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Puristen-Weihnacht
Für manche Leute ist das Fest der Liebe der reinste Horror. Sie haben sogar Argumente für ihre ablehnende Haltung, die mitunter nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Im Erzgebirge dürften diese Weihnachts-Puristen allerdings keine Mehrheiten finden.
Unbestritten gibt es auch Menschen in unserem großen deutschen Lande, die mit Weihnachten gar nichts am Hut haben. Und das nicht etwa, weil sie Juden oder Moslems oder gar gänzlich Ungläubige, Religionsverweigerer, Individualisten, Lebenskünstler sind. Nein, es sind Menschen, die vor dem Fest der Liebe flüchten, ja, es sogar hassen, weil es alljährlichen Horror, Familienterror, Heuchelei und so was wie Kunsthonig für sie bedeutet. Sie haben Begründungen dafür, die nicht alle von der Hand zu weisen sind. Ich kenne wenige von ihnen und habe mehrfach versucht, denen unsere Erzgebirgsweihnacht, die oftmals mit Verkitschung des Weihnachtsgedankens von ihnen abgetan wird, dennoch schmackhaft zu machen.
An erster Stelle der Ablehnungsargumente steht dabei der Konsum- und Veranstaltungsterror, der nahezu weltweit – und mittlerweile auch in den Kaufhausketten des Weihnachtslandes - bereits Mitte September beginnt und im argen Widerspruch zur Weihnachtsbotschaft von der Bescheidenheit, ja Armut der Christgeburt im Stall zu Bethlehem steht. Das zweite Versagensargument ist der Nichtglaube an die Weihnachtsgeschichte in ihrer naiv-märchenhaften Erzählweise und die damit die über Jahrhunderte einher gehende Vermarktung durch die Kirchen. Es gibt aber auch solche Leute aller Lager, die sich vom Kaufterror nicht beeindrucken lassen und sich an die Traditionen hängen und sie meist in reduzierter, aus Sicht eines Erzgebirger eher in puristischer Form pflegen, ob sie deren Inhalte nun glauben oder nicht.
Einer von den Letzteren ist z.B. der Berliner Holzbearbeiter Oliver Fabel. Er wurde für seine ”Krippe für Puristen” (Foto) mit dem “Designpreis Form 2008″ ausgezeichnet. Seine Hölzklötzchen-Krippe kann noch immer per Internet oder in diversen Geschäften gekauft werden. Er geht bei seiner Krippenvariante davon aus, dass keiner von uns wissen kann, wie die Mitglieder der jüdischen Familie - Maria, Josef und Jesuskind - wirklich aussahen. Ob sie schwarze, gelbe oder weiße Gesichter hatten. Lange oder kurze Nasen. Angewachsene Ohrläppchen, blaue, braune oder stahlgraue Augenfarbe. Er macht uns deshalb dieses legal-demokratisch-ästhetische Angebot mit beschrifteten Holzklötzchen, so dass jeder seine eigene bildhafte Fantasie in den imaginären biblischen Stall hinein legen kann. Schließlich steht auf jedem Holzklötzchen der Name der jeweiligen Krippen-Figur, so dass die Fantasie durchaus einen konkret-individuellen Bezugspunkt finden kann. Das Material ist Buchenholz – also weder Eiche noch Palme - , „pure natur“, und nur mit den Namen bedruckt – mehr nicht. Puristisch eben bis in die letzte Ecke des Materials. Die Maße: jeder Klotz ist 8 cm hoch, die Lieferung umfasst 11 Stück, verpackt in einer Schiebeschachtel (22 x 90 x 172 mm). Bestellen kann man den Krippen-Baukasten noch immer zum Preis von 22,90 Euro bei der Firma “Corpus Delicti” (welch göttlicher Name!), für die ich hier selbstverständlich eine zwiespältige und noch dazu unbezahlte Werbung im doppelten Sinne betreibe. Negativ: Einmal weiß ich nicht, ob man dieser Firma das Handwerk legen müsste, indem wir ihr das Unmögliche ihres Tuns vorhalten sollten, denn schließlich wissen wir ja, und wenn nicht wir, dann unsere Geistlichen, wie die Heilige Familie auszuschauen hat (siehe Foto unten)?! Positiv: Oder ob ich vielmehr eine Art Werbung mache für solche Menschen, denen wir auch zur Weihnachtszeit Toleranz gegenüber walten zu lassen haben und die wir im Glücklichwerden in ihrer Facon nicht durch Krippenbuntheit, Liederlärm und Bratwurstdunst beeinträchtigen sollten? Schließlich ist Freiheit ein hohes Gut, - auch im individuellen Ausleben der Weihnachtszeit.
Ich gehe allerdings seit Jahren einen anderen Weg, vielleicht einen dritten, aber einen recht wirkungsvollen: Weihnachts-Puristen aus meinem Bekanntenkreis, von denen es verständlicherweise nur wenige gibt, und wenn, dann kommen die meist aus dem deutschen Norden oder dem ausländischen Osten. Solche unverschuldet Unterkühlte lade ich schon seit mehreren Jahren nach Annaberg auf den Weihnachtsmarkt ein. Meist kommen sie gegen 17 Uhr mit dem Auto aus dem dunklen Tschechien über die ehemalige Grenze durch die Lichteldörfer unserer Heimat bewusst langsam gefahren, genießen den Weihnachtsmarkt mit allen Sinnen und erleben vielleicht noch die Bergparade, kehren in eine unserer typischen Lokale ein, von denen es allerdings nicht mehr all zu viele gibt. Aus solchen Puristen werden „Gläubige“, Bekehrte, - Menschen, die an die Kraft der Tradition glauben, weil sie diese am eigenen Leib erleben konnten. Sie schleppen mitunter zentnerweise Pyramiden, Schwibbögen und diverses Männelzeig mit sich nach Haus und können nicht genug davon bekommen.
Ein Kaufrausch der ungewöhnlichen Art ist dann zu beobachten. Eine Holzklötzchen-Krippe des Puristen Fabel wurde allerdings unter all den Mitbringseln noch nie gesichtet. Manche von den Nord- und Ostlichtern kommen mittlerweile alljährlich, weil sie diese besonderen weihnachtlichen Erlebnisse wie eine Droge benötigen. Weil sie spüren, dass ihnen bisher etwas gefehlt hat, was es derart nur bei uns hier oben gibt - und nicht nur zur Weihnachtszeit. Und sie selbst sind inzwischen Missionare in Sachen Weihnachtsland Erzgebirge geworden. Wie stolz sie darauf sind. Fast so, wie ich es bin, wenn dann die Fotos aus den fremd-bekannten Städten und Ländern eintreffen und die erzgebirgischen Lichtträger in ihren Stuben und Fenstern zu entdecken sind, die sie vom Lichterland in ihre weihnachtliche Dämmerung mitgenommen haben, um dem dortigen Weihnachts-Purismus immer erfolgreicher heim zu leuchten...
G.B.S.
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