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Weihrauch auf Annabergs Straßen

Fronleichnam: Am 15. Juni diesen Jahres ist es wieder so weit. Die blüten- und düftereichen Spätfrühlingstage sind es, an denen alljährlich zum Fronleichnamsfest die Pforten der katholischen Kirchen weit geöffnet werden. Uralten Traditionen folgend wird an diesem Tag nach der Heiligen Messe eine Prozession stattfinden, in der das Allerheiligste um die Kirche - in manchen Gegenden auch durch das Dorf oder die ganze Stadt – mit Gesängen, Fahnen, Kerzen und viel Weihrauch getragen wird. Hier ein paar persönliche Erinnerungen an Fronleichnam in der Annaberger Diaspora, die nicht nur berauschend sind.

Für uns Kinder hat sich diese Tag inhaltlich - wenn überhaupt - dann nur märchenhaft erschlossen. Die jährlich statt gefundenen feierlichen Prozessionen waren es hauptsächlich, die uns begeisterten und sich stark in die Erinnerung an das Annaberger Fronleichnam-Fest eingeprägt haben. Schon Tage vor dem großen Ereignis wurde der Kirchgarten hinter der kleinen Heilig-Kreuz-Kirche nahe dem Schutzteich gesäubert, die Stations-Altäre errichtet, und für den festlichen Umzug mussten die Chorhemden der Ministranten gewaschen und gebügelt sowie die alten Fahnen, Stander und Wimpel gereinigt und ausgebessert werden. Einer von den Ministranten, denen die Ehre zuteil wurde, bei der Fronleichnam-Prozession im Jahre 1956 ganz vorn zu schreiten und das Kruzifix quasi als Kerzen- oder Fahnen-Ministrant zu eskortieren - der war ich (Foto rechts, weiß gekleidet, mit Stander).
Fronleichnam 1 (Andere)

Noch heute spüre ich jene angenehme Aufgeregtheit in mir, dieses „Lampenfieber" welches sich ob der Verantwortung einstellte, beständig darauf zu achten, dass die Kerze während des Umzugs um unser Hl.-Kreuz-Kirchlein ja nicht verlöschen möge bzw. die Fahne oder später der Stander nicht vom Winde verweht werde.
Der Weg kam mir damals unendlich lang vor, obwohl er nur aus dem Gotteshaus raus, ein Stück durch den Schutzteichpark, die Röhrgasse runter, durch die Mariengasse und endlich hinein in den Kirchgarten führte.
Hier erst konnten die Eindrücke nachwirken, die man auf der Straße draußen nur nebenher registriert hatte: Die freundlich-stolzen Blicke von Verwandten und Bekannten. Die Klänge der alten Kirchenlieder. Der goldbestickte Baldachin, der unseren ehrwürdig dahin schreitenden Pfarrer Paul Joch mit dem Allerheiligsten in seinen erhobenen Händen beschirmte. Dort die schwarz gekleideten Herren Kirchenvorstände, wie sie sich ehrenvoll an den Stangen dieses heiligen Zeltes und an den Kirchenfahnen festhielten, um den doch noch recht frischen Erzgebirgswinden trotzend, die Kurven zu nehmen.
An einer von ihnen hielt sich mein mittlerweile von einer Wolke herabblickender Onkel Bruno fest. Jener beleibte erzgebirgische Kaufmann, Olitätenhändler und Schnapsvertreter, der meine Eltern, die aus dem Egerland vertriebenen wurden, kurz vor meiner Geburt im Jahre 1946 bei sich in die Zwei-Zimmer-Wohnung der Großen Kartengasse 8 aufnahm. Er und Tante Anna hatten damals ihren Erstgeborenen Gotthard im Krieg lassen müssen. Bei meiner Geburt erhielt ich dann den Namen des Vermißten. Tante Anna war die leibhaftige Güte und Mutter eines Priesters, der mein Großonkel Eberhard Pöschl wurde.
Von seinem Tod erfuhr ich erst auf Nachfrage beim Bischöflichen Amt in Meißen in den 70er Jahren. Seine Armbanduhr schickte man mir als Erinnerung. Wo seine umfangreiche Bibliothek und unser Familienstammbaum - „Derer von Schleinitz“ - verblieben ist, konnte man mir nicht sagen. Noch immer bin ich auf der Suche danach, schließlich hat mein Vorfahre, Bischof Johann VII. von Schleinitz aus Meißen am 28. Oktober 1519 den Annaberger Friedhof mit Erde vom Heiligen Feld in Rom bestreut und gesegnet und später die St.-Annen-Kirche geweiht.
Daran sollte man erkennen, dass es nicht nur Nachfahren von Adam Ries in dieser Stadt gibt...

Der Fluch des Pfarrers

Da war dann auch noch der Klang der Glocken. Dieser eigenwillige Ton, der selbst vom kleinen Annaberger Kreuz-Kirchturm eine Festlichkeit zu vermitteln vermochte, die noch heute aus den Kindertagen nach hallt. Und dann erst noch der Weihrauch! Katholische Kirchen kann man riechen, sagte ich meinen Kindern später immer, wenn wir bei Kirchenbesuchen im In- und Ausland rasch in Erfahrung bringen wollten, ob es sich um ein protestantisches oder katholisches Gotteshaus handelte. Doch hier draußen - diese einmalige Kombination der Gerüche Arabiens mit der frischen Erde und den ausströmenden Düften neuer Blüten in unserem Erzgebirge - dieser Weihrauch auf den kleinen Straßen Annabergs bleibt wahrscheinlich lebenslänglich in sinnlicher Erinnerung.

Unsere Prozession bewegte sich immer durch ein Spalier zahlreicher Menschen. Darunter waren Fromme, die tief versunken in ihr Gesangbuch die alten Kirchenhymnen mit jubilierten. Da standen die neugierig Andersdenkenden, von denen es ja schon immer in der Diaspora reichlich gab. Einige Stauner, manche Zweifler, wenige Kopfschüttler und einzelne Registranten fehlten schon damals nicht an der Strecke.
Für uns Ministranten war Fronleichnam auch immer deshalb interessant, weil wir schulfrei bekamen, zumal dieses Fest immer auf einen Wochentag fiel und wir als Katholiken in der Schule bekannt waren. Kann sein, dass mich dieser kleine Vorteil während meiner Kindheit an die Kirche band, denn der cholerische und mitunter um sich schlagende oder Kopfnüsse austeilende Pfarrer Paul Joch
(Foto: 2.v.l.), der meine Eltern wegen einer Meinungsverschiedenheit lauthals verfluchte, oder die überaus strenge Religionsschwester Melitia, die auch als Domina hätte eine Karriere machen können, dürften es wohl kaum gewesen sein.
Vielleicht war es aber auch ein früher Oppositionsdrang gegen das blaue bzw. rote Halstuch der Pioniere, das ich allerdings mitunter genau so gerne trug, wie die große Altarkerze vornweg beim Einzug in die Kirche anlässlich der Priesterweihe
(Foto: Zur Primiz von Eberhard Pöschl im Annaberger Kirchgarten) meines Großonkels Eberhard Pöschl (Foto: Mitte) dem der Bischof Dr. Otto Spülbeck (Foto: 2. v.r.) aus Meißen folgte. Es war für mich auch ab einer bestimmten Zeit nicht unüblich, in der Woche das FDJ-Hemd zu tragen und am Sonntag das Weihrauchfass im weißen, purpurnen und später noch im schwarzen Ministranten-Habit während des Hochamtes zu schwenken, - eine tolerante Art von Ökumene, die ich heute in meiner Stadt – zwar unter anderen Vorzeichen - vermisse...
Primiz - Eberhard Pöschl - Pfarrer Joch 2.v.l. (Andere)

Ökumene auch im Denken

Die Jahre sind vergangen. Ansichten, Auffassungen und Bewertungen zur Religion und solchen Festen wie Fronleichnam haben sich verändert, ohne die Überzeugung zu tilgen oder in den Jahren tilgen zu lassen, dass religiöses Verhalten, Kirche als Institution sowie deren Feste konfessionsübergreifend für große Gruppen von Menschen zur individuellen kulturellen - aber eben privaten - Lebensweise gehören dürfen, der von überall her mit größter Toleranz zu begegnen ist.
Gerade in einer Zeit, in der so viele nach Äußerlichkeiten, nach Beglückungen durch die Form streben, wo die eiskalte Anbetung des Mammon Geld den scheinbaren oder tatsächlichen Vorrang erhält vor Werten, die wirkliche Menschlichkeit ausmachen. Gerade in solchen Zeiten kann es auch für die sogenannten „Ungläubigen“ - von denen es lt. Statistik in Sachsen an die 75% geben soll - nicht von Schaden sein, wenn tradierte Werte des Glaubens – nicht nur des christlichen - wie Güte, Toleranz, Vergebung, Hoffnung und auch Nächstenliebe gegenüber jeden Menschen wieder stärker in der weltlichen Werteskala Platz greifen. Werte, die übrigens von der katholischen oder protestantischen Kirche nicht allein gepachtet sind. Schließlich gibt es solche Verhaltensnormen schon weit vor dem Monotheismus. Hätten sie unsere Altvorderen in den frühen Formen ihres Zusammenlebens nicht praktiziert, wäre die Menschheit schon längst ausgestorben.

Auch in diesem Jahr wird sich die Katholische Kirche wieder öffnen, wie schon seit Jahrhunderten, um auch Hoffnung zu demonstrieren für die derzeit Mühseligen und Beladenen in Annaberg-Buchholz und den anderen Orten in der erzgebirgischen Diaspora.
Unsere kleine Kirche zum Heiligen Kreuz tut dies mit ihren derzeit  ca. 1.200 Gemeindemitgliedern - in Annaberg-Buchholz und Umgebung - erst seit dem Jahre 1854. Obwohl sie bereits 1844 eingeweiht wurde, war ihr zehn Jahre zuvor eine derartige Prozession von der protestantisch dominierten Stadtverwaltung nicht erlaubt worden.

Und wieder ist Fronleichnamstag. Die Prozession wird vermutlich am darauf folgenden Wochenende um das Kirchlein in Annaberg ziehen. Die Beteiligung ist dann einfach besser, meinten die Pfarrer der letzten Jahre. Möglicherweise werde ich wieder irgendwo im Spalier stehen, unter den Nachdenklichen. Werde die neuen Ministranten mit den alten Kirchenfahnen vorüberziehen lassen, das eine oder andere Kirchenlied mit brummen, dem Klang der Glocken lauschen und vor allen Dingen  i h n  noch einmal genießen, jenen festlichen, katholischen Weihrauch auf meinen erzgebirgischen Heimatstraßen, - der allerdings nicht nur berauschende Erinnerungen weckt.
Aber das ist dann schon wieder eine andere und noch viel längere Geschichte...

*  *  *

Zur Herkunft des Fronleichnams-Festes: Die heilige Johanna von Lüttich soll eine Vision gehabt haben, die dann von Bischof Robert aufgegriffen und für den Lütticher Sprengel im Jahre 1246 als Fest eingeführt wurde. Der Dominikaner-Kardinal Hugo ordnete es dann 1252 für den hauptsächlich westdeutschen Raum an, bevor es schließlich vom Papst Urban IV. - der selbst ehemals Erzdiakon in Lüttich war - als „vronlichnam“ (Herrenleib, Fest des Leibes Christi) in den Festkreis der gesamten lateinischen Kirche eingereiht wurde. Erst im Jahre 1279 ist jene Feier der Eucharistie durch die Prozession - in der die Einheit der Katholiken zum Ausdruck gebracht werden soll - ergänzt worden. Thomas von Aquin, der große Kirchengelehrte, war wesentlich an der Ausarbeitung der Mess-Texte, der inhaltlichen Gestaltung der Fronleichnamfeste sowie der notwendigen Ausstellung des „Leib Christi" in der Öffentlichkeit beteiligt. Aus christlicher Sicht gehört dieses Fest zu einem der wichtigsten im Jahreskreis der katholischen Kirche, weil hier der „Sohn Gottes aus dem Schoß der Dreifaltigkeit durch seine Menschwerdung in das Menschengeschlecht eintritt“ (Schott). Es handelt sich also um den katholischen Mythos, dass Christus in den Gestalten der Hostie (Brot - sein Fleisch) und des Messweines (sein Blut) in vielfacher Weise Gestalt angenommen hat und über das Altarsakrament (Hl. Wandlung) sowie durch seine nunmehr ständige Anwesenheit im Tabernakel (Hl. Schrein), den katholischen Glauben multiplizieren kann. Solcherart Verbreitung der Glaubensinhalte ist auch ein wesentlicher Bestandteil der Öffnung der katholischen Kirche über diesen Tag hinaus, indem sie demonstrierend auf die Straßen geht und auch für sich wirbt. Nicht nur wegen der schwierigen Fassbarkeit des Sinngehaltes dieses Festes fanden sich nicht selten in der Kirchengeschichte auch katholische Klerikale, die dagegen opponiert haben. Vor allem auch deshalb, weil es so gänzlich aus den Festen herausfällt, welche die Biographie Christi im Jahreskreis begleiten.

Gotthard B. Schicker
© Text: 2011/überarbeitet 2017

In Baden-Württemberg, Bayern, Hessen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz
und dem Saarland ist Fronleichnam gesetzlicher Feiertag.