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Raachemaad zur Weihnachtszeit
Neben dem Neinerlaa und dem Stollen duftete auch das schmackhafte Kartoffelgericht in der kalten Jahres – insbesondere um Weihnachten herum - durch die Erzgebirgsstuben unserer Altvorderen. Da es heutzutage eine verschämte Wiederbelebung erfährt, soll hier auf das alte „rauchende Mädchen“ etwas näher eingegangen werden.
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In der spärlichen Literatur über diese noch gar nicht so alte Kartoffelspeise, die Mitte des 18. Jahrhunderts im Erzgebirge auftaucht, trifft man sie in verschiedenen Schreibweisen an: Rauchermad, Raachemaad, Rauchermod, Rauche Mad, Raacher Maad oder Rauchamohd (in der böhmischen Erzgebirgs-Mundart um Komotau) sind dabei die gängigsten. Aber auch bei noch so unterschiedlicher Schreibweise handelt sich immer um einen einfachen Kartoffelkuchen, oder eine spezielle Art eines großen Klitschers. Dabei wird überwiegend die sächliche Form gewählt: Also DAS Raachemaad! Im historischen Original besteht es ausschließlich aus gekochten Kartoffeln (fertiger Kartoffelkloßteig aus dem Supermarkt, wie er leider heutzutage mitunter in der Gastronomie verwendet wird, führt aufgrund der fehlenden Struktur der Kartoffelmasse zu Verfälschungen des Originalrezeptes). Es ist eine Speise aus der erzgebirgischen Bauernküche (die im Vogtland einst als „Nackte Maadle“ bekannt war), bei der auch übrig gebliebene gekochte Kartoffelreste verwertet werden können. Um ein schmackhaftes Raachemaad herzustellen, nehme man leicht abgekühlte Kartoffeln, die gerieben und mit etwas Salz vermengt werden. Danach wird die Masse mit den Fingern fest in eine gusseiserne Pfanne (oder auf ein Kuchenblech) gedrückt, die vorher unbedingt mit Leinöl eingerieben wurde. Es gibt auch ein böhmisches Rezept, bei dem die Kasserolle vorher auch mit Griebenschmalz behandelt wurde. Aber das erzgebirgische Original geht nur mit Leinöl, ansonsten handelt es sich eben nur um einen profanen Klitscher. Und wichtig: Raachemaad wird nur auf der unteren Seite braun gebraten und dann gestürzt. Man darf es aber nicht verbrennen lassen sonst "fängt's a weng' ze raache a". Da die Küchenmädchen vermutlich auch mal das Kartoffelgericht anbrennen ließen, könnte der Name vom „rauchenden Mädchen“ auch von daher rühren. Dass der Name von „rachte Maad“, also einem „rechten, fleißigen, gutherzigen Mädchen“ abgeleitet worden sein soll, hat bisher nur der Wenzel Max 1932 vermutet. Die Speise wird als mit der braunen Seite nach oben auf einen Teller gestürzt, dann entweder mit Leinöl bestrichen (die herbe Variante für Gutguschn), oder mit Staubzucker bestreut bzw. mit Apfelmus serviert für die Sießguschn. In manchen Orten des Erzgebirges wird das „Rauchende Mädchen“ auch nur mit Butterflocken (Schminkerle) belegt. Man schneidet es in Teile oder zerrupft es, ähnlich, wie das mit dem Kaiserschmarren geschieht. Von dieser Servierart rührt vermutlich auch der Begriff „Bröckelgötzen“ (Getzn/Götzen) her, der auch – aber sehr selten – für das Raachemaad benutzt wurde, genau so wie „Packs“, was eine mittelhochdeutsche Sammelbezeichnung für alles Gebackene war, heute aber auch nicht mehr in der Stadt für das Raachemaad benutzt wird, wie Max Wenzel einst kritisch anmerkte.
Hier also ein ausprobiertes Rezept für das echt erzgebirgische Raacher Maad aus dem Buch „ERB-Gerichte – Vom Essen und Trinken im sächsisch-böhmischen Erzgebirge“ (Autor: Gotthard B. Schicker):
Ein Kilogramm Kartoffeln waschen, kochen, schälen und etwas abkühlen lassen; dann die Kartoffeln reiben oder zerstampfen und mit Salz abschmecken; in eine Eisenpfanne - die mit Leinöl ausgestrichen wurde - etwa daumendick die Kartoffelmasse leicht eindrücken und bei mittlerer Hitze (ohne zu wenden) in der Röhre golden backen lassen; das Raacher Maad auf einen Teller oder Brett stürzen, mit Leinöl oder/und zerlassener guter Butter bestreichen und noch warm servieren. In manchen Orten wird ein Kompott von Waldbeeren oder Apfelmus dazu gegessen.
Auch die böhmische Erzgebirgsküche kennt Gerichte, die unserem Raacher Maad ähneln, aber als süße und wesentlich inhaltsreichere Kartoffelspeisen bekannt sind. Die böhmische Köchin Magdaléna Dobromila Rettigová nennt 1826 zwei Varianten ihrer „Erdäpfel-Aufläufe“. Aus dem südlichen böhmischen Erzgebirge (bis hinunter nach Eger) ist der Dotsch (gesprochen Dootsch) als ein Kartoffelgericht bekannt, das entfernt mit unserem Raachemaad verwandt ist, es aber geschmacklich – schon wegen des guten, gesunden und unbedingt dazugehörigen Leinöls – nicht erreicht. Dass aber auch unser bekanntes Kartoffelgericht auf die Erzgebirgs-Tische jenseits der Grenze kam, kann belegt werden: In der böhmischen "Erzgebirgs-Zeitung" aus dem Jahre 1933 taucht ein Gedicht von Anton Salzer unter dem Titel "Da Rauchamohd" auf, das in der Komotauer Erzgebirgs-Mundart verfasst wurde und den Nachweis erbringt, dass auch auf der böhmischen Seite des Erzgebirges unser “Rauchendes Mädchen” mit zu den beliebten und typischen Speisen gehörte:
Da Rauchamohd
Es gitt viel Nowl´s of dr Walt Wohl vun dr Asserei, Doch war sich an dan Zeich ner hält, Der ward bol kronk drbei. Ich hoh nu ah a Leibgericht, Dos is nu holt mei Gohd, Dos is a Tippl Koffeeluhtsch Un a Pfannl Rauchamohd.
Uhm in Gebarch, dos müßt´r sogn, Do is doch, waß Gott, fei; Die rana un die frischa Luft, So könnt net beßr sei. Da Weibsie find´n ah be uns, Es is a hall´r Stoot A Tippl guta Koffeeluhtsch Un a Pfannl Rauchamohd.
Da Zeitn sei soo lausich schlacht ´s will gor net baß´r warn, Mr koh sich gor nischt gut´s meh thu, Muß ollis bol entbahrn. Doch will ich racht zafried´n sei Longt mir´s ner noch garod Oferin Tippl süßn Koffeeluhtsch Un en Pfannl Rauchamohd.
Wenn´s draußen watt´rt störmt un schneit Do is in Stüwel schie, Mr stzt sich of dr Ufnbonk Mit´n Tobakpfeifl hie. Da Olta kocht un backt galeich, Es wockl´s Harz vr Frohd, A Tippl süßa Koffeeluhtsch Un a Pfannl Rauchamohd.
Wenn Rauchamohd gebockn ward, Dos riecht mer weit un braat, Ich schnuppers wenn ich su drham Zr Haustür ner neitraat. Do gitt´s dr Noos en ornlichn Rieß, Es Harz dos huppt fr Frohd, Hurrah, heint gitts a Koffeeluhtsch Un a Pfannl Rauchamohd.
Un säß ich mol om Himmelstisch Un söllt miet nowl thu, Be Manna un Ambrosia Un Nektar noch drzu, Do thät ich sogn: ´Tut wag dos Zeich´ Ich wünsch mr ols Ganood A Tippl süßa Koffeeluhtsch Un a Pfannl Racuamohd.
Einer, bei dem das Raachemaad zu Hause oft auf den Tisch kam, ist der Lehrer und Heimatschriftsteller Max Wenzel (1879 Ehrenfriedersdorf – 1946 Chemnitz). In seinen Erzählungen „Allerlei aus dem Erzgebirge“ (1922) handelt die erste vom „Raachemaad“, und die soll hier unseren Appetit auf dieses einfache, aber sehr schmackhafte echt-erzgebirgische ERB-Gericht anregen:
„Wenn mer ne alten Zippelpelzehregott freget: ´Welche Maad hast de dä an liebsten?´ do konnt mer Gift drauf nahme, daß er saht: ´De Raachemaad!´ Un dr Zippelpelzehregott war e Maa, dar wußt, wos er wollt! Wos is dos nu vier e Maad? Leit, die net aus unnern Gebirg sei, die könnten denken, ´s hanlet sich üm e racht ugefügs, borstigs Maadele! Nä, fei net! Sette gibt’s bei uns drham gar net! De Raachemaad is e Maad, wie mer se net schenner denken ka! Schie knusprig, fünkel fett oder net ze sehr. Un de Farb! Mer sieht se när garn aa! Un gut!! Die hoot noch niemanden ewos geta. E Maad, mer möcht sprachen, mit Respekt ze soong: zon Frassen! Un dos werd aah gemacht, dä de Raachemaad is werklich ewos zen Assen. Freilich, war gewuhnt is, Austernmuscheln auszezutschen – die alten Schweinigeln! - oder Schlogsahne ze löffeln, für sette is mei Raachemaad nischt! Oder guckt emol zon Ohmd in e gebergisch Heisel nei. Do sitzen e Hardel Kinner üm Tisch rüm, de Masser in de kelnn Händ, un alle Aang hänge an dr Ufenröhr. Do zieht de Mutter e Pfann raus, un e Duft kimmt nei in dr Stub, doß de ganzen Kinner vir Lust bal ken Oden raakrieng. Nu kimmt de Pfann ofn Tisch, un de Mutter tält aus! Dos schmeckt, ´s läßt en ben Zugucken schie ´s Wasser in Maul zesamme, mer sieht en jeden de Gitt richtig aa. Mit ener Pfann is oder de Sach noch lang net derledigt; nä, wennn alles noch an der erschten Pfann schnobeliert, do macht de Mutter derweile schie de zwäte zeracht. Un esu gieht dos schiene Gesellschaftsspiel ene ganze Weil fort, bis endlich dos Kind, wos sinsten an mesten assen ka, sich hiesetzt, racht tief Oden hult un saaht: ´Nu kaa ich oder werklich net meeh!´ Rachemaad! Du alter guter Bröckelgötzen, du warscht un bist werklich ze allen Zeiten ewas Guts! Un wenn aah emol net esu viel Spack dra is – wenn de när racht schie bratzlich bist, dos mer dich brachen ka – dann bist de schie racht! Die Leit in dr Stadt nenne dich ´Packs´ als ob dos esu schie klänge wie die rachter Name! Raache Maad – sicher haste früher ´rachte Maad´ gehaaßen. Un heut noch, wenn ich mol rachten Appetit of drham hoo, do soog ich zu meiner Fraa: ´Mach när wieder emol a Raachemaad.´
Heinrich Köselitz (alias Peter Gast), der aus Annaberg stammende Komponist, Schriftsteller, Dichter und Adlatus vom Philosophen Friedrich Nietzsche, hat 1893 in seinem Heftchen “Alte und neue Geschichten in erzgebirgischer Mundart”, neben dem bekannten Heilig Ohmdlied der Amalie von Elterlein, ein Fortsetzung dieser Strophen in westerzgebirgischer Mundart veröffentlicht. Wird im ursprünglichen Lied 1799 das Neinerlaa als Weihnachtsessen benannt, so ist in “Ä annersch Weihnachtslied” das Raachemaad wie folgt erwähnt:
Schwenzeleng! heit bie iech fruh! ´s wor mr lange Zeit net su! Nu, Gunge, kommt von Budn ro´! Dos is ä wahre Fraad! Dr Heil´ge Christ, dar hot bescheert Ä Pfannl Rauche Mad!
Und Köselitz erläutert dazu in einer Fußnote: “Rauche Mad (auch Bröselgtzen genannt) ist ein lockeres, mit Butter in der Blechpfanne gebackenes Gemisch aus geriebenen gekochten Kartoffeln, Mehl und Salz. Lieblingsgericht des Volkes.”
red.
Fotos: Marcel Drechsler
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