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Weihnachten daheim...

Von Fichten, Moosen, Schnäpsen und Onkel Bruno sowie einer Katz im Weihnachtsberg nebst einem Gedicht von Arthur Schramm

 

   O Tannebaam, o Tannebaam, 
   nu sieht mer bal dich wieder;
   e jedes singt von dir derham
   de schönnsten Weihnachtslieder.
   Doß deine Nodeln immer grü
   dos wußten mir als Kinner schie ...

  
   O Tannebaam, oTannebaam,
   wie oft werscht du besunge!
   Voll Adacht singe allezamm,
   de Alten un de Gunge.

   När du, du machst e dumms Gesicht,
   dä mehstens bist du när  -
   e  Ficht ! . . .

So wie es der Wenzel, Max in seinen "Verschln" beschreibt, wussten wir auch als Kinder schon, dass es sich bei unserem Christbaum meistens um eine
Fichte handelte, die wir uns selbst am Heiligen Abend so gegen Mittag, wenn der Pöhlbergförster sein Schläfchen machte, mit dem Vater aus dem Wald schlugen.
Wie stolz waren die Eltern, als sie 1946 eine Bescheinigung vom Annaberger Brügermeister in den Händen hielten, die sie berechtigte, einen Weihnachtsbaum aus einem festgelegten Waldrevier zu holen. Marschall Shukow gab den Befehl aus und die sächsische Landesregierung hatte sich darum zu kümmern, dass die Familien mit Kindern Weihnachten unter einem Christbaum feiern konnten.
Ein solcher Baum kostete damals zwischen 50 Pfennigen und 3 Mark und mußte mit Zweigen in zu Haus vorgebohrten Löchern nachgebessert werden.
Der russische Militärkommandant von Annaberg erweiterte diesen Befehl und ordnete den damaligen Landrat Felisch an, auf jedem Marktplatz der Erzgebirgsorte einen Weihnachtsbaum mit Beleuchtung aufzustellen, unter dem dann am Heiligen Abend Weihnachtslieder von den örtlichen Chören und Singegruppen gesungen werden durften.
Später dann, als die Christbäume auf verschiedenen Plätzen in den Städten und Dörfern des Erzgebirges verkauft wurden, schleppten wir immer eine gutgewachsene Fichte nach Hause.
Kiefern, die man auf solchen "Christbaammärkten" auch anbot, entsprachen nicht so recht unseren Vorstellungen von einem echten Weihnachtsbaum, und die paar Tannen, die es ab und an gab, waren uns schon damals zu teuer.
So sangen wir also alljährlich nach dem "
Neinerlaa"  und vor der Bescherung unsere Weihnachts-Fichte mit einem kräftigen "O, Tannenbaum " an.

Fichten - Made in China

Heute nun, wo ein vielseitiges Angebot an Christbäumen die Nachfrage bei weitem übersteigt und so manche Renter, Vorruheständler oder Arbeitslosenhaushalte die sagenhaften Preise oftmals nicht mehr bezahlen können, heute also geht man wieder am Heiligen Abend , oder an den Tagen davor, häufiger in den Wald, um sich dort selbst zu bedienen. Andere kaufen sich ihren Baum schon im Sommer, im Warenhaus. Gut in einem Karton verpackt wird der pflegeleichte Plastikbaum dann alljährlich zur Weihnachtszeit - leider auch schon in einigen erzgebirgischen Stuben - aufgeklappt und mit einem Fichtennadel-Duft-Spray behandelt. Dann breitet sich über die
Nußknacker und Räuchermänner Made in China ein Aroma aus, das stark an eine Mischung von früherer Erzhammer-Toilette und dem obligatorischen Fichtenzweiglein am Rockaufschlag unseres Erzgebirgsoriginals, den Schramm Arthur, erinnert.
Wie gut, dass dieses wesensfremde Verhalten nur vereinzelt anzutreffen ist und immer mehr Erzgebirger sich wieder auf die Traditionen ihrer Vorfahren besinnen. Dort haben die echten Christbäume aus dem Erzgebirgswald, - die Pyramiden, Engel, Bergmänner, Räuchermänneln, Schwibbögen und
Lichterspinnen von geschickten Händen aus den Hölzern unserer Heimat hergestellt - , ihren festen Platz schon von alters her. Übrigens ist es im Grunde falsch, keine echten Weihnachtsbäume zu kaufen. Genau das schadet nämlich unserem Wald, worauf das sächsische Staatsministerium für Landwirtschaft, Ernährung und Forsten alljährlich - mit zunehmenden Erfolg - hinweist.
Unsere heimischen Fichtenwälder haben aber neben de Schwamme und Harz und Zapfen und Beeren und Festtagsbraten auch noch einen Artikel im Angebot, der in früheren Zeiten vielleicht noch mehr gebraucht wurde als heutzutage. Kein erzgebirgischer Weihnachtsberg kam ohne das Wald-Moos aus. Ich erinner mich an eine Begebenheit, wie sie sich in den 50er Jahren bei uns daheim in Annaberg zu Weihnachten zutrug:

Der Pöhlbergwald lockt

Anfang Dezember wars. Noch lag wenig Schnee, aber die Tage waren schon empfindlich kalt. Wie in so vielen erzgebirgischen Guten Stuben, wurde auch bei uns daheim alljährlich die "Weihnachtseck" hergerichtet. Das Brett für den traditionellen Weihnachtsberg war schon vom Oberboden des alten Hauses geholt worden. Dort, wo unsere Grippenfiguren und das andere "Weihnachtszeig" - die Pyramide, die zahlreichen Nußknacker und Räuchermänner, Engel und Bergmann und der Christbaumschmuck - ihren jährlichen Sommerschlaf hielten, sollen um 1510 die Kräuter der ersten Annaberger Apotheke getrocknet worden sein.
Der Königliche Medicinalrat, Dr.Harms von Spreckel, meint in seinen Aufzeichnungen zur Geschichte der Annaberger Löwen-Apotheke dazu 1930 : "Die Lage dieses Hauses konnte bisher nicht völlig sicher bestimmt werden. Nach der einen Deutung war es das früher Große Kirchgasse Nr. 12,  jetzt Mittelgasse Nr. 2, gelegene Gebäude des Hutmachers Schmidt." Jedenfalls hat dieses Haus, in dem ich meine Kindheit verbrachte, zwei Böden. Denkbar wäre es schon mit der einstmaligen Apotheke. Durch die Luft, die hier oben auf dem Iberbuudn, dem zweiten Boden, ständig zirkulierte, war aber auch unser so dringend benötigtes Moos vom Vorjahr "furztrocken" , wie sich mein Papa auszudrücken pflegte, und zudem noch recht unansehnlich geworden.
Titel ERB-GERICHTE deutsche Ausgabe II (Andere)

“ERB-GERICHTE - Vom Essen und Trinken im sächsisch-böhmischen Erzgebirge.
Eine genussreiche Kulturgeschichte mit vielen Rezepten”
(Autor: Gotthard B. Schicker, 250 Seiten, reich illustriert, 14,95 Euro, ISBN 978-3-9817041-0-5) 
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Der Vater zog sich als flugs seine dicke Winterjoppe an, verpaßte mir Mantel, Stiefel, Schal und Handschuhe und ab ging es mit straffen Schritten hinaus aus dem Haus mit dem Metall-Zylinder an der Wand, - dem Pöhlberg zu. Dort kannten wir von all den Jahren zuvor die wunderbarsten Moos-Stellen in den hohen Fichtenwäldern.
Herrlich grünes Gebirgsmoos, leicht feucht und würzig duftend, mit Fichtennadeln bestreut und ab und an mit einem Fichtenzapfen geschmückt. Der Spankorb war bald bis zum Rande gefüllt und die einbrechende Dunkelheit hätte uns sowieso am Weitersammeln gehindert. Der Heimweg führte denn an der alten Försterei vorbei, ein Stück dem Flößgraben entlang, um schließlich am St. Anna-Heim -  in dem wir oft in diesen Tagen mit dem Kindertheater Weihnachtsmärchen probten -  in die Parkstraße einzuschwenken. Als wir an der St. Annen-Kirche angekommen waren, sahen wir schräg gegenüber, in Richtung Scherbank, die freundlich-lockenden Lichter der wegen seiner Böhmischen Knödel weit über Annaberg hinaus bekannten Schänke " Zum Schwan " blinken. Der Weg, den wir zum Pöhlberg rauf und wieder runter zurück gelegt hatten, war doch recht anstrengend. Mein Vater gönnte sich sicher die größte Freude selbst, indem er mir die Ermattung ansah und für Linderung im "Schwan" sorgte.  Das Bier kostete damals nur ein paar Pfennige. Es wurde entweder in Holzfässern oder in den beliebten Schnappverschluß-Flaschen von der Fiedler-Brauerei geliefert. Ich kann behaupten, dass es ein sehr schmackhaftes Bier war. Wenn ich damals als klaaner Gung auch nur den Schaum vom Glas saugen durfte, so hab ich mich doch dann in späteren Jahren intensiver mit dieser und anderen Sorten aus erzgebirgischen Brauereien befassen und den Wohlgeschmack unseres heimischen Bieres verinnerlichen können.

Doch zurück zum Moos aus dem Fichtenwald. Nach den Erklärungen an die Mutter wegen der späten Heimkehr und der dafür vorgetragenen stichhaltigen Argumente, die alle mit dem bekannten Mutter-Stöhnen quittiert wurden, konnte das Moos zur allgemeinen Bewunderung ausgepackt und zum Trocknen auf den lauwarmen Kachelofen geschichtet werden.

Die Katastrophe naht

Ein Tag vor dem Heiligen Abend: Das Moos hatte die notwendige Trockenheit erreicht und die alljährliche Prozedur konnte beginnen. Mit allergrößter Sorgfalt wurden die Moosstücke über den vorderen Teil des Brettes verteilt, das den Weihnachtsberg tragen sollte. In die Mitte kam zunächst zusammengeknülltes Zeitungspapier, um es dann mit dem duftig-grünen Waldboten zu einem Berg zu formen. Um das Ganze kam ein Gartenzaun, dessen Latten-Spitzen mit Goldbronze nachgebessert wurden. Nun war der Höhepunkt erreicht: Die ersten Massefiguren - kurz nach dem Zweiten Weltkrieg beim Annaberger Mannl-Lahl erstanden - entstiegen ihren Schachteln, um auf dem Berg drapiert zu werden. Mit einem unnachahmlichen Gefühl setzten die kräftigen Schuhmacherhände meines Vaters die zierlichen Hirten, die Schafe und Kamele sowie den zarten Engel der Verkündigung an ihre angestammten Plätze um die Geburt des winzig-kleinen Kindes in der Krippe herum. Und da stand er dann selbst, der Namenspatron meines Vaters: Josef der Arbeiter. Neben ihm sein blaugewandetes und seltsam verzückt dreinblickendes Weib -  Maria. Die Frau meines Vaters, meine Mutter Magdalena, stand derweil gerührt mit dem jüngeren Bruder Reinhard auf der Zimmerschwelle, um von dort aus das feierliche Geschehen in der Guten Stube andächtig zu verfolgen. Selbstverständlich nabelte dabei auch das Raachermann'l Schwaden gut abgelagerter, schwarzer Räucherkerzchen aus Crottendorf in die weihnachtliche Atmosphäre. Erzgebirgische Weihnachtslieder erklangen aus einem kleinen Kriegsradio, und zum Schnappverschluß-Bier aus Harnischs-Brauerei wurde ab und an von den Eltern ein selbstgemachter, recht scharfer Kräuterschnaps genippt.

Nun also noch schnell das Papp-Kirchlein oben auf den Berg gestellt. Niemand störte sich daran, dass es ein evangelisches im ansonst katholischen Hausstand war. Die Wege durch die Landschaft hin zum Gotteshaus wurden mit dem bewährten Scheuersand  ATA markiert. Fertig war nunmehr das Prachtstück für die festliche Eröffnung am Heiligen Abend. Am Heiligen Morgen aber kam - wie in jedem Jahr so um die elfte Stunde -  unser Onkel Bruno zum Weihnachtsbesuch, bzw. zur traditionellen Kräuterschnapsverkostung. Er war ein weitgereister Kaufmann und Drogist aus Annaberg, der mit seinen Olitäten etwas über das Erzgebirge hinaus einen bescheidenen Handel trieb. Es muß nach dem dritten oder vierten Glas dieser sagenhaften Kräutermedizin gewesen sein, als es meinem Vater einfiel  - entgegen aller weihnachtlichen Maßregeln und familiären Traditionen - dem gutgelaunten Onkel Bruno unseren Weihnachtsberg vorzustellen.

Mit  einer von ihm ungwohnt großen und stolzen Geste öffnete er fast feierlich die Tür zum Zimmer, in dem der Weihnachtsberg stand. Der Onkel ging,  - nein, er schritt auf unser zeitweiliges Familienheiligtum gemessen zu, um alles begutachtend in Augenschein zu nehmen. Doch plötzlich ein Aufschrei im höchsten Männer-Diskant. Ein Ton, den bisher vermutlich noch niemand vom Kirchenchor-Sänger Bruno in dieser Höhe und Lautstärke vernommen hatte. Mit theatralischem Entsetzen sprang er aus dem Zimmer zurück, ließ sich schwer in seinen Kräuter-Schnaps-Sessel fallen und beklagte sich von dort aus mit hochdramatischen Ton und mit dunkelrot angelaufenem Kopf bei uns über die schamlose Entweihung der heiligen Stätte. Was war geschehen? Unsere Katze namens Muschi (so konnten damals solche Mäusefänger noch bedenkenlos genannt werden) war es, die solcherart Entsetzen ausgelöst hatte. Sie war, von allen unbemerkt, in das besagte Zimmer geschlichen, ist auf den Weihnachtsberg gesprungen, hatte einem Hirten und dem Heiligen Josef Ohrfeigen verpaßt, um sich schließlich genüßlich in der Nähe von Ochs und Esel auf dem duftenden Moos niederzulassen und dem Weihnachtstag entgegen zuschnurren.
Das Entsetzen über den derart zugerichteten Weihnachtsberg war bei allen Beteiligten groß. Nach einem kräftigen Schluck vom Knoblich-Schnabs fand auch Onkel Bruno die weihnachtliche Fassung wieder und mein Vater zederte nur noch im tiefsten Bass : "Alles fer de Katz ! Alles fer de Katz! "

Nun, es war nicht alles für die Katz, wie wir heute wissen.
In der Erinnerung wird zwar vieles verklärt und die schweren Tage und häßlichen Stunden werden klein und winzig, bis sie eines Tages vollends in Vergessenheit geraten. Die Eindrücke aber, die der Fichtenwald mit seinen Moosflächen seinen Schwamme, Beeren, Zapfen und seinem Duft aus der Kindheit hinterlassen hat, sind noch heute "Tankstellen" für eine manchmal triste Gegenwart und ungewisse Zukunft. Denn auch diese Schönheiten der heimatlichen Natur sind in Gefahr, wenn wir weiter so mit unserer Umwelt Schindluder treiben, wie dies leider allerorten auch in unserer Heimat zu beobachten ist.
"Bei uns wird geklagt, dass die vielen unnützigen Reklamesendungen alles Übrige verstopfen. Auch das lege ich denen zu Lasten, die mit dem Papier wie Wahnwitzige hausen. Denkt die aufgeblasene Marktwirtschaft nicht an die Bäume, die zusätzlich sterben müssen ? Ich fasse jedes leere Blatt andächtiger denn je an, und sehe den gestorbenen Baum vor mir . . . ! "  schreibt die Heimatdichterin Martha Weber aus Wiesa in ihren "Briefzeilen" im vergangenen Jahrhundert.
Wenn sich Heimatliebe  nicht mit Naturliebe im aktiven Sinne verbindet, werden eines Tages auch die Erzgebirgs-Fichten und das duftende Wald-Moos für unsere Nachfahren nur noch sagenhafte Gestalten aus fernen Zeiten sein.
Was aber wäre ein erzgebirgisches Weihnachten ohne den Duft der echten Fichten aus unseren Wäldern?
Ersparen wir unseren Kindeskindern den massenhaften Anblick des künstlichen Weihnachtsbaumes aus dem Super-Markt mit dem Fichten-Duft aus der Spraydose. Ersparen wir uns und ihnen künstliche Weihnachten, wenigstens hier oben bei uns - im weitbekannten Weihnachtsland.

Wie "Arzgebirgische Weihnachten " sein können - und selbstverständlich vielfach auch noch sind - hat uns der Schramm Arthur (
Foto unten, 1993, Dietmar Lang) 1941 in einem seiner arglosen und doch recht unbekanntem Gedicht wissen lassen:

Wenn de Nacht zun Tog gemacht,
Wird gebastelt un gewercht,
Wenn de selbstgeschnitzte Pracht
In Versteck werd neigepfercht,
Wenn' s su haamlich weit un breit,
Nochert kimmt de Weihnachtszeit. -

Wenn' s bei uns eischneie tut
Un de Ard do drubnd werd weiß,
Dann liegt' s gung un alt en Blut:
Blüht bal' wieder gunges Reis.
Wenn de Christbaam erscht sei da,
Nochert kimmt Weihnachten raa. - -

Wenn dr Christ in en erwacht,
Daß mer sich werd racht bewußt,
Wos geschah in heil'ger Nacht,
Regt sich Fried' tief in dr Brust.
Wenn dr Mensch sein Gott kimmt nah -,
Nochert is es Christfast da. - - -

Dann schenkt Lieb', herrscht Lust un Freed:
Licht strahlt in de Harzn nei.
E Stück vun dr Seligkeet
Zieht als "Frieden" in en ei.
Wu dr Mensch zun Mensch sich find' ,
Dort is aah es Christuskind !!!  - "

In diesem Sinne: Allen, die bis hierher gelesen haben, eine angenehme Weihnacht, - und den anderen auch!

g.b.s.

 

 

 

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