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Kulinarischer Weihnachtsmarkt-Rundgang

Der Annaberger Weihnachtsmarkt gehört nicht nur zu den weltweit anheimelndsten, sondern auch zu den schmackhaftesten. Die dort vertretenen Gastronomen, Würschtelbrater und Glühweinausschenker haben sich auch 2016 wieder kulinarisch etwas „Zeit für das Besondere“ genommen. Ob die angebotenen Speisen und Getränke den Erwartungen der einheimischen “Gutguschn” und denen der Besuchermassen aus allen möglichen Gegenden gerecht werden, wollten wir bei einem freundlich-kritischen Gastro-Rundgang erfahren.

Bewährt hat sich offenbar, dass jedes Jahr eine neue-alte Suppe, also ein historisches ERB-Gericht wie von Omas Herd aus diversen Buden duftet, dabei Einheimische und Fremde auch auf unseren typisch erzgebirgischen Geschmack aufmerksam macht und vielleicht so manchen zum Nachkochen in der heimischen Küche anregt. Nach erfolgreichen Verabreichungen von Kartoffel-Suppe (2014) und Kuttelflecken-Suppe (2015) wurde von den Gastronomen diesmal die erzgebirgische Linsen-Suppe aus dem Buch „ERB-Gerichte – Vom Essen und Trinken im sächsisch-böhmischen Erzgebirge“ ausgewählt.
Der Spitzen- und Fernsehkoch Christian Henze (auf Foto links) ließ sich von den darin enthaltenen Rezepten für seine Kochshow am 1. Dezember auf der Annaberger Weihnachtsmarkt-Bühne (Moderation Hubert Müller) anregen und interpretierte nach der Linsen-Suppe auch eine Adaption der Quarkkeulchen aus dem Buch „ERB-Gerichte“ (4. Auflage), das vom Autor Gotthard B. Schicker (auf Foto rechts) dabei vorgestellt wurde.
Henze - Schicker (Andere)
Erbgerichte (Andere)
Überall dort, wo das historische Rezept dieser Neinerlaa-Supp möglichst nahe am Original in den Gastro-Buden umgesetzt wurde, erfährt sie den meisten Zuspruch. In dieser Variante erinnert sie am ehesten an eines der Hauptbestandteile beim
Neunerlei/Neinerlaa, (Foto links) jenem neun-gängigem Menü, das nur im Erzgebirge am Hl. Abend um 18 Uhr nacheinander (niemals auf einem Teller!) auf die hiesigen Tische kommt und wo die Linsen-Suppe das Kleingeld symbolisiert, das im neuen Jahr nie ausgehen möge. Erz-Erzgebirger haben den hiesigen Gastronomen inzwischen Voraus-Ablass erteilt, wenn sie in ihren Gaststätten dieses typische Erzgebirgs-Mahl ahistorisch vom 1. Advent bis zum 6. Januar anbieten, um so, neben dem geschäftlichen Erfolg auch einen als kulinarischer Botschafter des Erzgebirges – insbesondere bei unseren zahlreichen auswärtigen Gästen - verbuchen zu können. Neunerlei (Andere)
Sechs Varianten werden auf dem diesjährigen Weihnachtsmarkt in Annaberg von der Linsen-Supp angeboten, und von keiner kann man sagen, dass sie nicht schmecken würde. Wobei das natürlich Geschmackssache ist, über die man durchaus streiten kann. Aber Geschmack kann auch gebildet werden. Schließlich gibt es im Deutschen das sinnfällige Doppelsubstantiv von der Geschmacks-Bildung. Eine Angelegenheit, die sowohl auf die Kulinarik als auch auf die Kunst in ähnlicher Weise zutrifft.
Bei einer der von uns probierten Linsen-Suppen war vielleicht etwas zu viel Essig im Spiel, jene saure Flüssigkeit, die man in Kühlschrank losen Zeiten als Konservierungsmittel benutzt hatte, damit die Suppe auch noch am 2. Heiligabend (Neujahr) – an dem es meist die aufgewärmten Reste des Neunerlei gab – noch genießbar war. Am ehrlichsten und damit am besten hat sie uns an einer Bude geschmeckt, die von einem Fleischermeister betrieben wird, der zwei Geschäfte in Annaberg besitzt und im vergangenen Jahr bereits mit seiner Kuttelflecken-Supp überzeugen konnte. Wenn die in Varianten damals angebotene Flecken-Supp auch bei wenigen käbischen Erzgebirgern auf Ablehnung gestoßen sein mag, weil deren Geschmacksnerven unter einem gewissen historischen Bildungsnotstand leiten, so kamen Genießer von weit her, um diese kulinarische Köstlichkeit – die in Frankreich und Italien ein Gourmet-Gericht ist – im Herzen des Erzgebirges zu verinnerlichen. Mit der diesjährigen Linsen-Suppe dürfte derweil ein die Gaumen übergreifender Konsens hergestellt worden sein..., obwohl – aufgrund der großen Nachfrage, wie man uns bestätigte – zwei Buden auch auf diesem Weihnachtsmarkt wieder die gute Flackn-Supp (zwischen 3,50 und 4,50 Euro !) im Angebot haben. Der Preis ist schon wegen der langen Garzeiten und dem damit verbundenen Energieverbrauch bei der Flecken-Suppe gerechtfertigt. Aber warum dann die Linsen-Suppe (fast) überall auch diesen Preis mit sich herumschleppt, konnte von den Anbietern nicht so recht über die Theke gebracht werden.

Bei den Bratwurscht-Buden kommt der Verdacht auf, dass man eine Art Preisabsprache getroffen haben könnte. Bratwurst (Andere)
Kosteten die normalen Bratwürste im vergangenen Jahr noch 2,50 Euro das Stück, so sind 2016 die Preise durchweg auf 3,00 Euro angehoben worden, - egal wie lang das Ding ist. Begründet wird das mit Kostensteigerungen bei Strom, Wasser, Personal... Selbstverständlich wird man als Unternehmer am Gewinn keine Abstriche machen wollen, daher werden tatsächliche und vermeintliche Kosten auf die Kunden umgelegt. Die stehen nun teilweise leicht kopfschüttelnd vor den Anschlagtafeln, auf denen aber nicht nur die Bratwurst im Preis angezogen hat. Viele freuen sich wiederum auch darüber, insbesondere Gäste aus den verbrauchten Bundesländern, dass man hier derart preiswert naschen und genießen kann. Einheimische, die es aus München, Frankfurt, Hamburg oder Düsseldorf zur Weihnachtszeit auf ihren heimatlichen Weihnachtsmarkt verschlägt, sieht man dagegen nicht mehr die Köpfe über die Preise schütteln, das haben sie schon in ihren Wahlheimaten (die echte Heimat kennt keinen Plural!) hinter sich gebracht. Allerdings kann auch in Annaberg erwartet werde, dass die Bratwürste für 6,00 Mark das Stück – man rechnet immer noch gerne um – von der geschmacklichen Qualität her einen entsprechenden Standard garantieren. Das ist leider nicht an allen Buden der Fall. Dies betrifft sowohl die Einwaage beim Brät, die Würze und auch den Bratvorgang. Zu oft bekommt man ausgedrocknete, zu lange vorgebratene Knautschlackriemen angeboten, oder solche, die mit manch schwarzem Räucherkerzchen in Konkurrenz treten könnten, wenn sie nicht mit Ketschup (!) übertüncht würden, obwohl Senf keine Mangelware darstellt und der natürliche Begleiter der Bratwurst seit Urgroßvaters Zeiten ist. Bei derartig verunglückten Würsten wird empfohlen, bitte kein ansonsten typisches Erzgebirger-Verhalten an den Tag zu legen und das Ding kritiklos in sich hineinzufressen, nein! Unbedingt – vielleicht sogar im Beschwerdeton - zurück geben! Hierbei handelt es sich aber um Ausnahmen. Die meisten Würste schmecken dann am besten, wenn sie nicht zu lange im verbrauchten Fett geschwommen sind und die richtige Temperatur abbekommen haben. Dabei müssen die von der Holzkohle nicht in jedem Falle die schmackhaftesten Bratwürste sein, sie sollten es aber...
Auch beim Glühwein gilt der Leitsatz: Das Original ist immer noch am besten! Wer sich allerdings an den zahlreichen Mix-Varianten berauschen möchte, - seine Sache. Leider wird dabei zu oft übersehen, dass zusätzliche alkoholische Getränke im Glühwein dessen eigene Schwäche nur kompensieren sollen. Zu selten kann man erleben, wie Glühwein aus echten Rotweinflaschen kommend, mit den historischen Zutaten bestückt über den Tresen gereicht wird. Meist wird er aus einem 10 Liter-Kanister (zwischen 13,00 und 17,00 Euro das Stück im Einkauf mit einem Alkoholgehalt von ca. 9%) für 3,00 Euro in die motivisch gelungen Weihnachtssammeltassen als 0-8-15-Brühe per ¼ Liter abgefüllt (der Liter kostet ca. 1,20 Euro).
Im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL war am 9.12.2009 zu lesen: „Rund 50.000 Euro Umsatz macht ein Glühweinhändler in einer Saison, berechnete der Verband der Schausteller und Marktleute 2002, der durchschnittliche Weihnachtsmarkthändler gerade einmal die Hälfte“. Mag diese Zahl veraltet sein und möglicherweise auf Großstädte in den greisen Bundesländern zutreffen, aber die Annaberger Glühweinausschenker dürften durchaus nach dem vierwöchigen Budenzauber auch nicht am Hungertuch nagen müssen... Es gibt eine Bude, die uns beim Rundgang nachprüfbar in die Tasse versprochen hat, dass es für die Betreiber eine gastronomische Ehre sei, nicht aus Kanistern, sonder guten Rotwein aus Flaschen für den Glühwein zu benutzen. Und der schmeckte dann eben auch danach! Der Gewinn sei dadurch auch nicht viel geringer, verriet uns die rotwangige Gastronomin noch mit vorgehaltener Hand, und die (Stamm)Kundschaft wisse beides sichtbar zu schätzen.Ung. Baumkuchen (Andere)

Freilich könnte man sich jetzt noch über das Verhältnis von Produkt-Einwaagen, Kalkulationen und Gewinnen bei den Waffelbäckern oder den Schneeballverkäufern verbreiten, oder sich über die doch recht unterschiedliche Qualität bei den Stollen wundern, die oftmals zwischen den Jury-Ergebnissen am Stollen-Probier-Tag im Erzhammer und den Weihnachstmarkt-Geschmacks-Wirklichkeiten differiert. Schmunzeln kann man auch über manch landläufiges Gericht, das mit fantasievollen Bezeichnungen aus dem Bergmannsleben oder der Stadtgeschichte sowie deren Persönlichkeiten garniert wurde, um über psychologisch geschickt gesteuerten Gaumenkitzel die Brieftaschen leichter öffnen zu können.
Toll auch die schmackhafte Internationalität auf unserem Weihnachtsmarkt: Zu den zwei deutschen Honigbuden gesellt sich mit zunehmender Beliebtheit alljährlich noch ein Nordmannhaus, das arktischen Honig (Korpihunaja) und verschiedene Senfsorten aus Finnland feil bietet.
Das als “Annaberger Baumstriezel” daher kommende Rollengebäck hat allerdings weder etwas mit unserem Baumkuchen, Strietzel oder gar Annaberger kulinarischer Tradition zu tun, vielmehr handelt es sich um eine Variante des sehr schmackhaften ungarisch-rumänischen Erdélyi kürtöskalács (Transsilvanischer Kaminkuchen), der von den magyarischen Spezialitäten der Fleischerei Nagy (Nodsch gesprochen) ergänzt wird. Schade nur, dass unser unmittelbares Nachbarland Böhmen nicht mit paar kulinarischen Spezialitäten vertreten ist. Die angebotene Keramik und das Küchensteingut von dort provozieren appetitliche Hoffnung auf kommende Weihnachtsmärkte in der Hauptstadt des Weihnachtslandes.

Die Musik, die aus den Lautsprechern ringsum dazu erschallt, kommt meist erzgebirgs-weihnachtlich daher und ist durchaus zum Mitsummen und als eine Art Tafelmusik geeignet. Daran könnte sich die Bude, aus der meist nur Schlager oder unpassend volkstümelnde Geräusche von kleinen runden Scheiben lärmt, ein marktgerechtes Beispiel abhören.
Weihnachtsmarkt 1 (Andere)

Alles in allem bleibt aber der durchweg sehr gute Geschmack des Annaberger Weihnachtsmarktes nicht nur an Zungen, Gaumen, Augen und Ohren haften, sondern wirkt auch auf alle anderen Sinne – dabei den Geruchssinn nicht zu vergessen - anheimelnd, belebend und wohltuend. Nicht nur die Händler und Gastronomen haben sich wieder mit Einfallsreichtum, Freundlichkeit und kulinarischer Vielfalt übertroffen und nehmen 29 kalte Tage, mal schleppende und mal wilde Umsätze sowie nicht immer nur gutgelaunte Gäste auf sich. Auch die Marktleitung (Herr Eberhardt und Truppe), die Organisatoren (Frau Baden-Walter und Team) sowie deren Ideengeber (Herr Tanzhaus) haben in diesem Jahr wieder umsichtig und einfallsreich dafür gesorgt, dass der Annaberger Weihnachtsmarkt das ganz besondere Potenzial besitzt, erneut weit über unsere Stadt- und Landesgrenzen hinaus zu strahlen und somit auch weltweit ein geschmackvoller Botschafter – im doppelten Sinne – für unsere Heimat zu sein

red.