte – eine derartige Wiederbelebung nicht von Dauer gewesen. Mehrere Einbrüche und ein Brand im Inneren der Kirche verwüsteten sie stark. Ab 2006 wurde eine Notsicherung durchgeführt. Der ursprüngliche Plan, im Gebäude ein Zentrum für zeitgenössische Kunst unter dem verheißungsvollen Motto „Vision Trinitatis“ zu etablieren, wurde im Jahre 2008 noch mit drei Ausstellungen und Veranstaltungen realisiert. Das Publikumsinteresse war aber so schwach, dass das Projekt wieder aufgegeben werden musste.

Wenn man schon für das leer stehende Kirchengebäude keinen Nachnutzer findet, so sollte doch zumindest die einmalige Außenkanzel mit der sie umgebenden Anlage („Güldener Schwibbogen“ mit Gruften bedeutender Annaberger Persönlichkeiten, Auferstehungslinde, Grabdenkmal der Barbara Uthmann) dem weiteren Verfall und dem Ruf einer Annaberger Kulturschande entzogen werden. Man fragt zurecht, wo sind die Sponsoren, die Mäzene die hierbei tatkräftig mithelfen könnten? Es müssen ja nicht wie einst nur die Bäcker sein, die damals einen großartigen Altar in der St. Annen-Kirche sponserten. Die Geldleute von heute gehen anderen Professionen nach, und viele unter ihnen sollen sogar wahre Patrioten sein, heimatverbundene Erzgebirger noch dazu. Hier hätten sie ein Betätigungsfeld, auf dem ihre guten Taten in die Zukunft wirken könnten. Und das kleine Schild, auf dem dann der Name des Mäzen in Stein gemeiselt die nächsten Jahrhunderte überdauert und die alte Kanzel oder Uthmanns Grabstätte ziert, - das könnte dann bestimmt noch aus dem Stadtsäckel spendiert werden...

G.B.S., red.

 

 

 

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