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Wir werden sie in Ehren halten
Am 9. November 2015 trafen sich um 14 Uhr VertreterInnen von Parteien, Gewerkschaft, Schulen sowie Stadträte, um der Enthüllung zweier Grabsteine Annaberger Juden durch OB Rolf Schmidt beizuwohnen. Seine Ansprach im Wortlaut lesen Sie bitte - hier:
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Ansprache des Oberbürgermeisters der Großen Kreisstadt Annaberg-Buchholz, Rolf Schmidt, anlässlich der Enthüllung der Grabsteine jüdischer Annaberger Bürger am 9.11.2015 um 14.00 Uhr am Ehrenhain des Neuen Friedhofs.
“Verehrte Anwesende,
der 9. November ist für uns Deutsche ein schicksalsträchtiger Tag. Er ist mit vielen einschneidenden Ereignissen verbunden. Wir denken heute an den Fall der Berliner Mauer 1989, aber hier an diesem Ort am Jüdischen Ehrenhain gedenken wir des düstersten Kapitels unserer Geschichte, der Nazidiktatur und der Verfolgung und Vernichtung unserer jüdischen Mitbürger.
In der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurden auch in Annaberg Juden verhaftet und deren Wohnungen demoliert. Der Betsaal in der Buchholzer Straße wurde verwüstet und der jüdische Friedhof zerstört und geschändet. Die Friedhofshalle wurde gesprengt, die Grabsteine umgestoßen und zerschlagen. Zynisch und menschenverachtend ist die Reaktion des damaligen Bürgermeisters der Stadt Annaberg, die sich in seinem Briefwechsel mit der Jüdischen Gemeinde und den Behörden widerspiegelt. 
Die verbliebenen Grabsteine wurden auf den jüdischen Friedhof nach Chemnitz gebracht, das Grundstück entschädigungslos enteignet und als Eigentum der Stadt deklariert. Nach Kriegsende konnte die Stadt Annaberg-Buchholz, dank einer Vereinbarung mit der Jüdischen Gemeinde Chemnitz, die noch erhaltenen Grabsteine auf den eigens dazu angelegten Ehrenhain auf dem Neuen Friedhof überführen.
Die Grabsteine dieses Ehrenhains sind die einzigen Sachzeugen, die an die jüdischen Mitbürger in Annaberg-Buchholz erinnern – letzte Zeitzeugnisse der einstmals blühenden Gemeinde, die in unserer Stadt seit 1890 existierte. 1902 erwarb die Israelitische Gemeinde ein Grundstück zur Anlegung eines Friedhofs. An der damaligen Annaberg-Chemnitzer Straße, wo sich heute gegenüber das Erzgebirgsklinikum befindet, wurde die Anlage mit Friedhofshalle ein Jahr später errichtet und fertiggestellt. Nur 35 Jahre lang bestand dieser Friedhof.
In diesem Jahr erinnern wir mit verschiedenen Veranstaltungen an die Gründung der Israelitischen Gemeinde in Annaberg am 12. Mai 1890.
 Durch große Zufälle wurden in Chemnitz zwei der vermissten Grabplatten des Annaberger jüdischen Friedhofs wiedergefunden. Dabei handelt es sich um Grabtafeln zweier Bürger, die in Gemeinde und Stadt eine besondere Rolle spielten: Gustav Büchler, der sich als erster jüdischer Bürger 1868 in Annaberg niederließ und ein bedeutender Posamentenunternehmer war. Gustav Büchler war der erste, der auf dem jüdischen Friedhof beigesetzt wurde. Seine Grabplatte wird nun neben der seines Bruders William einen Platz finden. Die zweite Grabplatte ist die des Begründers und ersten Vorstehers der Jüdischen Gemeinde, Isaak Chanange (auf Foto 2. v.r., bei einer Stadtratssitzung 1907), Unternehmer, Mäzen und Stadtrat. Es ist eine wunderbare Fügung, dass gerade im 125. Gründungsjahr der Israelitischen Gemeinde, die Grabtafel ihres ersten Vorsitzenden wieder in die Heimatstadt nach Annaberg-Buchholz zurückkehrt. Sein Sohn Heinrich wurde im Juni 1938 in der Annaberger Scheibnerstraße von den Nazis zu Tode gehetzt. Er war der letzte jüdische Bürger, der auf dem Friedhof beigesetzt wurde. Vor kurzem konnten wir Kontakt mit seinem Enkel in Ecuador aufnehmen. Für die ganze Familie Chanange, die heute in Amerika lebt, tut es gut zu wissen, dass ihre Vorfahren in Annaberg-Buchholz nicht vergessen sind.
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Ich freue mich, dass es in unserer Stadt viele Bemühungen - gerade auch in den Schulen - gibt, die Erinnerung an die Annaberger jüdische Gemeinde wachzuhalten und Lehren aus der Geschichte zu vermitteln.
Nach der offiziellen Übergabe und Segnung der Grabplatten im Mai können wir nun die Grabsteine enthüllen, die hier ihren dauerhaften Platz gefunden haben. Wir werden sie in Ehren halten.”
Zum Thema “Juden in Annaberg” - hier
PRESSEMITTEILUNG
Zu weiteren Ereignissen im Gedenken an die Reichspogromnacht am 9. November in Annaberg-Buchholz
Mit gleich drei Veranstaltungen wurde in Annaberg-Buchholz am 9. November 2015 an die Reichspogromnacht am 9. November 1938 sowie das Schicksal von Annaberger Juden erinnert. Auf dem städtischen Friedhof in Annaberg-Buchholz enthüllte Oberbürgermeister Rolf Schmidt gemeinsam mit Schülerin Anne Haarig vom Beruflichen Schulzentrum für Technik, Ernährung und Wirtschaft zwei Grabsteine, die die Stadt Annaberg-Buchholz im Mai diesen Jahres von der jüdischen Gemeinde in Chemnitz zurückerhielt. Es handelt sich um die Grabtafeln von Isaak Chanange, dem einstigen Begründer der Israelitischen Gemeinde Annaberg sowie von Gustav Büchler, der sich als erster jüdischer Bürger 1868 in Annaberg niederließ und als Posamentenunternehmer bedeutende Verdienste erwarb. Steinmetz ThomasWagler, der bereits an der Dresdner Frauenkirche wirkte, schuf für die Grabtafeln sehr würdige, weiße Sandsteinstelen. Oberbürgermeister Rolf Schmidt erinnerte in seiner Ansprache an das Schicksal der beiden Juden und die Geschehnisse der Reichspogromnacht in Annaberg (siehe Rede im Wortlaut oben). Dankbar zeigte sich Oberbürgermeister Rolf Schmidt über schulische Initiativen, mit denen die Erinnerung an die Juden und den Holocaust wachgehalten wird und Lehren aus der Geschichte gezogen werden.
Ausstellung zum Holocaust und Geschichte der Annaberger Juden
Passend zum 9. November 1938 stellen Schüler der 12. Klassen des Beruflichen Schulzentrum für Technik, Ernährung und Wirtschaft vom 9. bis zum 13. November 2015 im kleinen Saal des Erzhammers die Ergebnisse ihrer Projektarbeiten vor. Sie befassen sich darin sehr engagiert mit dem Holocaust und begeben sich auf die Spuren des jüdischen Wirkens in Annaberg.
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Die sehenswerte Ausstellung vermittelt u.a. aufschlussreiche Informationen zur Entstehung des NS-Ideologie, zur Verfolgung bestimmter ethnischer Gruppen sowie zu den Todesmärschen in Sachsen. In einer Broschüre mit dem bezeichnenden Namen „Mein Kampf“ werden Begriffe aus der Zeit der Nazidiktatur erläutert. Beklemmend auch der nachgestaltete Aufbau des KZ Auschwitz sowie die über 20 KZ-Stätten und Außenlager in Sachsen, u. a. im Keller des ehemaligen Erzgebirgshofes am Annaberger Kätplatz. Nicht zuletzt wird in der Ausstellung auch die „Lingua tertii imperii“, die Sprache des dritten Reiches thematisiert. Mit ihrer Rhetorik und Demagogie beeinflusste sie Hunderttausende Bürger und schaltete sie im Sinne der Nazis gleich. Vor allem Reichspropagandaminister Joseph Goebbels und Adolf Hitler nutzten sie für ihre öffentlichen Auftritte. Victor Klemperer analysierte diesen pervertierten Sprachgebrauch in seinem Werk „LTI – Notizbuch eines Philologen“. Darüber hinaus können Besucher der Ausstellung auf einer Zeitleiste die Verfolgung der Juden über zwei Jahrtausende sowie die Entstehung des Staates Israel nachvollziehen.
Ein beachtliches Ergebnis des Forschungsprojekts der Schüler ist auch die Stadtführung „Auf den Spuren jüdischen Wirkens in Annaberg“, zu der am 9. November 2015 erstmals eigeladen wurde. Sie führte die Teilnehmer zu den einstigen Wohnhäusern und Firmen jüdischer Bürger, zu ihren ehemaligen Kaufhäusern, Manufakturen und zum Standort des einstigen jüdischen Bethauses. Derzeit wird überlegt, in welcher Weise diese Schülerprojektarbeit in das Angebot städtischer Führungen integriert werden kann.
Matthias Förster Pressestelle
Fotos: AW (3), Förster (1)
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